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Mädchen mit Down-SyndromKölnerin Sonea kämpft um einen Schulplatz

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Mutter Katharina Weides mit Tochter Sonea

Köln – Die Diagnose Down-Syndrom war für Familie Weides ein Schock. „Es hat uns den Boden unter den Füßen weggezogen“, erinnert sich Katharina Weides (39) an das Gespräch mit einem Arzt vor vielen Jahren. Doch die Familie von Sonea, die heute zehn ist, hat sich schnell gefangen. Vater René, Mutter Katharina und der jüngere Bruder Vincent (7) haben gelernt, mit der Trisomie 21 – wie das Down-Syndrom auch genannt wird – umzugehen. „Wir wussten schnell, dass unser Weg die Inklusion ist.“

Inklusion gehört vielleicht zu den meistdiskutierten Begriffen der letzten Jahre und meint vor allem, dass Kinder mit einer Behinderung zusammen mit Mädchen und Jungen ohne Behinderung aufwachsen. Hört sich zunächst einfach an, aber zahlreiche Einrichtungen wie Kitas, Schulen und Betriebe tun sich durchaus schwer damit, Inklusion im Alltag umzusetzen. Im Fall von Sonea standen Familie und Freunde hinter ihr, auch in der Kindertagesstätte gab es keine Probleme. „Sonea war das einzige Kind mit Down-Syndrom, hatte aber keinerlei Sonderstellung in der Gruppe“, erläutert  Social-Media-Beraterin Weides.

Schon die Suche nach einer Grundschule war schwer

Die Probleme begannen in der Schule. „Eine inklusive Grundschule in Porz zu finden war nicht leicht“, sagt die Mutter. Es gab Schulleiter, die entmutigten sie, einer sagte: „Wir werden uns das Kind anschauen und sehen, ob es nicht doch besser auf einer Förderschule aufgehoben ist.“ Die Eltern wollten keine Förderschule für Sonea. Schließlich wurde sie auf der Friedrich-List-Schule in Gremberghoven aufgenommen. „Der Rektor sagte: »Wir freuen uns, ihr Kind ist eine Bereicherung für uns.«“ Morgens wurde Sonea mit einem Taxi in die Schule gebracht, im Unterricht erhielt sie Unterstützung von einer Schulbegleiterin. Der Grundschulbesuch war ein Erfolg für das Kind.

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Doch nun droht sich die schwierige Suche bei der weiterführenden Schule zu wiederholen. Familie Weides wandte sich an den Verein Mittendrin, der  seit 2006 Menschen zum Thema Inklusion berät, gegründet als Initiative von betroffenen Eltern. Leiterin Eva-Maria Thoms kennt die Probleme von Familie Weides nur zu gut. „Für meine Tochter, die auch Trisomie 21 hat, gab es damals keinen Platz in einer Grundschule.“ Ihre Tochter besuchte daher eine Waldorfschule. Um Kindern die Möglichkeit zu geben, eine weiterführende Schule zu besuchen, die den Inklusionsgedanken lebt, gründete sie mit anderen die „Offene Schule Köln“ in Sürth. Hier soll jedes Kind individuell gefördert werden, damit es seine Potenziale entfalten und zum höchstmöglichen Schulabschluss geführt werden kann.

Mittendrin unterstützte Klage gegen das Land NRW

Bundesweit bekannt wurde der Verein Mittendrin, als er den Jugendlichen Nenad M. im Jahr 2016 unterstützte. Dieser wurde als Kind von den Behörden als geistig zurückgeblieben eingestuft und auf eine Förderschule für Geistige Entwicklung in Poll verwiesen. Nenad M. musste jahrelang auf der Förderschule ausharren. Seine Bitten, ihn auf eine Regelschule zu versetzen, blieben ungehört. Eine zwischenzeitliche Überprüfung der ersten Einstufung fand offenbar nicht statt. Mit Unterstützung des Vereins Mittendrin klagte Nenad M. schließlich vor dem Landgericht Köln auf Schadensersatz gegen das Land Nordrhein-Westfalen – und bekam Recht.

Mittendrin hat sein Aufgabenfeld längst erweitert. Schon 2007 veranstaltete der Verein einen Kongress an der Kölner Universität, um Bürger und Wissenschaftler rund um das Thema „Inklusion“ ins Gespräch zu bringen. Mit dem Projekt „Inclusion Infusion“ werden inzwischen Konzerte und Kulturveranstaltungen inklusiv gestaltet, zum Beispiel im Rahmen des Musikfestivals c/o pop. Auf der Bühne standen Stars wie Samy Deluxe und die Bands Annenmaykantereit und Beginner. Mit dem Programm „Chillen inklusive“ hilft der Verein Kindern und Jugendlichen, Plätze in Jugendzentren zu finden und unterstützt diese dabei, barrierefrei zu werden.

Zu wenig Lehrer und Sonderpädagogen um inklusivsgerecht zu betreuen

Mittlerweile sitzen Vertreter des Vereins als Experten in Gremien von Stadt und Land und wirkten zum Beispiel darauf hin, dass seit 2014 Eltern einen Rechtsanspruch darauf haben, ihr Kind in einer Regelschule unterrichten zu lassen. „Das Gesetz ist gut, die Wirklichkeit sieht aber anders aus“, sagt Thoms. Denn es gebe immer noch zu wenige Lehrer und Sonderpädagogen, um Klassen inklusionsgerecht zu betreuen, die Eltern fühlten sich oft schlecht informiert. „Wir stehen noch ganz am Anfang“, so Thoms. „Es ist noch nicht überall angekommen, dass Behinderte dieselben Rechte haben.“ Immerhin hat Deutschland 2009 die UN-Behindertenrechtskonvention ratifiziert, die genau das vorsieht.

Das Land NRW hat 2018 unter der schwarz-gelben Regierung eine Kehrtwende gemacht. Während Rot-Grün Inklusion flächendeckend in Schulen verankern wollte, strebt die derzeitige Regierung Schwerpunktzentren an, an denen Kinder mit und ohne Behinderung lernen können. Im Rest der Schulen gilt die Inklusion dann allerdings nicht mehr.

Mehr Geld und Personal statt nur ein „Lippenbekenntnis“

Eine solche Bündelung könne zeitweise sinnvoll sein, denken auch die Eltern bei Mittendrin. Allerdings müsste es dann auch einen konkreten weiteren Ausbauplan geben – und ausreichend Geld und Personal. „Bis jetzt haben die inklusiven Schulen noch genauso wenig Personal, wie im vergangenen Schuljahr vorgesehen war“, sagt Thoms. Thoms Kollegin Tina Sander spricht von einem „Lippenbekenntnis“.

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Dabei könnte alles so einfach. Katharina Weides, die Mutter von Sonea, erzählt eine Geschichte von ihrem zweiten Kind, dem siebenjährigen Vincent. Der hatte sich einmal mit einem gehörlosen Mitschüler verabredet und hatte Angst, dass er sich in der komplett gehörlosen Familie nicht verständigen könne.  Doch die Befürchtungen erwiesen sich als grundlos. Der Junge verlebte dank der Gebärdensprache einen intensiv-schönen Nachmittag mit seinem Freund.

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