Neue EskalationsstufeNRW-Innenminister Reul will härter gegen „Problemfans“ vorgehen

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Ultras des 1. FC Köln zünden im Februar beim Spiel gegen Borussia Dortmund Pyrotechnik.

Ultras des 1. FC Köln zünden im Februar beim Spiel gegen Borussia Dortmund Pyrotechnik.

Köln – Die Debatte um die Sicherheit in deutschen Fußballstadien nimmt wieder Fahrt auf. Nach den heftigen Auseinandersetzungen zwischen Fans von Hertha BSC Berlin und der Polizei im Dortmunder Westfalenstadion vor knapp zwei Wochen hat NRW-Innenminister Reul ein härteres Vorgehen gegen so genannte „Problemfans“ gefordert. Sein Rezept: Personalisierte Tickets und konsequentere Kontrollen, um das Einschmuggeln von Pyrotechnik und anderen Gegenständen in die Kurven zu unterbinden. Michael Mertens, Chef der Gewerkschaft der Polizei (GdP), hat die Tonlage nun noch einmal verschärft. Er nennt die Fanblöcke in den NRW-Stadien „No-go-Areas“ für Polizisten. Ein Begriff, der in der Vergangenheit schon oft für derben politischen Zank gesorgt hatte. In NRW wurde er zuletzt zum Kampfbegriff in der Diskussion um prekäre Stadtgebiete, in die sich die Polizei – wenn überhaupt - nur noch mit Hundertschaften hineinwage. Sollte die Situation in den Kurven nicht anders in den Griff zu bekommen sein, „muss es endlich wieder zur Selbstverständlichkeit werden, Polizisten fest vor Fanblöcken zu postieren“, um das Abbrennen von Pyrotechnik und anderen Straftaten zu verhindern. „Wenn wir von konsequentem Einschreiten gegen Neonazis, Linksradikale und Clans sprechen, dann müssen wir das hier auch tun“, sagte Mertens. „Für die Ultras ist der Staat das Feindbild. Sie entwickeln sich allmählich zu einer Parallelgesellschaft, die in den Stadien ihr eigenes Rechtssystem etabliert. Das können wir nicht hinnehmen.“

Für seine Äußerungen erhält Mertens viel Zustimmung. Doch sein Vorschlag, Polizisten fest vor den Fankurven zu installieren, geht vielen einen Schritt zu weit. „Die Sicherheit innerhalb der Stadien ist in erster Linie Aufgabe der Vereine. Und aus dieser sollten wir sie auch nicht entlassen“, stellte Innenminister Reul auf Anfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“ klar. Natürlich würde die Polizei auch in den Kurven eingreifen, „aber nur dann, wenn es sein muss.“ Auch Sebastian Fiedler, NRW-Chef des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, zeigte sich überrascht. Polizisten von vornherein zwischen Problemfans in die Kurven zu stellen, sei nichts anderes als ein „aus Steuermitteln subventionierter Ordnerdienst“ für die Vereine. Dass Mertens in der Diskussion den Begriff der „No-go-Areas“ wiederbelebe, sei verstörend. „So etwas ist reiner Populismus und trägt nicht zur Problemlösung bei.“

Es sei nun an den Vereinen, den Willen zum Handeln zu beweisen. Wie Reul schlägt auch Fiedler personalisierte Tickets vor, aber auch eine flächendeckende Kameraüberwachung in allen Stadien sowie eine sorgfältigere Auswahl der Ordner. Seit Jahren fehle bei den meisten Proficlubs trotz üppiger Finanzlage der Wille, genug Geld für geeignetes Sicherheitspersonal in die Hand zu nehmen, sagte Fiedler. „Da bekommen Leute beinahe ohne jede Qualifikation und mangelnder körperliche Eignung ein Ordner-Leibchen übergestreift und sollen diese Ultra-Randalierer in den Griff kriegen“, das könne nicht funktionieren. Die Vereine hätten mit ihrer „jahrelangen Laissez-faire-Haltung“ das Problem selbst befördert. Aber auch die Politik sei jetzt gefragt. Es sei längst an der Zeit, dass die Sicherheitsunternehmen in den Stadien eine staatliche Lizenz der Innenministerien erhielten - wie in anderen EU-Ländern auch. 

