„Es ging so nicht weiter“Hendrik Wüst im Live-Talk zur Mallorca-Affäre

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Ministerpräsident Hendrik Wüst im Gespräch mit Carsten Fiedler und Eva Quadbeck

Köln – NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) verfolgt vor der Landtagswahl am 15. Mai nur ein Ziel. Er will die Koalition mit der FDP fortsetzen. Ob das realistisch ist oder er am Ende auf ein Dreierbündnis mit Grünen und Liberalen angewiesen sein könnte, diese Frage bleibt beim Live-Talk im Kölner Mediapark mit Carsten Fiedler, Chefredakteur des „Kölner Stadt-Anzeiger“, und Eva Quadbeck, Leiterin des Hauptstadtbüros des „RedaktionNetzwerk Deutschland“ offen.

Mallorca-Affäre: „Der Rücktritt war angezeigt“

Über die Grünen und den SPD-Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten, Thomas Kutschaty, verliert der CDU-Politiker kein Wort zu viel. Stattdessen stand zunächst die „Mallorca-Affäre“ seiner erst einen Tag zuvor zurückgetretenen Umweltministerin Ursula Heinen-Esser im Mittelpunkt des Gesprächs: „Die Konsequenz war richtig, der Rücktritt war angezeigt. Es ging so nicht weiter, diese Einschätzung teile ich, und so ist es passiert. Ursula Heinen-Esser hat mir ihren Rücktritt angeboten, und ich habe ihn angenommen.“ Auf die Frage, ob er von Heinen-Essers Reise auch schon zu seiner Zeit als Verkehrsminister von NRW (das war er von 2017 bis 2021) erfahren habe, antwortete Wüst:

„Ich habe jetzt im Zuge der Aufklärung des zweiten Teils des Mallorca-Aufenthalts von Frau Heinen-Esser davon erfahren.“ Er sei tatsächlich nicht über die Reiseaktivitäten Heinen-Essers unterrichtet gewesen, denn: „Man wird als Minister auch nicht über Reisen von Kabinettskollegen informiert, auch nicht als Ministerpräsident. Teil der Berufung in ein solches Amt ist, dass eine Ministerin und ein Minister immer im Dienst ist.“ Wüst unternahm im Anschluss an die Fragen, den Versuch, die Affäre für beendet zu erklären: „Es ist ja so, dass wir jetzt den Rücken zu diesem Thema freihaben.“ Ein Wunsch, der so nicht in Erfüllung gehen wird: Die SPD im Landtag hat bereits weitere Fragen zur Aufklärung der Mallorca-Affäre angekündigt.

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Hochwasser: „Wir müssen uns stärker mit Risiken und Gefahren auseinandersetzen“

Von 15.000 Anträgen auf Fluthilfe-Entschädigung von Privathaushalten sind laut Wüst 90 Prozent vom NRW-Bauministerium bearbeitet und bewilligt. Um die Hilfen für die Unternehmen kümmere sich das Wirtschaftsministerium. 380 Millionen Euro seien inzwischen ausgezahlt.

Beim Katastrophenschutz müsse man die richtigen Lehren aus dem Juli-Hochwasser ziehen. „Das Wichtigste ist aber, und das sehen wir sowohl beim Katastrophenschutz im zivilen Bereich als auch durch die Ukraine-Krise beim Thema Bundeswehr: Wir müssen uns wieder stärker mit Risiken und Gefahren auseinandersetzen.“

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Aufmerksame Zuhörer im Komed im Mediapark

Der Katastrophenschutz sei in erster Linie keine Frage der Zuständigkeit, „sondern dass alle miteinander Dinge üben und trainieren. Man kann das nicht machen wie im Büroalltag, ich schicke mal eine Mail und dann ist der Job gemacht.“

Er sei in den vergangenen zwei Jahren viermal in Bad Münstereifel gewesen, einmal vor und dreimal nach der Flut, sagt Wüst. Die Menschen beeindruckten ihn jedes Mal aufs Neue. „Die schmeißen die Flinte nicht ins Korn und bauen wieder auf.“

Das sei eine „tolle Anpacker-Mentalität. Das fand ich sehr beeindruckend.“ Er selbst wohne nicht weit vom Rhein entfernt. „Wenn ich das sehe, wie lange es dauert, die Deiche umzubauen und dem Rhein mehr Raum zu geben – das sind Generationenprojekte. Da stellt sich die Frage, wie viel Langsamkeit gönnen wir uns in diesem Land. Die Umsetzung der Dinge dauert oft viel zu lange.“

Flüchtlinge: „Der Staat muss sich darauf vorbereiten, dass diese Menschen länger bleiben“

Die beschlossenen zwei Milliarden Euro, die der Bund den Ländern und Kommunen für die Unterbringung geflüchteter Menschen aus der Ukraine zur Verfügung stellt, „klingt nach viel Geld, aber die Aufgabe ist auch verdammt groß“, sagt der Ministerpräsident.

