90 Prozent aller Baustellen werden von der Infrastrukturgesellschaft der DB zu spät angekündigt, klagen Michael Hetzer und Tobias Krogmann, die Chefs von National Express. Das verschärfe das Chaos auf der Schiene.
Bahnchefs von National Express„Wir haben die Wahl zwischen Pest und Cholera“

Pendleralltag in NRW: Auf dem vollen Bahnsteig im Kölner Hauptbahnhof warten Reisende auf den nächsten Regionalzug.
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Bahnchef Richard Lutz und Ministerpräsident Hendrik Wüst haben in dieser Woche in Düsseldorf eine Kooperationsvereinbarung der Deutschen Bahn (DB) und des Landes im Kampf gegen den Sanierungsstau unterschrieben. Alles soll besser werden: die Planungen schneller, die Baustellen professioneller kommuniziert, der Fahrplan verlässlicher. Was sagen die Chefs von National Express dazu?
Michael Hetzer: Abwarten. Aus unserer Perspektive, und das ist die eines privaten Eisenbahnverkehrsunternehmens, müssen wir leider feststellen, dass momentan das Gegenteil der Fall ist.
Das spüren die Pendler in NRW jeden Tag. Die können die Begründungen, warum der Regionalzug zu spät kommt und die S-Bahn ausfällt, schon nicht mehr hören: „Verspätung aus vorheriger Fahrt, wegen eines vorausfahrenden Zuges, wegen Personalmangels, Signalstörungen, Personen im Gleis, Überholungen und so weiter.“ Informationen, die niemandem nutzen, sondern den Frust erhöhen. Finden Sie nicht?

Tobias Krogmann und Michael Hetzer (rechts), die Geschäftsführer des Eisenbahnverkehrsunternehmens National Express, stehen im Juli 2025 vor einem Regionalzug im Kölner Hauptbahnhof.
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Hetzer: Mag sein. Aber für uns ist das schon von Bedeutung. Weil die Menschen in unserem Zug sitzen, wenn der aufs Nebengleis geschoben wurde, weil der Fernverkehr Vorrang hat. Oder sie am Bahnsteig auf unseren Zug warten. Unser Personal muss den Frust ertragen. Dabei können wir für die meisten Verspätungen gar nichts.
Das sagen alle. Jeder schiebt die Schuld auf den anderen.
Hetzer: Nein. Wir können das nachweisen. Bei den Baustellen zum Beispiel. Inzwischen werden mehr als 90 Prozent von der DB InfraGo nicht fristgerecht angekündigt, obwohl sie dazu verpflichtet ist. Das ist eine der Hauptursachen für das Chaos.
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Warum ist das so ein Problem? Wenn eine Linie wegen einer Baustelle ausfällt, könnten Sie das Fahrpersonal doch auf einer anderen Verbindung einsetzen.
Hetzer: So einfach geht das nicht. Alle Eisenbahnunternehmen, die Tarifverträge mit der Lokführer-Gewerkschaft GDL abgeschlossen haben, müssen die Schichtpläne für ihre Lokführer und Lokführerinnen mit einem Jahr Vorlauf aufstellen. Immer im November. Wer hat an welchem Tag welche Schicht, Früh-, Spät- oder Nachtschicht? Und zwar für das gesamte Jahr. In der Mitte des Vormonats müssen wir den Lokführern den Monatsplan vorlegen. Da hat man noch eine Karenzzeit von einer Stunde bei jeder Schicht. Eine Woche vorher muss präzise der Anfang und das Ende jeder Schicht feststehen. Wir teilen unserem Personal mit, welche Linie es fährt, wann und wo die Pausen sind. Wenn es später noch Änderungen gibt, kann ein Lokführer ablehnen. Eine Stunde früher kommen, geht zu diesem Zeitpunkt nur noch auf freiwilliger Basis. Das ist nicht nie böser Wille oder gesteigerte Unlust. Wenn man die Kinder vom Kindergarten abholen muss, kann man nicht immer flexibel reagieren.
Das klingt zumindest nach verlässlicher Planung.
Hetzer: Ja. Und das könnte auch funktionieren. Aber dann kommt die DB InfraGo daher und informiert uns mit einem Vorlauf von ein paar Wochen, dass zum Beispiel eine lang geplante Baustelle zwischen Köln und Bonn verschoben wird. Eine Baustelle, von der es vorher hieß, das gesamte Jahr 2025 braucht ihr mit eurer Regionalbahn dort nicht zu fahren. Und dann mit wenig Vorlauf auf einmal doch wieder.
Und warum fahren Sie dann nicht?
Hetzer: Weil das Personal längst anderweitig verplant ist und das jeden Wochen- und Monatsplan durcheinanderwirbelt. Wir haben 330 Lokführer, aber der Personalmangel ist immer noch ein Problem. Die Lage hat sich zwar etwas entspannt, wir bilden mit einem enormen Aufwand aus und leisten uns bis zu 50 Leih-Lokführer. Die sind bis circa doppelt so teuer wie unser Stammpersonal.
Beim Fahrgast bleibt hängen: Da fallen komplette Linien aus, obwohl gar nicht gebaut wird. Das versteht doch kein Mensch.
Hetzer: So ist es. Die Pendler sind zu Recht verärgert und machen uns dafür verantwortlich. Weil sie die Hintergründe nicht kennen.
Die vielen Baustellen in NRW und vor allem im Rheinland werden uns noch Jahre begleiten. Was ist die Lösung?
