Der-Touristik-Chef im Interview„Der Wille zu reisen ist groß“

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Köln – Herr Burmester, die Impfkampagne kommt langsam in Schwung, Reiserestriktionen werden teils gelockert. Wie wirkt sich das auf die Buchungen bei DER Touristik aus?

Wir spüren aktuell einen enormen Nachfragedruck– es ist, als würde sich gerade der Korken einer Flasche lösen. Das hängt zum einen natürlich mit dem Impffortschritt zusammen: Die Inzidenz fällt und damit wird spürbar, dass Reisen bald wieder mit weniger Einschränkungen verbunden sein werden. Zum anderen sagen mittlerweile auch Politiker wie Jens Spahn, dass sie den Sommerurlaub für möglich halten. Letzte Woche haben wir dreimal so viele Buchungen verzeichnet wie in den Wochen zuvor. Am 17. Mai waren es genauso viele wie in der gesamten Vorwoche.

Wie sind die Zahlen im Vergleich zu den Vorjahren?

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Das Buchungsniveau liegt deutlich über dem von 2020. Selbst gegenüber 2019 nähern wir uns gerade der Kurve an, vielleicht schneiden wir sie sogar. Die Leute wollen reisen. Die Durststrecke war lang genug – wir sehen eine große, aufgestaute Nachfrage im Markt. Viele Leute sind im letzten Jahr nicht gereist. Deswegen ist der Wille derzeit so groß.

Zur Person

Ingo Burmester, 54, ist Zentraleuropa-Chef des Reisekonzerns DER Touristik. Seit April 2019 verantwortet er das Vertriebs- und Veranstaltergeschäft in Deutschland, Europa und der Schweiz. Burmester ist promovierter Maschinenbauer. Bevor er zu DER Touristik wechselte, war er unter anderem in Managerpositionen bei Tui und Thomas Cook tätig.

In der DER Touristik Group sind die Reiseaktivitäten des Kölner Rewe-Konzerns gebündelt. Zum Unternehmen gehören unter anderem die Reiseveranstalter Dertour, ITS und Jahn Reisen. Es ist in 16 europäischen Ländern aktiv und beschäftigt rund 10 000 Mitarbeiter.

In den vergangenen Tagen haben die Urlaubsbuchungen bei vielen Unternehmen stark angezogen. Während Gesundheitsminister Jens Spahn und Bundeskanzlerin Angela Merkel sich kürzlich optimistisch zeigten, dass Sommerurlaub in Europa möglich sein werde, verwies der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach auf die Gefahr einer neuen Welle im Herbst.

Welche Reiseziele sind gerade besonders beliebt?

Vereinfacht gesagt buchen die Kunden von innen nach außen, von der Nah- zur Fernreise. Erdgebundene Reisen innerhalb Deutschlands und in Länder wie Kroatien, Italien, Österreich und die Schweiz stehen besonders im Fokus, weil die Flexibilität hier besonders hoch ist. Aber auch die Nahstrecke innerhalb der EU ist beliebt: Spanien, zum Beispiel, weil die Inzidenzen auf Mallorca und den Kanaren sehr niedrig sind. Auch Griechenland hat deutlich zugelegt. Besonders gefragt sind hochwertige Reisen, die viel Privatsphäre und Luxus versprechen.

„Nachhaltigkeit hat weiter an Bedeutung gewonnen“

Wagen Sie mittlerweile eine Umsatzprognose für dieses Jahr?

Das ist sehr schwierig einzuschätzen. Für den Kernmarkt Deutschland erwarten wir irgendetwas zwischen 35 und 50 Prozent des Umsatzes von 2019. Vielleicht schaffen wir 55 Prozent.

Was glauben Sie, wie lange die Erholung dauern wird?

Mitte 2022 könnten wir wieder auf Vorkrisenniveau sein. Es gibt aber zwei Fragen, die hier entscheidend sind: Wann normalisiert sich das Reisegeschehen? Und wird es Nachholeffekte geben? Das hängt vom weiteren Infektions- und Impfgeschehen ab. Das birgt eine gewisse Unsicherheit, denn wir sehen in einigen Ländern auch Sättigungseffekte: dass einige Menschen sich dort nicht impfen lassen wollen. Das kann mit Blick auf die Infektionszahlen zu sogenannten Schwelbränden führen. Die könnten dann wiederum das Reisegeschehen dämpfen.

Wird sich das Reiseverhalten denn nachhaltig verändern?

Wir sehen aktuell drei Effekte: Erstens hat das Thema Nachhaltigkeit während der Pandemie weiter an Bedeutung gewonnen hat. Wir haben extra einen neuen Dertour-Katalog „Bewusst reisen“ entwickelt, der sehr gut angenommen wird. Außerdem steigt der Durchschnittspreis pro Reise, weil die Kundschaft wertigere Produkte wählt. Hinzu kommt ein Trend zur flexiblen Pauschalreise, die stornierbar und umbuchbar ist.