„Wir haben es hier mit Menschen zu, die nun wirklich Hilfe brauchen und nicht nur ein Dach über dem Kopf.“ Vor allem die Kinder bräuchten neben einem Platz in der Kita oder Schule auch psychosoziale Betreuung. „Die sind traumatisiert. Man soll in einer solchen Situation nicht über Geld feilschen, am Ende muss aber die Rechnung bezahlt werden“, so Wüst. Es seien vor allem Frauen mit Kindern, die aus der Ukraine flüchten. „Die will ich so schnell wie möglich aus den großen Einrichtungen raushaben.“

Die Kommunen bräuchten Verlässlichkeit. „Ich bin da Anwalt der Kommunen.“ Die Kosten seien doppelt so hoch wie bei der Fluchtbewegung 2016. Derzeit sei der Bund bei einem Kostenanteil von 50 Prozent, „aber weit weg von den Kosten, die die Kommunen haben.“

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Das Interesse am Live-Talk ist groß.

Städten und Gemeinden seien vom Bund über die Jahre immer mehr Soziallasten aufgebürdet worden. In NRW seien sie vor allem durch den Strukturwandel im Ruhrgebiet „in einer nicht so guten Verfassung wie in Bayern oder Baden-Württemberg“, so Wüst. Während der Pandemie hätten die Länder es geschafft, dass der Bund bis zu 74 Prozent der Kosten für die Unterkunft übernimmt. Das sei ein Anfang. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) habe ihm zugesichert, auch das Thema Altschulden anzugehen. „Das steht im Koalitionsvertrag“, so Wüst. „Wir werden unseren Teil tragen.“

In den ersten Tagen nach der Ankunft hätten die Geflüchteten nur ein Ziel vor Augen: so schnell wie möglich in die Ukraine zurückzukehren, sagt Wüst. „Damit müssen wir sensibel umgehen.“ Bei dem Ausmaß der Zerstörungen gehe er aber davon aus, dass die Menschen viel länger in Deutschland bleiben werden. „Deswegen ist es gut, dass wir über Integration nachdenken, auch in den Arbeitsmarkt. Ich glaube, das muss erst einmal bei den Menschen ankommen. Diese Zeit sollten wir ihnen auch lassen.“ Der Staat müsse sich aber darauf vorbereiten.

Ehrenamt: „Wir müssen die Koordinierung ehrenamtlicher Hilfe auf die Agenda setzen“

Aus dem Flüchtlingsstrom des Jahres 2015 habe man einige Lehren gezogen, sagt der Ministerpräsident. Jetzt müssten die staatlichen Stellen beweisen, dass das auch zu spüren ist. Bei der Registrierung der Geflüchteten scheine das nicht überall der Fall zu sein. Ohne ehrenamtliche Hilfe seien die Folgen des Ukraine-Kriegs nicht zu meistern. Wenn der Staat alle diese Einrichtungen, die von Ehrenamtlern betrieben werden, dauerhaft vorhalten müsse, ohne zu wissen, wann sie benötigt werden, „überfordern wir uns selbst“.

Entscheidend sei, dass der Staat die Koordinierung übernehme und den Zivilschutz besser organisiere. „Das haben wir bei Flut gesehen. Da sind unglaublich viele Menschen einfach losgefahren, aus meinem Dorf 200 Bauern mit ihren Treckern über die Autobahn ins Ahrtal. Nach 14 Tagen haben sie gesagt, jetzt müsste doch mal einer kommen und uns ein bisschen strukturieren. Genau da müssen wir besser werden.“

