Hilferuf statt KirmestreibenSchausteller aus ganz Deutschland treffen auf Politiker

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Ein Aufruf der Kirmesmacher an die Politik.

Ein Aufruf der Kirmesmacher an die Politik.

Bergisch Gladbach – Tobi und David strahlen übers ganze Gesicht. Gespannt sitzen die beiden Jungs in Feuerwehr- und Polizeiauto. „Vorsicht bitte, wir starten“, tönt’s aus den Lautsprechern. Ein Stück heile Kirmeswelt? Von wegen.

Das Kinderkarussell von Schausteller Dirk Timm aus Herkenrath ist das einzige, das an diesem Wochenende, an dem sonst die Laurentiuskirmes im Herzen von Gladbach pulsiert, mit Sondergenehmigung seine Runden drehen darf. Gleich nebenan machen der Vorsitzende des Deutschen Schaustellerbundes, Albert Ritter, und Bergisch Gladbachs Kirmesmacher Burkhardt Unrau nicht nur NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) klar, warum es auch damit bald vorbei sein könnte, eine 1200 Jahre alte Volksfesttradition binnen weniger Wochen zu sterben droht.

Einen eindringlichen Appell richtet Gladbachs Kirmesmacher Burkhardt Unrau an die versammelte Politik.

Einen eindringlichen Appell richtet Gladbachs Kirmesmacher Burkhardt Unrau an die versammelte Politik.

„Wir müssen wieder aufmachen oder brauchen ausreichende finanzielle Hilfe“, sagt Ritter. Wenn die Schaustellerfamilien jetzt wegen des aufgrund der Corona-Pandemie anhaltenden Volksfestverbots ihre Betriebsmittel wie Karussells und Kirmesbuden verkaufen müssten, sei die Kirmestradition tot. „Schausteller ist kein Lehrberuf, als Schausteller wirst du geboren. Wenn die 5000 Schaustellerfamilien in Deutschland weg sind, wird es keine neuen geben“, sekundiert Burkhardt Unrau, der die Aktion auf dem Konrad-Adenauer-Platz organisiert hat.

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Schausteller aus der halben Republik gekommen

Neben Unterstützern und Politikern von Bürgermeister Lutz Urbach über Landrat Stephan Santelmann bis zu den Abgeordneten aus Landtag (Rainer Deppe) und Bundestag (Dr. Hermann-Josef Tebroke) sind Schausteller aus der halben Republik nach Gladbach gekommen.

NRW-Innenminister Herbert Reul zeigt Verständnis.

NRW-Innenminister Herbert Reul zeigt Verständnis.

Umzäunte temporäre Freizeitparks, wie sie derzeit in einigen Städten genehmigt würden, seien reine Placebos, davon habe sich auch NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) bereits bei einem Treffen auf einem solchen Platz überzeugen können. „In drei Stunden kamen 250 Besucher“, so Ritter. Er zeigt sich fassungslos: „Am 1. September öffnen in manchen Bundesländern schon wieder Bordelle, aber zwei Kinder darf man nicht auf einer Kirmes auf ein Karussell setzen.“ Dabei finde die Kirmes im Freien statt.

Ruhige Sicherheitslage in Rhein-Berg

Eine Einsatzhundertschaft der Polizei fuhr am Samstag kurz vor Beginn der Infoaktion zur Lage von Kirmes und Schaustellern am Gladbacher Konrad-Adenauer-Platz vor. Die Sicherheitskräfte, die für den Schutz von NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) zuständig waren, hatten davon erfahren, dass Demonstranten der eigentlich für zwei Stunden später am Wohnort von Reul in Leichlingen angemeldeten Kundgebung eines „Forums gegen Polizeigewalt und Repression“ nach Gladbach kommen wollten. Am Ende kam nur eine Handvoll, die Lage blieb ruhig. Ebenso in Leichlingen, wie Polizeisprecher Richard Barz am Samstagabend meldete. (wg)

„Wir Schausteller sind kooperationsbereit“, betont Ritter und fordert zugleich vorausschauend Chancengleichheit: „Eine Pommesbude an der Strandpromenade darf öffnen, aber eine Weihnachtsmarktbude soll eine Hochsicherheitszone sein?“ Die Schausteller hätten mit Behörden, Berufsgenossenschaft und Tüv abgestimmte Hygienekonzepte längst ausgearbeitet, so Ritter mit Blick auf das bis Ende Oktober verlängerte Großveranstaltungsverbot. „Wenigstens die Weihnachtsmärkte müssen als letzter Rettungsanker laufen, sonst halten wir nicht durch.“

Schaustellerbund-Präsident Albert Ritter (l.) im Gespräch mit Wolfgang Bosbach und NRW-Innenminister Herbert Reul.

Schaustellerbund-Präsident Albert Ritter (l.) im Gespräch mit Wolfgang Bosbach und NRW-Innenminister Herbert Reul.

NRW-Innenminister Reul zeigt sich sichtlich betroffen: Kirmes sei ein Kulturgut, bekennt er. Wenn man angesichts der weiteren Corona-Entwicklung nicht schnell genug so weit kommen könne, Kirmessen wieder zuzulassen, dann müsse „der Staat gucken, was er machen kann“, sagt Reul im Hinblick auf mögliche Hilfen. Bei den Schaustellern seien vielleicht nicht so viele Familien betroffen wie in einem Großkonzern, dafür ständen sie aber vor dem endgültigen Aus. „Wenn Sie eins geschafft haben“, so Reul zu Unrau und Ritter, „Sie haben mich in Unruhe versetzt. Vielen Dank.“

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Der langjährige Bundestagsabgeordnete Wolfgang Bosbach (CDU) spricht sich am Rande der Veranstaltung ebenso für dringend nötige Hilfe aus wie sein Nachfolger. Dr. Hermann-Josef Tebroke verspricht, einen von Unrau formulierten Hilferuf an Bundeskanzlerin Angela Merkel zu übergeben, zusammen mit einem Bild vom Besuch in Gladbach, als sie ebenso wie Herbert Reul auf dem Kettenkarussell mitfuhr. „Es geht hier nicht ums Oktoberfest oder Pützchens Markt“, appelliert Unrau, „es ist wichtig, dass auch die kleineren und mittleren Kirmessen wie hier in Gladbach überleben.“

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