Schon 2018 forderte OB Reker vergebens eine bessere Bezahlung des Rates. Reichen 541 Euro Entschädigung im Monat plus Sitzungsgeld? Eine Analyse.
„Köln wird nach Feierabend regiert“Braucht Köln einen besser bezahlten Stadtrat?

Hat genug: Christian Achtelik verlässt den Rat.
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Christian Achtelik hat genug. Nach fünf Jahren im Rat hört der Vize-Fraktionschef von Volt auf, er hat sich Mitte September nicht mehr zur Wahl gestellt. Achtelik hat Familie, arbeitet 70 Prozent als Unternehmensberater, dazu das Ehrenamt Politik: Er ist Ende Oktober raus aus dem Rat, obwohl er als Vize-Fraktionschef im Mehrheitsbündnis mit Grünen und Volt eine prominente Rolle hat, und ja, auch ein bisschen Macht.
Ein großer Grund ist aber: Achtelik war in den vergangenen Jahren manchmal unsicher, wenn er im Rat die Hand zur Entscheidung hob, eben weil er Politik für eine Stadt mit einem jährlichen Haushalt von mehr als sechs Milliarden Euro quasi nebenbei macht, nach der Arbeit. Für im Wesentlichen 541 Euro Aufwandsentschädigung im Monat plus 26 Euro je Sitzung eines politischen Gremiums.
Mehrere Fraktionen fordern Professionalisierung
Er sagt: „Dass so viele Entscheidungen unter Unsicherheit von einem abverlangt werden, ist ein Grund, warum ich nicht nochmal kandidierte.“ Er geht sogar so weit, zu sagen: „Köln wird nach Feierabend regiert.“ Und fordert deshalb: „Kommunalpolitik in dieser Größenordnung muss dringend professionalisiert werden.“
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Neben Volt sprechen sich Grüne, SPD, Linke und FDP für eine bessere Bezahlung oder Professionalisierung aus, auch die CDU sieht die Notwendigkeit, hält aber den Zeitpunkt angesichts der Haushaltskrise für falsch.
Landtagsmandat als Königsweg
Lange galt es in Köln vor allem für die Fraktionschefs als Königsweg, in den NRW-Landtag einzuziehen, dort 11.463,66 Euro monatlich zu erhalten und dadurch das Amt des Fraktionschefs in Köln mitzufinanzieren.
Wobei diese Vorsitzenden der Fraktion zumindest den dreifachen Satz der Aufwandsentschädigung erhalten. Doch Bernd Petelkau von der CDU flog 2022 aus dem Landtag, Christian Joisten schaffte für die SPD nicht den Einzug.
Joisten ist deshalb ebenfalls wie Christiane Martin von den Grünen bei der Fraktion angestellt, er arbeitet nebenbei noch als Sicherheitsberater und wird mit dem Steuergeld bezahlt, was die Fraktionen erhalten.
Görzel beklagt Höhe der Entschädigung
Martin sagt: „Es ist höchste Zeit, auf Landesebene eine parteiübergreifende Initiative zur besseren finanziellen Ausstattung kommunaler Mandate zu starten, damit Engagement im Rat für Menschen aus allen gesellschaftlichen Bereichen möglich bleibt. Das ist für eine lebendige Demokratie unabdingbar.“
FDP-Fraktionschef Volker Görzel hält die derzeitige Aufwandsentschädigung von 541 Euro für einen „Witz“. Görzel wünscht sich eine bessere Bezahlung vor allem mit Blick auf die teils hunderte Millionen Euro schweren Entscheidungen, etwa beim möglichen U-Bahn-Bau auf der Ost-West-Achse. „Das steht in keinem Verhältnis.“
Bessere Entscheidungen durch mehr Entschädigung?
Laut der Zefir-Studie von 2017 zur Situation des kommunalen Ehrenamtes in Nordrhein-Westfalen betrug der mittlere Zeitaufwand für Ratsmitglieder in den Städten 32,5 Stunden im Monat, für die Fraktionsvorsitzenden sind es demnach 56,4 Stunden monatlich.
Die Fragen ploppen seit Jahren immer mal wieder auf: Würde eine höhere Aufwandsentschädigung zu besseren Entscheidungen führen? In München beispielsweise erhält ein Stadtrat monatlich 2981 Euro. Joisten bezeichnet das Modell als Vorbild, er sagt: „Wer Vollzeit arbeiten muss, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, hat nicht die Zeitressourcen, um all den Anforderungen an ein Ratsmitglied zu genügen“

Oberbürgermeisterin Henriette Reker.