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Herbert Reul

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DFL will keine Stellungnahme abgeben

Für die Akteure im Milliarden-Geschäft Fußball, in dem es medial vor allem um das Produzieren sauberer Bilder von gutem Sport und stimmungsvollen Fankurven geht, ist die immer wieder aufflammende Diskussion um die Sicherheit ein leidiges Thema. Die Deutsche Fußball Liga (DFL), die Interessenvertretung der deutsche Profi-Vereine, hat eine Stellungnahme auf Anfrage abgelehnt. Auch die Clubs selbst zeigen sich zurückhaltend. Borussia Dortmund will sich aufgrund der laufenden Ermittlungen wegen der Krawalle im Block von Hertha BSC zum Thema nicht äußern. Der FC Schalke 04 will Pläne der Polizei erst kommentieren, wenn Details bekannt seien. Dass die von Reul geforderten personalisierten Tickets die Sicherheit in den Stadien verbessern würden, bezweifelt der Verein hingegen. Der Ansatz sei nicht praktikabel, sagte Pressechefin Anja Kleine-Wilde. „Das Konzept erfordert sowohl bei Weiterverkauf oder Umschreibungen als auch bei Kontrollen einen zeitlich und personell extrem hohen Aufwand, der bei mehr als 62.000 Besuchern an einem Spieltag in keinem Verhältnis zum vermeintlichen Nutzen steht.“

Das sieht auch der 1. FC Köln so, der vor allem die „pauschale Kritik“ an den Ordnungskräften für nicht gerechtfertigt hält. Jeder Ordner in einem Bundesligastadion habe eine vom DFB vorgegebene Schulung durchlaufen und werde vom Leiter sowie dem Kamerasystem laufend überwacht, sagte FC-Sprecher Tobias Kaufmann. Dennoch sei ein Ordner „keine Ein-Mann-Spezialeinheit oder gar ein Hilfspolizist“. Die Frage, ob Polizisten in den Kurven sinnvoll wären, will auch er nicht beantworten. Kaufmann verweist auf die Behörden: Das sei keine Entscheidung des Vereins, sondern der Polizei und deren Dienstherr.

Sicherheit in der Kurve ein sensibles Thema

Fanforscher Jonas Gabler weiß, dass die Umsetzung solcher Gedankenspiele für die Clubs zu einem erheblichen Problem werden könnte. Die Sicherheit in den Fankurven sei ein sehr sensibles Thema in einer Zeit, in der der Kontakt zu den Ultragruppen vielerorts schwierig sei. Das Binnenverhältnis zwischen DFB und DFL auf der einen Seite und Ultras auf der anderen ist seit Jahren angespannt. Erst kürzlich sind die Gespräche zwischen Fanrepräsentanten und den Verbänden abgebrochen worden. Es herrscht Funkstille. „Gerade jetzt kommt den Vereinen die Rolle des Vermittlers zu, denn sie sind die letzte Institution, zu der die Ultras ein immerhin noch ambivalentes Verhältnis haben“, sagte Gabler. „In dieser schwierigen Lage kann es nicht darum gehen, in jeder Situation Recht durchzusetzen, sondern die Verhältnismäßigkeit zu wahren.“ Sollten die Clubs den Druck auf ihre Fankurven weiter erhöhen, würde auch das letzte Band durchtrennt. Jeden einzelnen Fan beim Abbrennen von Bengalos sofort zu packen, Stadionverbot zu erteilen und strafrechtlich zu verfolgen, sei in der Praxis kaum umzusetzen, warnte Gabler. Von den Ultras könnte dies zudem als Kriegserklärung verstanden werden.

Der 1. FC Köln, der sich seit Jahren im Zwist mit seinen Ultras befindet, lässt indes keinen Zweifel daran, dass er bestimmte Auswüchse nicht dulden wird. „Das Stadion und die Südkurve dürfen kein rechtsfreier Raum sein und auch kein Raum, in dem das Recht des Stärkeren gilt“, betonte Kaufmann. „Wir beobachten die gegenwärtige Entwicklung, die diesen Konsens in Frage stellt, aufmerksam. Wir gehen dagegen vor – und mit ‚wir‘ ist der ganze Verein gemeint.“

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