Interview mit Mona Neubaur„Die Stromsteuer muss auf das Mindestniveau sinken“

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Interview mit NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur im Düsseldorfer Wirtschaftsministerium

Die grüne NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur beim Gespräch im Düsseldorfer Wirtschaftsministerium

NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne) spricht über die drohende Deindustrialisierung von NRW und den Streit der Ampel.

Frau Neubaur, Ford kann das geplante Elektroauto in Köln erst sechs Monate später produzieren. Sind Sie über diesen Rückschlag besorgt, auch mit Blick nach Saarlouis, wo ein Fordwerk geschlossen wird?

Mona Neubaur: Zunächst einmal freue ich mich über eine Investitionszusage von Ford in Höhe von zwei Milliarden Euro für das Electric Vehicle Center in Köln. Das ist ein klares Bekenntnis zum Standort, und das bereitet einer Wirtschaftsministerin eher weniger Sorgen. Ich kenne zudem keine Aussage des Unternehmens, dass das Projekt grundsätzlich auf der Kippe steht. Eine technisch veränderte Norm für batteriebetriebene Autos ist meiner Kenntnis nach für die Verzögerung verantwortlich.

Gibt es Möglichkeiten, Ford in Köln nun in der prekären Situation zu entlasten? Arbeiter werden da elf Monate nichts zu tun haben.

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Ich gehe davon aus, dass Ford durchaus Vorstellungen davon hat, wie es diese Zeit im Sinne des Unternehmens nutzen kann – zum Beispiel für Ausbildung und Einarbeitung in neue Verfahren. Vielleicht kann man auch Qualifizierungsmaßnahmen vorziehen. Die Fertigung von Elektroautos unterscheidet sich ja maßgeblich von Verbrennern. Sollte das Unternehmen Unterstützung benötigen, stehen wir als Landesregierung für Gespräche jederzeit bereit.


Mona Neubaur wurde am 1. Juli 1977 in Pöttmes, Bayern, geboren. Seit dem 29. Juni 2022 ist die Grünen-Politikerin Ministerin für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie und stellvertretende Ministerpräsidentin des Landes Nordrhein-Westfalen.


Wie viele Industriejobs kann man in NRW tatsächlich neu schaffen?

Das Institut der deutschen Wirtschaft geht davon aus, dass bis 2030 30.000 neue Jobs im Rheinischen Revier entstehen könnten. Das wollen wir nun konkret angehen, deshalb habe ich gesagt, wir machen jetzt eine Art Kassensturz. Das Ergebnis war, dass wir von einem sogenannten Sterne- in ein Dialogverfahren gewechselt sind, dessen Ziel schnellere Entscheidungen und kürzere Wege sind. Wir wollen im Rheinischen Revier einen Rahmen setzen, in dem sich neue Industrien ansiedeln können. Dazu gehören Tilgungszuschüsse für Darlehen, die mittelständische Unternehmen, die jetzt noch auf fossiler Basis arbeiten, dabei unterstützen sollen, schneller auf klimaneutrale Prozesse umzusteigen. Oder auch Zukunftsgutscheine für die Beratung von Mittelständlern. Denn viele diese Unternehmen haben keine Transformationsabteilung. Das macht der Chef oft noch neben der Kundenakquise und dem normalen Tagesgeschäft.

16.10.2023
Köln:
Interview mit NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur im Düsseldorfer Wirtschaftsministerium
Foto: Martina Goyert

NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur

Ein Vorwurf ist doch auch, dass im Strukturwandel zu viel Wert auf Forschungsjobs, und zu wenig auf „normale“ Arbeitsplätze gelegt wird – gut bezahlte Jobs, aber eben auch Blaumannjobs.

Ich würde mich nicht dagegen sperren, wenn auch gut bezahlte Jobs in der Wissenschaft entstehen. Da das Rheinische Revier von vielen Universitäten und anderen Hochschulen umgeben ist, ergibt das ja durchaus Sinn. Wir wollen aber auch, dass das Rheinische Revier weiter seinen Teil zur Energieversorgungssicherheit beiträgt. Deswegen sollen bestehende Flächen, auf denen heute schon Energieinfrastruktur steht, auch weiterhin für Energiegewinnung genutzt werden. Etwa für wasserstofffähige Gaskraftwerke, die dann auch die Blaumannjobs liefern. Es geht uns nicht darum, irgendetwas Neues überzustülpen, sondern gezielt zu schauen: Was war schon da und wie können wir das weiterentwickeln. Eine Stadt wie Düren beheimatet beispielsweise eine gewachsene Papierindustrie. Also stellen wir uns die Frage: Wie sieht die Papierindustrie der Zukunft aus? Eine Antwort wäre: wasserarm. Deswegen gibt es dort eine Modellfabrik, die basierend auf wissenschaftlicher Expertise genau darauf mit neuen Verfahrenstechniken beispielsweise zum Wassersparen antwortet.