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Oder braucht es sogar hauptamtliche Politiker, die nichts anderes machen, eben wie Landtags- oder Bundestagsmitglieder? Köln hat dieses Jahr einen Haushalt von 6,45 Milliarden Euro, das ist mehr als das Saarland hat. Doch im Gegensatz zum Bundesland an der französischen Grenze machen in Köln Ehrenamtler die politische Arbeit.
Rekers Forderung an das Land
Oberbürgermeisterin Henriette Reker (parteilos) wollte das deshalb ändern. Vor sieben Jahren schrieb sie einen Brief an den damaligen NRW-Ministerpräsidenten Armin Laschet (CDU), darin hieß es: „Besonders in der größten Stadt unseres Landes mit mehr als einer Million Einwohnern und einem Haushaltsvolumen von fast fünf Milliarden Euro (das war die damalige Summe, Anmerkung der Redaktion) ist in meinen Augen eine ehrenamtliche Tätigkeit für Ratsmitglieder in der bisherigen Form nicht mehr zeitgemäß.“
Laut Rekers Aussage ist die bessere finanzielle Entschädigung nötig, damit die Politiker in ihrem Beruf weniger arbeiten könnten, um mehr Zeit für ihr Mandat zu haben. Reker forderte in dem Brief aber nicht konkret hauptberufliche Politiker.
Burmester will sich noch nicht äußern
Laut ihres Sprechers Alexander Vogel hat sich an dieser Haltung nichts geändert. Kölns designierter Oberbürgermeister Torsten Burmester (SPD) wollte sich gegenüber dieser Zeitung vor seinem Amtsantritt im November nicht äußern.
Ein Sprecher Laschet äußerte sich damals zurückhaltend zu Rekers Vorstoß. Aktuell sieht das zuständige NRW-Kommunalministerium noch viele Fragen.
Kann Köln sich eine bessere Bezahlung erlauben?
Eine Sprecherin sagte dieser Zeitung: „Es konnte unserem Ministerium bisher keiner die Frage beantworten, wie viel denn ein hauptamtlicher Kommunalpolitiker in Köln verdienen soll? So viel wie ein Landtagsabgeordneter oder wie ein Bundestagsabgeordneter? Und: Soll der Stadtrat so groß bleiben wie er ist oder dann verkleinert werden? Denn: Die Zahlungen sind aus dem Kommunalhaushalt zu leisten. In dem Zusammenhang sind dann auch weitere Fragen (zum Beispiel Rente, Übergangsgeld bei Verlust eines Mandates usw.) zu klären.“
Köln müsste also mehr Geld für seine Politikerinnen und Politiker zahlen – und das in Zeiten mit hunderten Millionen Euro Verlusten pro Jahr?
CDU-Fraktionschef Bernd Petelkau hält das für falsch: „In Zeiten in der viele Kommunen bereits im oder kurz vor einem Haushaltssicherungskonzept stehen, stellt sich aktuell eine solche Frage nicht. Unbestritten bleibt, dass der Arbeitsaufwand gerade in großen Städten in keinem Verhältnis zur vorgesehenen Entschädigung steht.“
Kommission sieht immer komplexere Arbeit
Auch eine Enquetekommission des Landes hat sich unter anderem mit dem Thema beschäftigt. Ein Ergebnis war: Die Arbeit für die Politikerinnen und Politiker wird immer komplexer, dafür brauchte es mehr Zeit, die Vereinbarkeit mit dem Privatleben leidet: „Gerade in der kommunalpolitischen Wirklichkeit von deutschen Großstädten sind schon seit längerem Professionalisierungsprozesse hin zu Quasi-Halbtagsmandaten zu beobachten.“
Das hat Folgen, eine davon: Frauen machen seltener Politik als Männer. Und: „In den Kommunalparlamenten zeigt sich: Je höher die Position ist, desto weniger Frauen sind dort vertreten.“
Darauf verweist auch Linken-Fraktionssprecher Heiner Kockerbeck: „Wenn Kommunalpolitik weiterhin ein Ehrenamt mit hohem Zeitaufwand und niedriger finanzieller Entschädigung bleibt, bleibt sie für viele – insbesondere für Frauen – unvereinbar mit ihrem Alltag. Ein repräsentatives Parlament braucht gerechte Zugangsvoraussetzungen für alle.“
Eine weitere Folge laut der Enquetekommission: Nur jeder fünfte Mandatsträger in Städten ist zwischen 19 und 45 Jahren alt, obwohl ein Drittel der NRW-Bevölkerung in diesem Alters-Korridor liegt.
Es sind Menschen wie Christian Achtelik von Volt, der jetzt aber angesichts der Umstände aufhört. Mit 37 Jahren.