Umstrittene FestnahmeNeue Aufnahmen und die Frage nach der Verhältnismäßigkeit

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Szene aus dem Video: Beamte fixieren jungen Mann per Knieeinsatz. 

Szene aus dem Video: Beamte fixieren jungen Mann per Knieeinsatz. 

  • Der Landtag befasst sich mit dem umstrittenen Polizei-Einsatz gegen einen 15-Jährigen in der Düsseldorfer Altstadt.
  • Weitere Videos entlasten nach Darstellung von NRW-Innenminister Herbert Reul den betroffenen Polizisten.
  • Doch die Frage nach der Verhältnismäßigkeit des Einsatzes bleibt offen.

Düsseldorf – Umfassende Aufklärung über den Polizeieinsatz am Samstag in der Düsseldorfer Altstadt hatte NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) versprochen. Ein Einsatz, bei dem ein 15-Jähriger festgenommen wird, wenig später ein kurzes Video im Netz auftaucht, das ihn am Boden liegend zeigt, fixiert durch einen Polizisten (29), den Kopf des jungen Mannes unter seinem Knie. Bilder, die jeden Betrachter unwillkürlich an den Tod von George Floyd in Minneapolis erinnern.

Weitere Videoaufnahmen aufgetaucht

Bis der Fall, in dem aus Neutralitätsgründen die Duisburger Polizei gegen vier Düsseldorfer Beamte ermittelt, die an dem Einsatz beteiligt waren, geklärt ist, wird noch einige Zeit vergehen. Doch jetzt sind weitere Videoaufnahmen aufgetaucht, die vor allem den Beamten entlasten, der den 15-Jährigen auf dem Boden fixiert hat.

Es ist ein schwieriger Job, den Reul übernommen hat. Weil in der Öffentlichkeit und in der Politik seit Tagen Dinge vermischt werden, die nichts miteinander zu tun haben. Dass der 15-Jährige kein unbeschriebenes Blatt, sondern ein polizeibekannter Mehrfachtäter ist, der sich im November 2020 wegen vorsätzlicher Körperverletzung verantworten muss, darf bei der Beurteilung des Polizeieinsatzes keinerlei Rolle spielen. „Für mich ist völlig klar“, sagt Reul im Ausschuss, „sollte es bei diesem Einsatz zu einem Fehlverhalten von einem oder mehreren Polizisten gekommen sein, wird dem konsequent nachgegangen – nicht nur strafrechtlich, sondern auch disziplinarrechtlich.“

Alles zum Thema Herbert Reul

Das Auflegen des Knies oder Schienbeins auf das Ohr oder den Kieferknochen sei „zumindest grundsätzlich“ von den Vorschriften gedeckt, der Hals hingegen wegen der direkten Einwirkung auf wichtige Blut- und Nervenbahnen tabu, so der Innenminister. Doch selbst wenn die Eingriffstechnik im Falle des 15-Jährigen mit den Vorschriften übereinstimme, müsse noch die Frage beantwortet werden, ob sie verhältnismäßig war oder es ein milderes Mittel gegeben hätte. Im Innenausschuss des Landtags stellt Reul am Donnerstag neue Ergebnisse der Ermittler vor. Aufzeichnungen von vier Überwachungskameras, die das Geschehen vor einer McDonalds-Filiale in der Düsseldorfer Altstadt aus anderer Perspektive zwar nicht lückenlos, aber doch recht genau dokumentieren, tragen laut Reul erheblich dazu bei.

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c ausgewertet und festgestellt, dass „die angewandte Eingriffstechnik den in Aus- und Fortbildung vermittelten Techniken entspricht“. Ob sie verhältnismäßig war, dazu sagt das Landesamt nichts.

Auch gegen den 15-Jährigen wird weiter ermittelt 

Es dürfe aber auch nicht der Eindruck entstehen, „wir würden nur ein mögliches Verhalten der Polizeibeamten verfolgen“, sagt Reul. Es werde auch gegen den „im Übrigen polizeilich als Mehrfachtäter auch bei Gewaltdelikten in Erscheinung getretenen Jugendlichen ermittelt“. Am Samstagabend hat der 15-Jährige mit dem Polizeieinsatz vor dem Schnellrestaurant, bei dem es um zehn Randalierer ging, zunächst gar nichts zu tun. Er habe sich eingemischt und einen Polizisten angegriffen, als die Beamten Personalien aufnahmen und Platzverweise erteilten. Weil er keinen Ausweis bei sich hatte, habe man ihm erklärt, dass er zur Feststellung seiner Personalien mit auf die Wache müsse. Daraufhin habe er die Polizisten beleidigt und um sich geschlagen habe. Als man ihm Handfesseln anlegen wollte, sei er auf den Boden gedrückt und fixiert worden. Das habe, so legen es die Videoaufzeichnungen nahe, zwei Minuten und 18 Sekunden gedauert.

Gegen 20.45 Uhr wird der Festgenommene, gegen den wegen Beleidigung, tätlichen Angriffs und Widerstands gegen die Staatsgewalt ermittelt wird, auf der Polizeiwache Stadtmitte von einem Elternteil abgeholt. Nur 16 Minuten später hält er sich wieder an der McDonalds-Filiale auf, wie die Auswertung der Videoüberwachung belegt. Am Sonntag kommt es um 17.04 Uhr zu einem Polizeieinsatz in Düsseldorf-Hassels wegen eines Streits unter 20 bis 30 Jugendlichen. Unter ihnen der 15-Jährige – mit nacktem Oberkörper. Den Beamten erzählt er freimütig, er sei am Vortag in der Innenstadt wie George Floyd „verwickelt gewesen“ und zeigt dabei auf seinen Nacken. Auf Nachfrage antwortet er, dass er nicht verletzt sei und es ihm gut gehe. „Die Beamten gaben an, dass keine offensichtlichen Verletzungen an Kopf, Oberkörper oder Gesicht festgestellt wurden“, sagt Reul. Warum er am gleichen Abend um 21 Uhr in einem Düsseldorfer Krankenhaus stationär behandelt und am Montagmittag wieder entlassen wurde, darüber liegen bisher keine Erkenntnisse vor.

Heftiger Schlagabtausch im Ausschuss

Der grüne Lokalpolitiker Samy Charchira hatte nach einem Besuch bei der Familie berichtet, der 15-Jährige habe ein Schädel-Hirn-Trauma ersten Grades durch den Zugriff erlitten. Einen Tag habe er zur Beobachtung im Krankenhaus verbracht. „Er erlitt mehrere Prellungen im Gesicht, am Schädel, im Becken, an der Brust- und Halswirbelsäule. Seine psychische Verfassung, aber auch die seiner Eltern ist prekär.“

Diese Aussage sorgt im Ausschuss für einen heftigen Schlagabtausch, bei dem die wenigen Sachargumente untergehen. Der CDU-Innenpolitiker Gregor Golland erneuert seinen im „Kölner Stadt-Anzeiger“ geäußerten Vorwurf, SPD und Grüne würden „Hetze und Kesseltreiben gegen Polizeibeamte betreiben“; der SPD-Abgeordnete Hermut Ganzke empört sich: „Du hast genau das getan, was der Innenminister nicht gemacht hat. Du hast gehetzt mit solchen Aussagen. Das ist das Gefährliche: Dass es Menschen gibt, die im Parlament systematische Hetz- und Verleumdungskampagnen starten.“

Man sollte die Duisburger Polizei und die Düsseldorfer Staatsanwaltschaft in Ruhe ermitteln lassen, mahnt Reul. Das dürfte schwierig werden. 

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