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Interview

Leben im Alter
„Die Rentenversicherung ist nicht dafür da, dass das Geld für eine Kreuzfahrt reicht“

6 min
Ein Paar sitzt auf einer blauen Bank am Meer.

Im Ruhestand um die Welt reisen ohne zu arbeiten - künftig könnte das Geld dafür knapp werden.

Das gesetzliche Rentensystem gerät in den kommenden Jahren wegen der demografischen Alterung in Schieflage. Die Beiträge dürften steigen, das Rentenniveau sinken. Ein Kölner Professor erklärt die Lage.

Herr Roth, wie kann es sein, dass jemand sein Leben lang arbeitet und am Ende zum Amt muss, damit er seine Kosten noch bestreiten kann? Ist das nicht ungerecht?

Steffen Roth: Das kann man ungerecht finden. Man kann aber auch sagen, das ist sogar ein Beleg für das Funktionieren des Systems. Die Rente orientiert sich an den individuellen Beiträgen, die man eingezahlt hat. Wer viel verdient, zahlt viel ein. Wer weniger verdient, zahlt weniger ein. Daraus ergibt sich dann auch eine entsprechend höhere oder niedrigere Rente. Um soziale Not zu verhindern, gibt es dahinter im Sozialstaat noch ein anderes System, das die Allgemeinheit über Steuern finanziert: das der Grundsicherung oder des Bürgergelds. Wer da reinfällt, hat wenig Geld, aber er verhungert wenigstens nicht. Das gilt für den Rentner genauso wie für den Kranken oder den Langzeitarbeitslosen. Die Allgemeinheit kommt für ihn auf, die Gutverdiener schultern am meisten.

Wenn ich am Ende Grundsicherung kriege, egal ob ich gearbeitet habe oder nicht, fehlt mir aber doch vielleicht die Motivation überhaupt zu arbeiten. Zumindest in sozialversicherungspflichtiger Weise.

Das kann passieren. Sie müssen aber bedenken, dass Sie während der Erwerbstätigkeit mit Arbeit im Regelfall trotzdem mehr Geld zur Verfügung haben als mit Bürgergeld. Um diesen Anreiz während der Erwerbsphase aber nicht zu verlieren, dürfen wir die Rentenbeiträge zu Gunsten höherer Renten meiner Meinung nach auch nicht erhöhen. Dadurch würde Arbeit verteuert und sich am Ende weniger lohnen. Das wäre dann erst recht demotivierend.

Also ist Altersarmut Ihrer Meinung nach gar kein großes Problem? Immerhin ist jeder fünfte Senior statistisch armutsgefährdet.

Die Statistik allein ist da nicht besonders aussagekräftig. Da finden sich auch viele Ehepartner, die selbst zwar weniger als 1000 Euro Rente beziehen, aber womöglich gemeinsam mit einem ehemals gut verdienenden Partner in einem Einfamilienhäuschen leben und sicher nicht arm sind. Oder Menschen, die einige Zeit selbständig gearbeitet und außerhalb des gesetzlichen Rentensystems vorgesorgt haben. Aber Altersarmut ist natürlich trotzdem ein Problem. Vor allem dann, wenn wir in die Zukunft blicken. Da droht der Weg der Rentenversicherung durch die demografische Entwicklung gefährlich zu werden.

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Wir müssen aufhören, die Jungen zu veräppeln
Steffen Roth, Professor Institut für Wirtschaftspolitik

Was ist zu tun?

Es gibt nur zwei Möglichkeiten. Entweder wir erhöhen die Rentenbeiträge. Das wollen wir aus oben genannten Gründen nicht, um Erwerbstätige nicht zu demotivieren. Oder wir kürzen bei den Renten, zum Beispiel, indem wir das Renteneintrittsalter erhöhen. Natürlich ist auch eine Mischung beider Korrekturen denkbar. Ökonomisch ist man sich komplett einig, dass es anders nicht gehen wird.

Die Politik ignoriert das aber seit vielen Jahren. Sie verteilt im Gegenteil Bonbons an die Älteren: Mütterrente, früherer Renteneintritt für langjährig Beschäftigte. Das mag einem Wählerstimmen bringen, weil die Wähler eben in großer Zahl alt sind. Wir müssen aber aufhören, die Jungen zu veräppeln. Wir lasten da sehr viel auf die Schultern der künftigen Generation. Und die kann sich 18 Jahre lang gar nicht wehren, weil wir sie ja auch von den Wahlen ausschließen.

Ok, wir müssen also länger arbeiten. Ist das denn überhaupt machbar in einigen Berufen?

Ich weiß, Sie kommen mir jetzt mit dem Dachdecker, der mit 67 Jahren zu schwach für seine schwere Arbeit ist.

Ganz genau. Was soll der machen?

Der Dachdecker, der immer als Beispiel herhalten muss, steht ja meist auch heute mit 67 Jahren gar nicht mehr auf dem Dach. Der ist in der Regel schon mit Mitte 50 in die Planung oder Logistik gewechselt. Aber natürlich: Es gibt Tätigkeiten, die kann man wegen des körperlichen Verschleißes ab einem gewissen Alter nicht mehr ausüben. Es existiert aber auch dafür eine Lösung: In diesen Berufen müsste man in den wenigen Jahren, die man den Beruf ausüben kann, so viel verdienen, dass man es sich leisten kann, schon mit 60 in Rente zu gehen.

Aber wer sorgt denn dafür, dass man in diesen Berufen dann so viel verdient? Die Pflegerin beispielsweise ist womöglich auch betroffen und bekommt kein riesiges Gehalt.