Interview mit NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur im Düsseldorfer Wirtschaftsministerium mit (v.l.) Carsten Fiedler, Mona Neubaur, Thorsten Breitkopf und Gerhard Voogt
Foto: Martina Goyert

Interview mit NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur im Düsseldorfer Wirtschaftsministerium mit (v.l.) Chefredakteur Carsten Fiedler, Mona Neubaur, Wirtschaftschef Thorsten Breitkopf und Landeskorrespondent Gerhard Voogt

Was halten Sie von Fusionstechnologie?

Ich halte sehr viel davon, dass wir das umsetzen, was auf der Hand liegt und uns heute weiterhilft. Erneuerbare Energie ist da ganz klar die Antwort. Jedes Windrad, jedes PV-Modul ist ein Friedenssymbol, weil es eben bedeutet, dass wir nicht weiter die Kriegskassen von Diktatoren füllen. Dass weiter an Kernfusion geforscht wird, da bin ich komplett fein mit. Aber wir brauchen messbare Ergebnisse in der Gegenwart, und nicht erst in einigen Jahrzehnten.

Sie fordern vehement den Industriestrompreis. Was kann der für NRW bringen?

Er schafft Planungssicherheit und ermöglicht davon abgeleitet Investitionsentscheidungen in den Unternehmen. Für die, die energieintensiv wirtschaften, ist der Industriestrompreis als Brücke gedacht, keinesfalls als dauerhafte Subvention. Es wäre auch ein Novum für Grüne Wirtschaftspolitik, dauerhaft Industrie zu subventionieren. Ich bin der festen Überzeugung, dass man in Zeiten wie diesen helfen muss, damit sich energieintensive Betriebe halten und sie so die Möglichkeit bekommen, ihre Strukturen klimafreundlich aufzustellen. Wir reden hier von einer Brücke, die so lange nötig ist, bis Erneuerbare in einem gewissen Umfang verfügbar sind. 2030 wollen wir 80 Prozent Strom aus Erneuerbaren Energien haben, das will Robert Habeck, und dieses Ziel teile ich. Neben einem Brückenstrompreis fordere ich aber auch, die Stromsteuer auf das europäische Mindestniveau zu senken, damit auch weniger energieintensiv produzierenden Mittelständlern geholfen wird. Sie brächte eine Entlastung und würde Deutschland im europäischen Vergleich wettbewerbsfähiger machen. Das ist ein klares Signal an den Bundesfinanzminister, der sich aktuell noch vehement sperrt. Diese Maßnahmen sind aber die logische Konsequenz, wenn sich ein Industrieland dazu entscheidet, seine wirtschaftliche Struktur zu elektrifizieren.

Ist das nicht eine Umverteilung und damit eine Bestrafung derer, die heute schon Energie sparen?

Der Brückenstrompreis soll ja nicht 100, sondern 80 Prozent des Verbrauchs decken, es bleiben also Effizienzanreize erhalten. Ein bewährtes Instrument übrigens, dass die Unternehmen schon aus der Preisbremsensystematik kennen. Die Firmen sollen international wettbewerbsfähig bleiben, weil uns der Wert der Industrie für den Wohlstand unseres Landes bewusst ist. Und zwar mit gut bezahlten, tarifgebunden Arbeitsplätzen.

Wie kann man noch Industrie locken?

Indem wir Flächen zur Verfügung stellen und Erneuerbare Energien in Werksnähe produzieren, aber auch parallel dabei unterstützen, Mittel aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung und aus dem Just Transition Fund abzurufen. Wir signalisieren: Hier ist deine Fläche, hier ist deine Energie, hier ist deine Infrastruktur.

Welchen Effekt hat die durch den russischen Angriffskrieg ausgelöste Zeitenwende auf den Strukturwandel – gibt es jetzt mehr Jobs beim Umbau der Energiewirtschaft im Rheinischen Revier?

Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat uns sehr schmerzhaft vor Augen geführt, dass wir so schnell wie möglich energiepolitisch unabhängig werden müssen. Der Hunger nach billigem Gas aus Russland hat in eine fatale Abhängigkeit geführt, die uns auch sicherheitspolitisch verwundbar gemacht hat. Deshalb dient der Ausbau der Erneuerbaren nicht nur dem Klimaschutz, sondern stärkt zuvorderst die Sicherheit und Freiheit unserer Demokratie. Nordrhein-Westfalen ist aktuell bundesweit Spitzenreiter, wenn es um die Genehmigung von Windenergieanlagen geht und bundesweit vorne mit dabei bei der Installation von Photovoltaikmodulen. Außerdem sorgen wir durch beschleunigte Genehmigungsverfahren dafür, dass die notwendigen Flächen für die Ansiedlung von wasserstofffähigen Gastkraftwerken verfügbar werden. So sichern wir neben Wohlstand und Wertschöpfung auch Arbeitsplätze und schaffen zugleich neue.