Tobias Krogmann: Es heißt immer, die Infrastruktur und die vielen Baustellen seien das Problem. Das stimmt nur zum Teil. Der Umgang damit ist das Problem.
Das klingt kompliziert. Entweder man baut oder nicht. Was ist daran so schwierig?
Hetzer: Die Bahn darf nicht eine Strecke wegen ihres Generalsanierungsprogramms für ein halbes Jahr sperren und gleichzeitig auf der Ausweichstrecke nachts einen Baucontainer aufstellen. Für kurzfristige Reparaturen. Sie hat sich verpflichtet, auf den Umleitungsstrecken grundsätzlich nicht parallel zu arbeiten. Dennoch kommt das immer wieder vor. Am Ende müssen wir nachweisen, dass wir für die Verspätungen, die aus einer solchen Baumaßnahme entstehen, nicht verantwortlich sind. Sonst müssen wir Vertragsstrafen zahlen. Und das ist ja längst nicht alles.
Was denn noch?
Krogmann: Unsere Linien führen einmal quer durch Nordrhein-Westfalen. Der Rhein-Ruhr-Express fährt zwischen Aachen und Hamm durch nahezu jede Baustelle, die es in NRW gibt. Das versetzt unser Personal in Stress. Für unsere Mitarbeitenden stellt sich immer wieder die Frage: Erreiche ich meinen Endbahnhof einigermaßen pünktlich oder muss ich vorher abbrechen und umdrehen? Die Triebfahrzeugführer dürfen die vorgeschriebenen Arbeitszeiten schon allein aus Sicherheitsgründen nicht überschreiten.
Wer entscheidet darüber, ob sie vorzeitig umkehren oder die Verspätung bis zum Endbahnhof mitschleppen?
Krogmann: Wir. Jede Verspätung macht das System ineffizienter. Wenn wir unpünktlich kommen, sind die Werkstätten oder die Entsorgungsstellen belegt, dann können beispielsweise die Toiletten nicht entleert werden. Häufig müssen wir die Züge erst wieder zu ihren Einsatzorten schaffen, weil das Personal irgendwo unterwegs gestrandet ist. Die Kollegen aus dem Betrieb bezeichnen das als Spinnennetz.
Das Spinnennetz?
Hetzer: Ja. Wenn man sich einmal darin verfangen hat, kommt man so leicht nicht wieder heraus. Deshalb versuchen wir natürlich alles, um Verspätungen zu vermeiden. Weil das für uns wegen der Strafzahlungen wirtschaftlicher ist. Aber im Grunde ist das die Wahl zwischen Pest und Cholera.
In der Regel brechen Sie die Fahrt vor dem Endbahnhof ab, damit Sie auf dem Rückweg wieder in den Takt kommen und pünktlich sind.
Hetzer: Ja. Das kommt leider immer wieder vor. Letztlich entscheidet das die Leitstelle, also unsere Mitarbeitenden in den Stellwerken. Die vorzeitige Wende ist für unsere Kunden besonders ärgerlich, weil sie bereit seinem verspäteten Zug sitzen und am Ende nicht einmal ihr Ziel nicht erreichen. Und für die Reisenden, die auf dem Bahnsteig des Endbahnhofs stehen, der für sie der Startpunkt ist, und auf den Zug warten, natürlich auch. In dieser Hinsicht sind die Bahnhöfe von Krefeld und Koblenz unsere größten Sorgenkinder.
Wenn Sie das doch wissen: Warum stellen Sie keine Ersatzzüge bereit?
Hetzer: Genau das tun wir auch. Das sind aber zusätzliche Verkehrsleistungen, die wir mit zusätzlichem Personal und erbringen müssen. Das verursacht zusätzliche Kosten. Darüber müssen wir mit den Aufgabenträgern, beispielsweise go.Rheinland oder dem Verkehrsverbund Rhein-Ruhr, erst verhandeln und eine finanzielle und organisatorische Lösung finden. Solche Entscheidungen können sich über Monate hinziehen. Und wir haben darauf keinen Einfluss.
Was schätzen Sie? Für welchen Prozentanteil an den Verspätungen sind Sie verantwortlich?
Hetzer: Knapp 58 Prozent der Verspätungsminuten sind bei unseren Zügen im vergangenen Jahr auf Infrastrukturprobleme und Engpässe zurückzuführen. Häufigste Ursache in dieser Kategorie war die Überlastung des Netzes. Wir als Zugbetreiber haben 15 Prozent zu verantworten. Darunter fallen Personalprobleme, Fahrzeugausfälle und andere Störungen in unserem Betrieb. Acht Prozent sind externe Einflüsse. Zu guter Letzt tragen Folgeverspätungen mit mehr als 15 Prozent zu den Verspätungsminuten bei. Das sind Verspätungen, die sich beispielsweise ergeben, wenn wir an einem Endpunkt schon unpünktlich angekommen sind.
Was muss sich ändern?
Hetzer: Verspätungen werden sich wegen der maroden Infrastruktur und der vielen Baustellen in NRW auf lange Zeit nicht vermeiden lassen. Was wir konkret brauchen, sind auskömmliche Verkehrsverträge, als Nachbesserungen bei den alten und bei Neuausschreibungen von Linien, die wieder einen echten Wettbewerb ermöglichen. Wir fahren jährlich über 21 Millionen Zugkilometer auf sieben Linien in NRW und sind überproportional betroffen. Die zahlreichen Baumaßnahmen der DB InfraGo führen nicht nur zu betrieblichen Einschränkungen, sondern auch zu einem massiv erhöhten Personalaufwand.