Das regelt – und auf diesen Satz haben Sie sicher schon gewartet – tatsächlich der Markt. Wenn es wenig Dachdecker gibt, weil der Beruf so schwer ist, Sie aber ein Dach decken lassen müssen, dann werden Sie dafür mehr Geld auf den Tisch legen. Und die Pflegerin ist eigentlich auch ein gutes Beispiel. Wir brauchen diese Leute dringend. Also sind die Löhne in den vergangenen Jahren in diesem Berufsfeld deutlich überproportional gestiegen, obwohl die Lohnfindung in der Branche durch viele staatliche Planungen und Verbandsverhandlungen aller Art weit weg vom unregulierten Markt ist.

„Es gibt heute weniger Menschen, die komplett blauäugig auf die Rente zuwirtschaften“

Wenn wir künftig so viel länger arbeiten, bleibt kaum mehr Zeit für den süßen Ruhestand mit viel Freiheit und Reisen.

Ja, das muss man sich leisten können. Woher kommt dieser Anspruch denn überhaupt? Wir haben unsere Erwartungen da in den vergangenen Jahrzehnten schon sehr weit aufgedreht. Als Bismarck die Rente einführte, lag das Renteneintrittsalter bei 70 Jahren, die durchschnittliche Lebenserwartung war jedoch halb so hoch wie heute. Viele Leute sind damals gestorben, bevor sie überhaupt die erste Zahlung erhalten haben.

Und auch heute handelt es sich ja um eine Versicherung, die nicht dafür einsteht, dass das Geld für eine Kreuzfahrt reicht. Ihr Sinn ist lediglich, dass wir uns gegen das Risiko versichern, länger zu leben als unser gespartes Geld reicht. Aber etwas Erspartes muss da sein. Und wenn wir heute zehn Jahre länger leben als unsere Eltern, dann müssen wir mindestens sechs bis sieben davon länger arbeiten und sparen.

Gibt es denn auch positive Tendenzen, die Sie beim Blick auf die Zukunft des Rentensystems sehen?

Die Aufmerksamkeit ist jedenfalls gestiegen. Ich glaube, es gibt heute weniger Menschen, die komplett blauäugig auf die Rente zuwirtschaften. Den meisten ist klar, dass sie selbst vorsorgen müssen, wenn sie sich im Alter weiter einen gewissen Lebensstandard erhalten wollen. Außerdem wird es künftig auch weniger Menschen geben, die im Alter ungeplant allein auf sich gestellt sind. Einfach, weil heute auch Frauen viel häufiger erwerbstätig sind. Oder zumindest während der Ehe entsprechende Regelungen getroffen haben, um im Alter nicht allein ohne Altersvorsorge dazustehen, falls die Beziehung scheitert.

Wer keine Kinder hat, muss sein Geld eben in die eigene Vorsorge stecken oder in die Ausbildung der Nachbarskinder
Steffen Roth, Professor Institut für Wirtschaftspolitik

Könnte uns ein staatlicher Rentenfonds weiterhelfen, wie er beispielsweise in Norwegen existiert?

Norwegen ist super, aber leider nicht vergleichbar. Da speist sich der Fonds aus den Gas- und Ölreserven des Landes. So eine staatliche Geldquelle haben wir in Deutschland ja gar nicht. Zudem bräuchten wir einen sicheren Aktienfonds. Selbst die besten Ökonomen des Landes sind bezüglich langfristiger Kursentwicklungen überfragt. Wie kommt man auf die Idee, dass ausgerechnet der Staat da über ausreichend prognostische Fähigkeiten verfügt?

Die größte Geisel des Rentensystems ist ja die Demografie, also die Tatsache, dass die Menschen zu wenig Kinder bekommen. Müsste das System Kinderkriegen nicht mehr belohnen? Derzeit sind Kinder gerade für Frauen eher ein Armutsrisiko.

Erstmal würde ich sagen: Ob jemand Kinder bekommt oder nicht, geht den Staat nichts an. Als Liberaler möchte ich nicht die Menschen so steuern, dass sie zu den staatlichen Systemen passen. Stattdessen müssen die Systeme so gestaltet werden, dass sie trotz veränderter Lebensentwürfe der Bürger funktionieren.

Aber natürlich haben die privaten Lebensentscheidungen für den Einzelnen Konsequenzen. Derjenige, der Kinder hat, muss sie versorgen, investiert viel Geld in die Erziehung und Ausbildung. Aber im Gegenzug hat er im Alter eben auch Nachkommen, die für seine Rente aufkommen. Das ist zunächst unabhängig davon, ob dies rein privat oder über eine Rentenversicherung im Umlageverfahren geschieht. Wer keine Kinder hat, muss sein Geld eben in die eigene Vorsorge stecken oder in die Ausbildung der Nachbarskinder, die im Alter dann für ihn da sind. Ich kann mir also vorstellen, dass sich Kinderlosigkeit bei der Höhe der gesetzlichen Rente künftig individuell negativ auswirken wird. Nicht als Strafe für Kinderlosigkeit, sondern einfach, weil ohne Kinder keine Einzahler ins Rentensystem vorhanden sind, an die man Ansprüche hätte. Bei der Pflegeversicherung wird das heute schon berücksichtigt – wenn auch in noch eher geringem Maß.


Steffen J. Roth ist Professor, Direktor und Geschäftsführer des Instituts für Wirtschaftspolitik der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät an der Uni Köln. Er forscht beispielsweise zu Arbeitsmarkt und sozialen Sicherungen, Umweltökonomik und moralisch-ethischen Grundlagen von Wirtschafts- und Gesellschaftssystemen.

Steffen J. Roth

Steffen J. Roth ist Direktor des Instituts für Wirtschaftspolitik an der Universität zu Köln.