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ErinnerungenDie Fortuna-Familie vergisst nicht

Lesezeit 3 Minuten

Die Arbeitersiedlung Fortuna war ihre Heimat: Fast 30 Jahre nach der Abbaggerung des Ortes feierten mehr als 100 Fortunesen in Oberaußem ein nostalgisches Wiedersehen.

Bergheim-Oberaußem – Auf der Kohle aufgebaut, dank der Kohle zu bescheidenem Wohlstand gekommen und am Ende dann von der Kohle verschlungen: Das ist die bewegte und bewegende Geschichte der Arbeitersiedlung Fortuna – gegründet um 1900, niedergerissen im Jahr 1984 – in Kurzform. Fast nichts haben die Bagger von dem einst blühenden Ort übrig gelassen, der sich dort befand, wo heute der inzwischen vollständig rekultivierte Braunkohletagebau Bergheim ist. Nur ihre Erinnerungen an Fortuna kann den ehemaligen Einwohnern niemand nehmen. Wie lebendig sie auch nach 30 Jahren noch sind, war am Samstagabend bei einem großen Fortunesentreffen in der Gaststätte Lipp zu spüren.

„Zwei Friseure, drei Metzgereien, vier Kneipen, Kirche, Schule, Kindergarten, jede Menge Vereine und vor allem diesen großartigen Zusammenhalt untereinander – wir hatten alles, was zu einem richtigen Dorf gehört“, schwärmt Eleonore Bandt. Die heute 56-Jährige, die in den 60er- und 70er-Jahren ihre Kindheit und Jugend in Fortuna verbracht hat, hat die Wiedersehensfeier organisiert. Sie freut sich riesig darüber, dass mehr als 100 ehemalige Fortunesen ihrer Einladung gefolgt sind.

Manche fallen sich beim Eintreffen spontan in die Arme, andere erkennen sich nicht gleich wieder und mustern sich zunächst einmal fragend. Doch je länger der Abend dauert, umso klarer werden die Bilder aus den guten alten Zeiten. Ein Programm ist nicht vorbereitet; man erzählt einfach von früher und schwelgt hemmungslos in Fortuna-Nostalgie.

Die besten Jahre in den 1950ern hat Erika Erkelenz, 1931 in Fortuna geboren, miterlebt. Mehr als 2000 Einwohner hatte die Siedlung damals, und fast alle Männer arbeiteten im Tagebau Fortuna, im Kraftwerk Fortuna oder in der Brikettfabrik Fortuna. „Wir waren ein richtiger Bergarbeiter-Ort mit einfachen, herzlichen Menschen. Weil händeringend Arbeitskräfte für die Kohle gesucht wurden, kamen sie aus allen Himmelsrichtungen zu uns nach Fortuna.“

„Fortuna war praktisch der erste Multi-Kulti-Ort im Erftkreis“, bestätigt Werner Nöhlen, „vor dem Ersten Weltkrieg waren es Menschen aus Bayern, Thüringen, Schwaben oder Sachsen, die als Arbeiter für die damals richtig aufblühende Kohleindustrie angeworben wurden, später folgten dann Polen, Italiener und Türken.“ Doch als Fortunesen hätten sich irgendwann alle gefühlt. „Und bei mir standen sie alle an der Theke“, ergänzt Edith Kasdorf. Sie war in den 1970er-Jahren die Wirtin der Fortuna-Stuben. „Bei mir haben sich vor allem die Jungs aus dem Motorradclub, dem Fußballverein und dem FC-Fanclub getroffen. Das war schon eine wilde Zeit.“

In der Erinnerung verkläre sich allerdings manches, sagt Franz-Josef Aschenbrenner und erzählt von den Jahren, als es mit Fortuna zu Ende ging. In den 1960ern hatte man entdeckt, dass unter dem Ort große Mengen bester Braunkohle lagern, und bei der RWE-Vorgängerin Rheinbraun reifte der Plan, zwischen Bergheim und Oberaußem einen der ersten Großtagebaue zu erschließen. Die Siedlung Fortuna, das alte Kraftwerk, das Kloster Bethlehem – alles sollte weg. Wenig später begann der Prozess, den die Fortunesen heute als „schleichende Umsiedlung“ bezeichnen. Mit zunächst sanftem, später härterem Druck sowie kleinen finanziellen Anreizen wurden immer mehr Familien dazu bewegt, nach Niederaußem, Oberaußem, Bergheim oder Quadrath-Ichendorf umzuziehen.

Die Gegenwehr war gering. „Was sollten die Leute machen? Die meisten lebten ja zur Miete in Fortuna-Werkshäusern, die Rheinbraun gehörten“, sagt Eleonore Bandt, „immer mehr zogen weg, Fortuna wurde ganz allmählich zum Geisterdorf mit zugemauerten Türen und Fenstern. Es war ein langes und langsames Sterben. 1984 wurde das letzte Gebäude abgerissen.“

Die Familie des heute 50-jährigen Matthias Ertl harrte bis 1982 in Fortuna aus: „Am Ende kamen sie aus den benachbarten Orten, um sich für ihre Polterabende die Dachpfannen von den verlassenen Häusern zu holen. Das hat schon weh getan. Aber nicht wenige Fortunesen hatten nach meiner Erinnerung durchaus ein gewisses Verständnis für die Umsiedlung. Die meisten hatten der Braunkohle schließlich ihren Arbeitsplatz zu verdanken.“