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Deal beim „Kölner Drogenkrieg“?Richter nennt Strafhöhen für mutmaßliche Geiselnehmer

Lesezeit 4 Minuten
Die drei Angeklagten mit Verteidigern, Dolmetscherin und Wachtmeister beim Prozess im Kölner Landgericht

Die drei beschuldigten Niederländer mit Verteidigern, Dolmetscherin und Wachtmeister beim Prozess im Kölner Landgericht

Das erwartet drei beschuldigte Niederländer beim aktuellen Prozess im Kölner Landgericht.

Jetzt wissen viele der Beschuldigten im Komplex „Kölner Drogenkrieg“, auf welche Strafhöhen sie sich bei einem Tatnachweis gefasst machen müssen. Bei einem der laufenden Prozesse um Geiselnahme und gefährliche Körperverletzung am Landgericht äußerte sich der Vorsitzende Richter Tilman Müller am Donnerstag nach einem Rechtsgespräch mit Verteidigern und Staatsanwältin: Drei Angeklagten aus den Niederlanden drohen demnach zwischen rund acht und neun Jahren Gefängnis.

Köln: Geiselnahme in Lagerhalle nach Raub von 350 Kilogramm Drogen

Im aktuellen Prozess wird drei Männern vorgeworfen, an einer Vergeltungsaktion im Kölner Drogenmilieu beteiligt gewesen zu sein. Als Auftragstäter aus den Niederlanden engagiert, sollen sie Mitglieder einer Kalker Bande in einer Lagerhalle in Hürth überfallen, gefesselt und körperlich misshandelt haben. Den völlig verängstigten Opfern sollen die Angeklagten außerdem gedroht haben, sie mit kochend heißem Wasser zu übergießen oder ihnen die Finger- und Fußnägel zu ziehen.

Den Auftrag für die Misshandlungen im Juni vergangenen Jahres soll der mutmaßliche Kölner Drogenboss Sermet A. gegeben haben. Vorausgegangen war ein Raub von 350 Kilogramm Marihuana aus der Hürther Halle und damit laut Anklage etwa die Hälfte der ursprünglich dort gelagerten Drogen. Sermet A. soll daraufhin Mitglieder seiner Bande verdächtigt haben, an dem Raub beteiligt zu sein – laut späteren Ermittlungen gab es tatsächlich einen Verrat innerhalb der Kölner Gruppierung.

Alles zum Thema Amts- und Landgericht Köln

An Informationen zum Verbleib der Drogen kamen die Niederländer trotz der laut Anklage stattgefundenen Drohgebärden aber nicht. Stattdessen endete ihr offenbar geplanter „Tagesausflug“ aus dem Nachbarland im deutschen Gefängnis. So hatte ein Zeuge die Polizei verständigt und auf die Geiselnahme in der Lagerhalle aufmerksam gemacht. Bei der anschließenden Erstürmung wurden die Angeklagten laut Polizei in einem Grünstreifen hinter der Lagerhalle entdeckt und festgenommen.

Köln: Verteidiger streben Deal mit Gericht und Staatsanwaltschaft an

Geäußert hatten sich die Angeklagten zu den Vorwürfen bisher nicht, sondern nur zu ihrer Person. Bei den Ausführungen wurde deutlich, wie sehr die Niederländer unter der Inhaftierung in Deutschland leiden und ihre Familien vermissen. Der 35-jährige Sudnyson B. hatte angegeben, in Amsterdam seine schwangere Lebensgefährtin zurückgelassen zu haben. Erst kürzlich hatte der Angeklagte seinen Sohn zum ersten Mal gesehen – im Gerichtssaal, getrennt durch die Scheibe zum Zuschauerbereich.

Bereits bei einem vergangenen Verhandlungstag hatten die Verteidiger der drei Niederländer ausgelotet, ob Gericht und Staatsanwaltschaft zu einer Verständigung, dem sogenannten Deal, bereit wären. Der setzt meistens ein vollumfassendes Geständnis der Beschuldigten voraus – im Gegenzug setzt das Gericht einen Strafrahmen fest, der eingehalten werden muss. Prozesse können so erheblich verkürzt werden und Angeklagte haben vor dem Urteil die Gewissheit darüber, was sie erwartet.

Richter Müller gab bekannt, dass sich seine Kammer für die erwachsenen Angeklagten Gefängnisstrafen zwischen acht Jahren und einem Monat und neun Jahren und drei Monaten vorstellen kann. Ein Beschuldigter ist Heranwachsender, er könne nach Jugendstrafrecht mit bis zu vier Jahren und drei Monaten Haft rechnen. Die erhebliche kriminelle Energie bei der Tatausführung rechtfertige laut dem Vorsitzenden Richter nach jetzigem Stand die angedachten Strafen.

Köln: Anwälte erachten angedachte Strafen als zu hoch

Zustande kam der angebotene Deal bisher nicht, die Verteidiger erachteten die Vorstellungen des Gerichts offensichtlich als überzogen. Die Gesamtumstände des Tatgeschehens würden auch geringere Strafen zulassen, hatte laut Aktenvermerk etwa Rechtsanwalt Maximilian Eßer in dem Rechtsgespräch geäußert. Es sei demnach zu prüfen, ob die mutmaßliche Geiselnahme in der Lagerhalle von Anfang an so geplant oder die Situation womöglich eskaliert sei.

Einfach aufzuklären ist der Sachverhalt tatsächlich nicht, auch Richter Müller hatte von einer „dünneren Beweislage“ zur Situation in der Halle gesprochen. Was auch daran liegt, dass die Opfer aufgrund möglicher Verstrickungen in Drogengeschäfte zuletzt die Aussage vor Gericht verweigerten – obwohl sie kurz nach dem Geschehen bereits Angaben gemacht hatten. Daher musste am Donnerstag der ermittelnde Staatsanwalt Tilman Reiner im Zeugenstand erscheinen.

Köln: Ermittelnder Staatsanwalt sagt im Zeugenstand aus

Reiner hat bisherige Anklagen zum „Kölner Drogenkrieg“ verfasst und auch Tatverdächtige bei Haftprüfungsterminen getroffen. Als Zeuge bestätigte er, dass Anwälte für zwei Beschuldigte ausführliche Stellungnahmen abgegeben hatten. Ein in der Halle gefesselter Mann habe etwa eingeräumt, am Handel mit den 700 Kilogramm Marihuana beteiligt gewesen sein. In einer zuvor anonym versandten E-Mail habe er den mutmaßlichen Drogenboss Sermet A. schwer belastet.

Ein Komplize von A. habe angegeben, in die Sache „hineingerutscht“ zu sein. Er habe mit den Niederländern kommuniziert, will aber selbst bedroht worden sein. Von Gewalthandlungen in der Halle habe er nichts mitbekommen. „Für mich war das nicht plausibel“, sagte Staatsanwalt Reiner. Ein Polizist hatte zuvor im Zeugenstand von Folterinstrumenten in der Lagehalle gesprochen, „das war wie im Film“. Der Prozess wird fortgesetzt, zwei weitere Verfahren laufen parallel am Landgericht. Und es werden mehr dazukommen: Aktuell wird gegen etwa 40 Beschuldigte ermittelt.