Prozess in LeverkusenRichter spricht mildes Urteil für verzweifelten Brandstifter

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Amtsgericht in Leverkusen-Opladen

Leverkusen – Am 7. Dezember 2020 beschließt Günther D. (Name geändert), in seinem Haus in Leverkusen-Bürrig mit seinem Leben Schluss zu machen. Er tränkt Textilien in Motoröl, legt sie auf einen Sessel im Wohn- und Schlafzimmer, und zündet sie an. D. überlebt den Brand mit einer Rauchgasvergiftung. Vor dem Leverkusener Amtsgericht musste er sich nun wegen schwerer Brandstiftung verantworten. Der Richter ließ Milde walten.

Günther D. ist Ende Dezember 2020 verzweifelt, wie er am Freitag vor Gericht zu erkennen gibt. Seine Mutter, die im Altersheim lebt, ist zur Tatzeit krank, hat eine schlechte Prognose, D. nimmt das schwer mit. „Ich fühlte mich alleine“, sagt D. bei der Befragung durch Strafrichter Dietmar Adam. Adam geht dabei sehr sensibel vor, bohrt zwar mit seinen Fragen immer tiefer, doch weiß er bereits aus den Akten: Hier hat er keinen geborenen Straftäter vor sich sitzen.

D. ist noch nie strafrechtlich in Erscheinung getreten

D., 60 Jahre alt, ist in seinem Leben noch nicht strafrechtlich in Erscheinung getreten. In Leverkusen geboren, hier aufgewachsen und hier geblieben, hat er fast 40 Jahre als Bäcker gearbeitet. Günther D. arbeitet gerne, hat nebenbei sogar noch einen Minijob im Altersheim. Mit beidem ist Schluss, als er sein eigenes Haus anzündet.

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In diesem Haus wohnte und wohnt noch immer Regina M. (Name geändert), die am Freitag als Zeugin vor Gericht aussagt. Sie hat D. in einer Gaststätte in Bergisch Neukirchen kennengelernt. Sie kellnert dort aushilfsweise, er ist regelmäßiger Gast. M. muss raus aus ihrer Wohnung, D. hingegen besitzt ein Haus in Bürrig, in dem er alleine wohnt. Also bietet er M. an, dass sie mit ihren beiden Töchtern, im Dezember 2020 15 und zwei Jahre alt, im Obergeschoss wohnen kann. Die Miete ist sehr niedrig, dafür macht M. den Haushalt, kocht und hat für D. immer wieder ein offenes Ohr.

Der Suizidversuch war eine Übersprungshandlung

Am 7. Dezember aber, ein Montag, ist M. bei ihrer Mutter, war auch schon das ganze Wochenende außer Haus. D. hat niemanden zum Reden. In einer Übersprungshandlung, so sehen es alle Verfahrensbeteiligten, beschließt D., sich das Leben zu nehmen.

Beratung und Seelsorge in schwierigen Situationen

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Die Neurologen und Psychiater im Netz empfehlen ebenfalls, in akuten Situationen von Selbst- oder Fremdgefährdung sofort den Rettungsdienst unter 112 anzurufen. Darüber können sich von psychischen Krisen Betroffene unter der bundesweiten Nummer 116117 an den ärztlichen/psychiatrischen Bereitschaftsdienst wenden oder mit ihrem Hausarzt Kontakt aufnehmen. Außerdem gibt es in sehr vielen deutschen Kommunen psychologische Beratungsstellen. 

„Ich war sicher, es ist niemand im Haus“, sagt D. aus – und es stimmt: Die 15-jährige Tochter ist in der Schule, die Zweijährige in Köln bei ihrem Vater.

D. zündet also den Sessel an. Schnell entwickelt sich beißender Rauch und dichter Qualm. Vor Gericht sagt ein Sachverständiger für Schadensforschung aus, Motoröl sei ein schlechter Brandbeschleuniger, der – ebenso wie Textilien – starken Ruß ausstoße. Das Feuer flammt also nur langsam auf, Günther D. atmet Rauchgase ein und will nicht mehr sterben. „Ich hatte wieder Lebenswillen“, sagt er, der im Gerichtssaal ziemlich wortkarg, aber dennoch auskunftsfreudig ist. Er stürmt aus dem Zimmer, wird im Flur ohnmächtig und wenig später von der Feuerwehr gerettet, die Nachbarn alarmiert haben.

Fünf Tage im Krankenhaus

D. bleibt fünf Tage im Krankenhaus, ein Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik schließt sich an. „Ich war komplett daneben“, sagt er am Freitag aus. Der Angeklagte wohnt aktuell übergangsweise in Monheim, hat seit kurzem einen gerichtlich bestellten Betreuer, der ihm bescheinigt: „Herr D. ist wieder stabil.“ Er selbst sagt: „Ich bin froh, dass die Feuerwehr mich gerettet hat.“

Der Brandherd bleibt unterdessen klein, weil die Brandbekämpfer schnell vor Ort sind, doch das gesamte Haus ist mehr als einen Monat lang unbewohnbar. In jeder Ritze, auf jeder Oberfläche, auch im Obergeschoss, hat sich der Ruß abgesetzt. Die Schäden in Höhe von rund 60.000 Euro wurden bis heute nicht behoben, auch wenn D., der seinen Minijob im Altersheim zurück hat, nach Aussage seines Betreuers die Mittel dazu habe.

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Doch im Obergeschoss wohnt Regina M. immer noch mit ihren zwei Töchtern. Eine Küche hat sie nicht, die habe sie sich mit D. im Erdgeschoss geteilt. Die 42-Jährige sucht nach einer anderen Bleibe – doch findet sie keine. Solange das Obergeschoss jedoch bewohnt ist, kann auch im Erdgeschoss nicht so gearbeitet werden, wie es notwendig ist. Also verzichtet Günther D. lieber auf die Miete und gibt Regina M. jede Zeit, die sie braucht, um ihre Notunterkunft gegen ein neues Heim einzutauschen. Erst dann wird er das Haus auf Vordermann bringen lassen, vermieten und sich selbst ein Apartment suchen.

„Ich bin mal sauer und mal traurig“

„Mal bin ich sauer und wütend, dann traurig und besorgt. Das wechselt immer“, sagt die zweifache Mutter aus. Ihre ältere Tochter ist bei der Oma untergekommen. „Er hat gesagt, dass es ihm sehr leid tut“, sagt M. über D.

Richter Adam folgt bei seinem Urteil dem Antrag der Staatsanwaltschaft und verurteilt D. wegen Brandstiftung in einem minder schweren Fall zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt wird. Vier Monate weniger beantragt die Verteidigung.

D. sei vermindert schuldfähig gewesen, so Adam. „Wir gehen davon aus, dass Sie nicht vollständig Sie selbst waren“, sagt der Richter. Strafmildernd wirkt sich außerdem aus, dass D. reinen Tisch gemacht hat und er auf keinen Fall einer anderen Person habe schaden wollen. „Daran haben wir gar keinen Zweifel“, so Adam. Strafverschärfend wirkt sich derweil die abstrakte Gefahr aus, in der die 15-Jährige sich befunden habe. Der Angeklagte sei zwar fest davon überzeugt gewesen, dass diese sich nicht im Obergeschoss befunden habe – doch sicher sei dies keineswegs gewesen.

„Von einer positiven Sozialprognose ist auszugehen“, sagt Richter Adam zum Schluss: „Wir werden Sie hier nicht wiedersehen.“ Günther D. nickt.

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