Nach Virus-Ausbruch in CoesfeldSind auch Schlachtbetriebe im Rheinland problematisch?

Lesezeit 5 Minuten
AFP_1RA8K0_2

Mitarbeiter der Coronavirus-Teststation, die  vor der Firma Westfleisch aufgebaut wurde  

  • Nachdem bekannt geworden ist, dass Hunderte Arbeiter auf einem Schlachthof in Coesfeld sich mit dem Corona-Virus infiziert haben, werden alle 20.000 Beschäftigten in der Fleischindustrie auf das Virus getestet.
  • NRW Gesundheitsminister Laumann sagt, die Situation in der Schlachtwirtschaft rechtfertige ein „ein gesundes Misstrauen.“
  • Wir haben die Schlachthöfe im Rheinland in den Blick genommen.

Düsseldorf/Coesfeld/Köln – In Nordrhein-Westfalen werden nach dem Ausbruch des Coronavirus in einem Betrieb in Coesfeld alle Beschäftigten in den Schlachthöfen auf das Virus getestet. Es ist nach Angaben von Karl-Josef Laumann (CDU), NRW-Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales, die größte Reihenuntersuchung in der Corona-Krise in Deutschland.

Bis zu 20.000 Mitarbeiter der NRW-Fleischfabriken müssen untersucht werden. In Coesfeld, wo die Fleischfabrik am vergangenen Freitag wegen der hohen Infektionszahlen vorübergehend geschlossen worden war, gibt es nach Angaben des Kreises inzwischen 252 bestätigte Fälle, 476 Tests seien negativ ausgefallen – 278 Testergebnisse stünden noch aus. Infolge der Häufung von Infektionen hatte der Kreis Coesfeld einen Teil der für NRW vorgesehenen Lockerungen von Corona-Maßnahmen zunächst einmal ausgesetzt.

Minister Laumann nimmt Fleischindustrie in die Pflicht

Am Montag in Düsseldorf wurde Laumann mit Blick auf den massenhaften Ausbruch im „Westfleisch“-Schlachtbetrieb von Coesfeld sehr deutlich: Er erwarte von den Betreibern, „dass sie ein umfassendes Hygienekonzept vorlegen, wie sie sich den Weiterbetrieb nach dieser Woche vorstellen“, sagte der Minister. Das betreffe nicht nur den Betrieb, sondern auch die Frage des Transports der Arbeitnehmer von den Unterkünften zum Betrieb. Das könnten die Betreiber nicht länger auf die Subunternehmer verschieben. Laumann mahnte: Ein „in sich schlüssiges und lückenloses Konzept“ sei sinnvoller, als vor Gericht gegen die Schließung vorzugehen. 

Alles zum Thema Karl-Josef Laumann

Die meisten der rund 1200 Mitarbeiter in Coesfeld stammen aus Osteuropa und sind in Sammelunterkünften untergebracht. Die infizierten Menschen müssten „in angemessener Form“ unter Quarantäne gestellt werden. Dies sei bei den Wohnverhältnissen der Leiharbeiter „sehr viel schwieriger“. 

Laumann: Schutz der Bevölkerung in den Mittelpunkt stellen

„Es liegt nicht an den Werkvertragsarbeitnehmern“, sagte Laumann, „die Problematik liegt im System. Dafür sind die Betreiber der Schlachthöfe verantwortlich.“ Das Problem: Im Gegensatz zu Saisonarbeitern in der Landwirtschaft, die zumeist in Unterkünften leben, die von den Hofbetreibern zur Verfügung gestellt werden, sind die Leiharbeiter in der Fleischindustrie nicht in Werksunterkünften untergebracht. Deshalb könne man nicht auf arbeitsschutzrechtliche Maßnahmen zurückgreifen, um Veränderungen herbeizuführen, so Laumann.

fleisch1-pix

Tests auf Corona bei der Fleisch Willms GmbH in Ruppichteroth – am Montag wurden die Untersuchungen der 760 Mitarbeiter fortgeführt.

Die Situation in der Schlachtwirtschaft rechtfertige „ein gesundes Misstrauen. Ich habe den Schutz der Bevölkerung in den Mittelpunkt meiner Arbeit zu stellen und nicht die Interessen der Schlachtindustrie“, sagt Laumann. Wenn die Ergebnisse aus den anderen Betrieben in NRW schlecht ausfallen, müssten auch andere Bundesländer Reihenuntersuchungen vornehmen.

Keine betroffenen Betriebe in Köln 

In der Region ist die Lage nicht einheitlich zu bewerten. Aus Sicht der Stadt Köln gibt es laut einer Sprecherin keine Notwendigkeit zur Prüfung von Betrieben. Auf Kölner Stadtgebiet gibt es seit 2010 keinen Schlachtbetrieb mehr. Damals wurde der Schlachthof an der Liebigstraße in Neuehrenfeld geschlossen, der dort seit 100 Jahren bestand. Der Betrieb, der zunächst städtisch war und 1972 privatisiert wurde, war im Konkurrenzkampf gegen die Großschlachtereien nicht mehr überlebensfähig. 