Viele Unternehmen drohen damit, ins Ausland abzuwandern. Können Sie sagen, wie viele Firmen NRW schon den Rücken gekehrt haben?

Natürlich beobachten wir die Situation sehr genau, das ist ja unser Job. Derzeit können wir aber noch keine substanziellen Abwanderungstendenzen aus NRW feststellen, obwohl Staaten wie die USA oder China die Unternehmen mit saftigen Subventionen locken. Was mich aber in der Tat sorgt, ist, dass nur noch geringe Investitionen in die Unternehmensstandorte in NRW fließen. Viele Firmen sind verunsichert, weil sie nicht wissen, unter welchen Rahmenbedingungen es für sie in Deutschland weitergeht. Das hat eine Starre verursacht, die jetzt dringend gelöst werden muss.

Droht NRW eine Deindustrialisierung, wie die Chemischen Verbände befürchten?

Natürlich nehme ich diese Befürchtungen sehr ernst, weil mir ja klar ist, dass die Chemieindustrie auf bezahlbare Energie angewiesen ist. Nicht nur die Dax-Unternehmen, sondern auch die mittelständischen Chemiebetriebe sind ein wichtiger Motor für die Wirtschaftskraft von NRW.

Brandenburg ist mit der Ansiedlung von Tesla ein großer Wurf gelungen. Warum ist NRW für Großinvestoren nicht interessant?

Das stimmt nicht, das Interesse ist da. Wir fördern deshalb ja in großem Umfang Sanierungsmaßnahmen, um bestehende Brachflächen als attraktive Standorte vorbereiten zu können. Und wir haben durchaus Erfolge bei der Unternehmensansiedlung, die wir nicht verstecken müssen. So investiert der Buchhandler Thalia in Marl 100 Millionen Euro in einen neuen Produktions- und Logistikstandort. Ich erinnere auch gerne an Rheinmetall, die in Weeze eine neue Fertigungsanlage bauen. Gemeinsam mit dem Bund arbeiten wir daran, NRW auch als Produktionsstandort für den Solaranlagenbau attraktiver zu machen. Da sehe ich übrigens eine große Chance für die Entstehung neuer Industriejobs. Die Ansätze sind vielversprechend.

Die Landtagswahlen in Bayern und Hessen waren ein herber Dämpfer für die Ampel. Wie kommt die Koalition aus dem Stimmungstief?

Ich habe mich ganz bewusst für die Landespolitik entscheiden, weil ich die unmittelbare Nähe zu den Menschen, die von meinen Entscheidungen betroffen sind, schätze. Das sorgt dafür, dass der Blick auf die Realität nicht verloren geht. Ich nehme wahr, dass Teilen der Bundesregierung diese Perspektive etwas abhandengekommen ist. Genauso richtig ist aber auch, dass die Ampel schon viele wichtige Projekte auf den Weg gebracht hat, wie zum Beispiel die erfolgreiche Neuaufstellung der Energieversorgung, aber auch Projekte wie die Kindergrundsicherung oder die Erhöhung des Mindestlohns. Die Ampel ist besser als ihr Ruf, das hat sich auch schon in der Energiekrise im vergangenen Jahr bewiesen – aber sie muss an ihrem Image arbeiten.

Was muss besser werden?

Ich gebe ungern Ratschläge, aber ein Blick in die Länder ist manchmal hilfreich. In NRW diskutieren wir unterschiedliche Ansichten intern – oft genug hart in der Sache, aber immer vertrauensvoll. Was Zusammenarbeit und Kommunikation angeht, sind wir das Gegenmodell zur Ampel. Der permanent öffentlich zelebrierte Streit schadet allen Ampel-Parteien. Und langfristig beschädigt ein solcher Umgang das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit von Demokratie.

Wie können die Grünen verloren gegangenes Vertrauen zurückgewinnen?

Indem wir auch vor der eigenen Türe kehren. Wenn eine rechtsextreme Partei wie die AfD bei Landtagswahlen zweistellig abschneidet, geht das natürlich auch die Grünen an. Auch wir müssen uns die Frage stellen: Können wir so weitermachen wie bisher? Wir Grüne verstehen uns als staatstragende Partei – und als solche müssen wir dazu beitragen, dass in gesellschaftlich relevanten Fragen ein Konsens unter Demokraten möglich ist. Dies gilt umso mehr in Krisenzeiten, die wir seit Jahren durchleben und die für Verunsicherungen sorgen. Politik mitzugestalten und demokratisch Macht auszuüben, ist für mich ein unglaubliches Privileg. Deshalb wäre mein Wunsch an alle Demokraten: Mehr Demut, weniger Profilierung und an die Kraft des Kompromisses glauben.

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