Bundeswehr: „Das Kerngeschäft der Bundeswehr ist die Bündnisverteidigung“

Das „Kerngeschäft“ der Bundeswehr sei die Bündnisverteidigung. „Sie wird im Sommer einen Großteil ihrer Panzer ins Baltikum verlegen, um die Ostflanke der Nato zu sichern“, sagt der NRW-Ministerpräsident. Deutschland könne sich künftig bei Katastrophen wie Flut, Pandemie und Flüchtlingen nicht immer auf die Bundeswehr verlassen. Zum Zustand der Armee sagt Wüst wörtlich: „Wir haben unsere Verteidigung in einem Bündnis organisiert. Dass wir Deutsche dazu einen beeindruckenden Beitrag leisten würden, kann man nicht unterstellen.“

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Das RedaktionsNetzwerk Deutschland hatte den Ministerpräsidenten eingeladen.

Dass der Bund über ein Sondervermögen 100 Milliarden Euro in die Bundeswehr investiere, sei richtig. Es müsse aber gesichert sein, dass am Ende aber jeder Cent auch in die Armee fließe.

Energiekrise: „Der Schaden muss bei Putin ausgelöst werden und nicht bei uns“

Für Hendrik Wüst ist ein komplettes Energieembargo, also auch der Verzicht auf russisches Öl und Gas, keine Option. Aber: „Wir müssen so schnell wie möglich davon unabhängig werden.“

Jedes Embargo müsse dazu führen, dass der „Schaden bei Putin und nicht bei uns ausgelöst wird. Wir müssen das, was wir tun, auch möglicherweise über eine lange Zeit durchhalten.“ Die Folgen eines Verzichts auf Gas aus Russland seien für ein Industrieland wie Nordrhein-Westfalen „unübersehbar“. Stahlwerke und Chemieanlagen müssten kontinuierlich laufen. Ein Abschalten könnte sie zerstören.

Die Landesregierung habe eine Energieversorgungsstrategie in Arbeit, die auf die neue Situation eingehe. „Ein Worst-Case-Szenario haben wir hier und heute nicht. Selbst die Wirtschaftsweisen tun sich schwer, über den ganz dicken Daumen zu peilen, sind das drei, acht oder zehn Prozent“ des Bruttoinlandprodukts, so Wüst.

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Bei der Begrüßung: Hendrik Wüst mit Eva Quadbeck und Carsten Fiedler

In fünf Jahren den kompletten Energiebedarf des Landes NRW über die Erneuerbaren zu decken, sei schon „ein ziemlich großes Ziel. Wir haben uns vorgenommen, 2030 aus der Kohle auszusteigen. Das war schon ambitioniert. Und da war der volle Import des russischen Gases noch mit drin.“ Einen Ausstieg binnen fünf Jahren habe sich nicht einmal die Ampelkoalition vorgenommen.

NRW gehe voran, werde Windräder auf Schadensflächen in den Wäldern genehmigen, Solaranlagen auf schwachen Agrarflächen und auf großen Wasserflächen wie Baggerseen möglich machen. Trotz der Energiekrise will Wüst den Kohleausstieg 2030 „heute nicht über Bord werfen. Das nimmt den innovativen Druck, am Ausbau der Erneuerbaren dranzubleiben. Ich würde maximalen Pragmatismus auf dem Weg dahin empfehlen.“

Corona-Pandemie: „Eine zweite Chance für die Impfpflicht würde ich begrüßen“

Es sei ein „falscher Weg“ gewesen, die Impfpflicht „kollektiv zur Gewissensentscheidung“ zu erklären. Das hätten SPD, FDP und Grüne bei ihren Koalitionsverhandlungen in Berlin so entschieden, „um sie nicht zu überfrachten“ und dem Konflikt aus dem Weg zu gehen. Die Ampelkoalition habe sich „rausgemogelt, das hat doch jeder gesehen“.

„Ich habe dem Kanzler das Angebot für die CDU geführten Länder unterbreitet, über die Impfpflicht und das Infektionsschutzgesetz zu reden.“ Das sei abgelehnt worden. „Ich würde es begrüßen, wenn es noch eine zweite Chance für die Impfpflicht gebe.“

Die Ampel habe dann noch den Fehler gemacht, weder die Bundesländer noch die CDU-Fraktion um Bundestag einbezogen. Das gelte auch für das Infektionsschutzgesetz. Es war „tollkühn darauf zu spekulieren, dass die CDU-Bundestagsfraktion bei dem Thema auseinanderbricht“.

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