So gibt es in Köln lediglich 61 Betriebe, die Fleisch verarbeiten. Von diesen Betrieben haben nur zwei mehr als 100 Mitarbeiter. Vergleichbare Arbeits- und Wohnsituationen wie etwa in Coesfeld gebe es nicht.

Vorsichtsmaßnahmen in Frechen 

Die Mitarbeiter der Boeser Frischfleisch GmbH in Frechen sind am Montag auf den Covid-19-Erreger getestet worden. „Es handelt sich um eine reine Vorsichtsmaßnahme“, betont das Unternehmen. Es gebe keinen Corona-Fall im Betrieb. 

Das könnte Sie auch interessieren:

In dem Frechener Unternehmen wird Schweinefleisch verarbeitet. „Wir sind ein eher kleiner Betrieb“, teilt die Firma mit. Es sei für die Unternehmen in der Fleisch verarbeitenden Industrie immer schwieriger, einheimische Kräfte zu finden; deswegen beschäftige man größtenteils Mitarbeiter aus dem Ausland. „Mit der Unterbringung haben wir nichts zu tun“, erklärt das Unternehmen – was eines der von Laumann im Fall Coesfeld aufgeführten Probleme ist. 

Belegschaft derzeit stark ausgedünnt

Im Rhein-Erft-Kreis ist zunächst kein weiterer Betrieb untersucht worden. „Wir gehen davon aus, dass bei Fleisch verarbeitenden Betrieben nicht die Situation im Betrieb selbst zu einem Problem werden könnte, sondern eher die Unterbringung der Mitarbeiter“, sagt Kreispressesprecher Marco Johnen. Bei der Fleischwarenfabrik Hardy Remagen in Hürth sind nach Auskunft von Geschäftsführer Frank Remagen die Hygienevorschriften in der Produktion noch einmal verschärft worden.

„Wo die Sicherheitsabstände nicht eingehalten werden können, tragen die Mitarbeiter jetzt Plexiglasvisiere“, so Remagen. Aktuell sei die Belegschaft stark ausgedünnt, weil durch die Corona-Krise die Hälfte des Umsatzes mit den Gastronomen weggebrochen sei. Remagen lasse sich von einem Fachlabor beraten, bei Schichtbeginn werde Fieber gemessen. Aktuell sei kein Corona-Fall unter den rund 300 Mitarbeitern, davon derzeit 40 Osteuropäer, bekannt.

760 Tests in Ruppichteroth

Seit Samstag bereits werden bei der Willms Fleisch GmbH in Ruppichteroth sämtliche 760 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter getestet. Ärztinnen und Ärzte des Deutschen Roten Kreuzes führen die Untersuchungen für den Rhein-Sieg-Kreis durch. Weil die Arbeit am Samstag noch nicht erledigt war, ging es am Montag weiter. Die Ergebnisse werden in zwei bis drei Tagen erwartet. Das Unternehmen erklärte, dass die Tests „aufgrund des entsprechenden Erlasses des Landesgesundheitsministeriums erfolgen.“

Es habe bislang „in unserem gesamten Betrieb keinen Verdachtsfall gegeben“, betont das Unternehmen. Zur Unterbringung der Mitarbeiter erklärt die Willms Fleisch GmbH: „Wir sind uns unserer Verantwortung sehr bewusst und stehen in engem Austausch mit dem Werkvertragsunternehmen.“ Die Unterkünfte in der Region würden regelmäßig von unabhängigen Wirtschaftsprüfern untersucht: „Hier hat es keinerlei Beanstandungen gegen die Arbeitsstättenverordnung gegeben.“

Harte Kritik von SPD und Grünen

„Es gibt akuten Handlungsbedarf“, sagt Sebastian Hartmann, Chef der NRW-SPD. Die Fleischindustrie falle seit Jahren durch teils katastrophale Arbeitsbedingungen auf. „Viele Mitarbeiter kommen aus dem Ausland und werden über Werkverträge mit oft dubiosen Subunternehmen beschäftigt.“ Minister Laumann könne die Versäumnisse bei der Aufsicht der Betriebe nicht auf Kommunen und Gesundheitsämter abschieben: „Immerhin sollen die Behörden in NRW bereits seit Mitte März über erste Infektionsfälle informiert worden sein.“

Für die Landtagsfraktion der Grünen fordert Norwich Rüße, dass „sämtliche Bewohner von Sammelunterkünften auf das Coronavirus getestet werden und die beengten Wohnverhältnisse unverzüglich aufzulösen sind“, so der landwirtschaftspolitische Sprecher der Fraktion. (mit dpa)

KStA abonnieren