„Man hängt am Tropf der Eltern“Warum in Köln immer weniger Studierende BAföG erhalten

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Studenten Symbolbild

Studenten im Audimax der Technischen Universität München. Immer weniger von ihnen erhalten BAföG (Symbolbild).

Köln – Letztes Jahr feierte das BAföG fünfzigsten Geburtstag. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung gratulierte mit einer eigenen Webseite und rühmte die Förderung als „Türöffner für viele Bildungswege“. Der Blick auf die Statistiken zeigt: Für immer mehr Studierende bleibt die Tür verschlossen.

Seit Jahren geht die Zahl der geförderten Studierenden zurück. Kurz nach Einführung des Bafögs, im Jahr 1972, bezogen noch 44 Prozent aller Studierenden die Förderung. 2019 waren es nur noch 12 Prozent. Auch die Kölner Zahlen sind erschreckend. Wie Statistiken des Kölner Studierendenwerks zeigen, ist die Zahl der BAföG-Anträge allein zwischen 2014 und 2020 um fast ein Viertel zurückgegangen. Die neue Bundesregierung verspricht, sich um das Problem zu kümmern. Aber was läuft falsch? Die Geschichte von Mireille Franz hilft zu verstehen, warum das BAföG seit Jahren ausblutet.

Erzwungener Kontakt zu unbekanntem Vater

2016 beginnt Franz ihr Lehramtsstudium an der Uni Köln. Ihre alleinerziehende Mutter ernährt die Familie mit einem Job als Sekretärin. Ihren Vater kennt Franz nicht, er zahlt auch keinen Unterhalt. „Deswegen habe ich BAföG beantragt. Wer, wenn nicht ich, soll dafür berechtigt sein?“

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Mireille Franz

Die Studentin Mireille Franz muss jedes Jahr aufs neue für ihren BAföG-Satz kämpfen.

Um an die Förderung zu kommen, muss Franz allerdings auch das Einkommen ihres Vaters offenlegen. „Das BAföG-Amt hat mich gezwungen, Kontakt zu meinem Vater aufzunehmen, obwohl ich den gar nicht kenne“, sagt Franz. Der Vater, der als Rentner in Berlin lebt, übermittelt schließlich seine Nachweise. Und tatsächlich wird der BAföG-Antrag von Franz bewilligt – doch sie bekommt viel weniger Geld als erhofft: „Weil mein Vater mehrere verschiedene Renten bezogen hat, wurde die Rentenhöhe immer wieder falsch berechnet.“

Statt den Förderhöchstsatz von 861 Euro erhält sie zwischenzeitlich nur 540 Euro. Der Vater kann sie trotzdem nicht unterstützen. Und selbst wenn, scheint das illusorisch, hatte er doch vorher schon kein Unterhalt gezahlt. „In einer Stadt wie Köln, wo schon 450 Euro für die Wohnung draufgehen, reicht das einfach nicht“, sagt Franz.

„Das BAföG erreicht seine Zielgruppe nicht mehr.“

André Moeller hat immer wieder mit Fällen wie dem von Mireille Franz zu tun. Er berät für die Bafög- und Sozialberatung des AStA in Köln und sagt: „Das BAföG erreicht seine Zielgruppe nicht mehr.“ Ob ein Studierender berechtigt ist, Bafög zu beziehen, hänge entscheidend von dem Einkommen der Eltern ab. „Das Problem ist aber, dass die Freibeträge sich kaum verändern. Es fehlt eine verlässliche Regelung für die regelmäßige Anhebung von Bedarfssätzen und Freibeträgen. Nur ab und zu geschieht dies nach Gutdünken. Das Bafög kommt so aber der Inflation nicht hinterher. Und das sorgt dafür, dass immer mehr Studierende aus dem Fördersystem rutschen.“

Obwohl viele Eltern ihre Kinder gar nicht finanziell unterstützen können, wird von den Studierenden gefordert, dass sie das Geld für ihr Studium bei den Eltern eintreiben. „Man hängt am finanziellen und emotionalen Tropf der Eltern,“ so Moeller.

Jeder Folgeantrag ein Kampf

Bei Marielle Franz ging die Sache glimpflich aus. Immerhin bekommt sie eine Förderung, auch wenn sie trotzdem nebenbei jobben muss, um ihr Studium zu finanzieren. Um ihren BAföG-Satz muss sie allerdings jedes Jahr auf neue bangen, denn im Abstand von zwei Semestern müssen Studierende einen Folgeantrag stellen. Ein großer bürokratischer Aufwand, wie Franz erzählt: „Bei jedem Folgeantrag muss ich darum kämpfen, überhaupt Geld zu bekommen. Mal wurden mir 100 Euro, mal 150 Euro abgezogen. Jedes Jahr musste ich dem Amt aufs Neue erklären, was mein Problem ist. Obwohl mein Fall dort eigentlich schon seit Jahren bekannt sein sollte.“

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Im März 2021 stellte Franz fristgerecht ihren Folgeantrag. In den Wirren der Coronapandemie wechselte zuerst ihre Sachbearbeiterin, später fiel sie krankheitsbedingt aus. Ihr BAföG-Antrag blieb liegen. Erst im Juli wurde er bewilligt. In dieser Zeit bekam Franz kein Geld. Durchs Jobben war das kaum aufzufangen. „Das alles ist mit so viel Aufwand verbunden, dass ich jeden verstehen kann, der sich vom BAföG nicht abhängig machen will.“

Bundesregierung plant flexibleres BAföG

Dass viele Studierende diese Abhängigkeit nicht eingehen wollen, beobachtet auch Christan Gärtner. Er arbeitet in der Sozialberatung des Kölner Studierendenwerkes. „Viele Studierende sagen: Wenn ich am Ende sowieso nur einen winzigen BAföG-Satz bekomme, ist mir das zu aufwendig.“ Neben dem bürokratischen Aufwand und den zu niedrigen Freibeträgen sieht Gärner aber noch ein weiteres Problem: „Das Fördersystem kann die Situation der Studierenden heute nicht mehr richtig erfassen. Die Lebensläufe verlaufen bei weitem nicht mehr so geradlinig wie vor 50 Jahren.“ Ältere Studierende, die erst auf dem zweiten oder dritten Bildungsweg an der Universität landen, würden genauso wenig gefördert, wie Studierende, die sich spät umentscheiden und ihr Studienfach wechseln.

Für all diese Probleme verspricht die neue Bundesregierung eine Lösung. Im Koalitionspapier ist davon die Rede, dass das BAföG flexibler, elternunabhängiger und länger ausgezahlt werden soll. Ziel sei es, wieder mehr Studierende durch das BAföG zu erfassen. „Das klingt erstmal gut. Denn da werden genau die Probleme angesprochen, mit denen wir täglich zu tun haben“, sagt Gärtner. Wie diese Ziele konkret umgesetzt werden sollen, und wann genau die Reform kommt, ist noch unklar. Fest steht: Mireille Franz wird von ihnen nicht mehr profitieren können. In zwei Semestern ist ihre Förderhöchstdauer erreicht. Sie hofft, dass sie bis dahin ihr Studium erfolgreich abgeschlossen hat.  

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