„Wir stehen weiterhin zu Reisebüros“

In der Krise haben sich die Menschen daran gewöhnt, sich im Netz zu informieren. Ist das ein Problem für Ihre Reisebüros?

Nein, denn tatsächlich stellen wir fest, dass der Beratungsbedarf in der Pandemie zugenommen hat. Wir gehen nur davon aus, dass die verschiedenen Kanäle künftig stärker verschmelzen werden. Gespräche können auch telefonisch oder im Video geführt werden, die Informationen durch Onlineangebote ergänzt werden. Aber die Beratung steht weiter im Fokus, gerade im aktuellen Dickicht aus Reisebeschränkungen, Stornierungsbedingungen, Hygieneregeln. Dafür braucht es den Rat unserer Reiseexperten, im Reisebüro und im Internet.

Und trotzdem haben Sie in der Pandemie 40 Reisebüros geschlossen und in der Zentrale 253 Stellen abgebaut.

Wir müssen natürlich immer bewerten, welche Zukunftsaussichten einzelne Standorte haben und was wir tun können, um Strukturen zu optimieren. Bei den meisten Schließungen haben wir Reisebüros zusammengelegt und Doppelstrukturen abgebaut. Da wir immer mehr auf Telefon und Video umsteigen, können wir Büroflächen verringern.

Wir haben zum Beispiel parallel mit reise-spezialisten.com eine Suchmaschine für den richtigen Experten zum geplanten Urlaub aufgebaut. Außerdem haben wir zwar 40 Büros geschlossen, aber auch 25 Büros von Galeria zugekauft, da, wo wir weiße Flächen in unserem Filialnetz hatten.

Auf der einen Seite stehen also Schließungen – auf der anderen Zukäufe, nicht nur der Galeria-Büros sondern zum Beispiel auch der 50 Prozent am Clubanbieter Aldiana. Wohin steuern Sie strategisch?

Wir müssen ganz klar sagen: Wir wachsen. Das stellen wir auch gegenwärtig fest. Unsere Marktposition hat sich verbessert – auch, weil wir unser Produktangebot erweitern. Aldiana Club Resort ist das beste Beispiel dafür. Neue, eigene Hotels mit einem starken Branding und einem guten Konzept stehen für uns im Fokus. Außerdem stehen wir weiterhin zu Reisebüros. Die Beratung dort ist sehr wichtig: Wer sich in einem fremden Land bewegt, benötigt Orientierung.

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Die aktuelle Krise ist allerdings noch nicht überwunden – drohen weitere Einschnitte?

Jede Krise birgt gleichzeitig Gefahr und Chancen. Wir haben uns in der Pandemie unsere Prozesse genau angeschaut und sie optimiert. Intern haben wir zum Beispiel viele Automatisierungen eingeführt. Wir arbeiten gerade an einem automatischen System zur Preissetzung und verlagern bestimmte Aufgaben in die Destinationen, genau dorthin wo der Urlaub stattfindet. Außerdem planen wir ein neues Reservierungssystem. Wir sparen Kosten, um Reisen am Markt attraktiver anbieten zu können.

Wie zufrieden sind Sie mit dem Pandemie-Management der Politik?

Wir sind heute sicherlich deutlich besser unterwegs als vor einem Jahr, wo es Änderungen im Tagesrhythmus gab. Zum Beispiel an Ostern: Erst hieß es, Mallorca wäre bereisbar – und noch während die Gäste dann dort waren, wurde der PCR-Test bei Rückreise eingeführt. Wir haben zwar eine mobile Teststelle eingerichtet, aber viele Gäste haben ihre Flüge verpasst, weil sie das Ergebnis nicht rechtzeitig bekommen konnten. So etwas verursacht Ärger und Kosten.

Das hat sich zum Glück gebessert. Jetzt geht es darum, Prozesse weiter zu vereinfachen. Eine wichtige Rolle sollte hier ein elektronischer Impfpass spielen. Außerdem müssen die Regeln für die Rückreisen verlässlich bleiben. Deutlich kritischer sehen wir das Thema Staatshilfen.

.. die Ihr Konkurrent Tui in Anspruch genommen hat, Sie aber nicht...

Sie führen zu einer Verzerrung im Markt. In der Pandemie leiden derzeit vor allem die Reiseunternehmen, die zuvor hohe Risiken eingegangen sind. In der Regel sitzen ihre Hauptanteilseigner im Ausland. Durch die Förderung, die jetzt gewährt wird, öffnen sie ihre Hotelanlagen, um zumindest einen Rest-Umsatz zu erwirtschaften. Das wiederum funktioniert derzeit nur mit Preissenkungen.

Indirekt führt die Staatshilfe also dazu, dass Betriebe mit sehr günstigen Preisen öffnen – die andere Unternehmen gar nicht anbieten können. Dadurch entsteht eine Wettbewerbsverzerrung. Falls die Kredite nicht voll zurückgezahlt werden müssten, würde das noch verschärft. Das wäre für den Steuerzahler und für uns inakzeptabel.

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