23 Jahre Kölner BezirksbürgermeisterJosef Wirges trauert um sein Ehrenfeld

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Wirges GRÖNERT

Josef Wirges im Bezirksrathaus Ehrenfeld

  • Der SPD-Politiker Josef Wirges war 23 Jahre Bezirksbürgermeister in Ehrenfeld. Jetzt sind die Grünen stärkste Kraft.
  • „Kann schon sein, dass ich nicht gut loslassen kann“, sagte Wirges selber.
  • Nun nimmt nicht nur das Veedel Abschied von einem Unbeugsamen.

Köln-Ehrenfeld – Manche glauben, dass Josef Wirges bei seinem Wunsch, Ehrenfelder Bezirksbürgermeister bleiben zu wollen, obwohl er die Wahl verloren hatte, die Angst umgetrieben hat, allzu schnell in Vergessenheit zu geraten. Die Schulterklopfer, wenn er geholfen hatte, das Vogelsanger Büdchen zu retten (hier lesen Sie mehr) oder ein gewaltiges Einkaufszentrum auf dem Helios-Gelände zu verhindern, die Begegnungen mit von ihm eingebürgerten Ehrenfeldern, die sich Jahre später auf der Venloer erinnerten, wie er ihnen mitgab, nicht Deutschland zu lieben, sondern die eigene Familie, waren das eine – Streicheleinheiten, die der Gemütsmensch Josef Wirges brauchte.

Wenn es aber um einen Abschied nach solch einem Arbeitsleben geht, stellt sich auch die Frage, was vom Tage übrig bleibt. Wie sich ohne sein Zutun jenes Ehrenfeld entwickelt, das in den vergangenen Jahren immer weniger sein Ehrenfeld war. „Dass ihm der Abschied so schwer fällt, liegt wohl auch daran, dass ihm der Wandel seines Viertels viel zu schnell ging“, sagt Rolf Mützenich, Vorsitzender der SPD-Fraktion im Bundestag, der Wirges seit Mitte der 1970er Jahre kennt. „Ich denke, das ist für ihn auch eine Art Trauerarbeit. Das dauert.“

Josef Wirges: „Ich bin eben noch nicht fertig“

„Kann schon sein, dass ich nicht gut loslassen kann“, sagte Wirges am Anfang vergangener Woche in einem Besprechungsraum gegenüber seines vergilbten Büros, in dem ein Einkaufswagen voller Akten neben dem von Beschlussvorlagen, Brotdose und Zeitungen zerklüfteten Schreibtisch stand. „In meiner Arbeit steckt viel Herzblut. Und ich bin eben noch nicht fertig. Nehmen wir das Max-Becker-Areal an der Widdersdorfer Straße: Hier entscheidet sich in den nächsten Jahren, ob der letzte Sargnagel der Gentrifizierung von Ehrenfeld eingeschlagen wird. Und ich denke, zusammen können wir das verhindern.“

Wirges Büro 2017

Josef Wirges in seinem Büro im Jahr 2017

Als der Wunsch zu bleiben noch übermächtig war, öffnete Wirges im Besprechungszimmer eine Kaffeesahne, roch skeptisch daran, bevor er den Inhalt in die Tasse kippte, die Sahne flockte aus, „scheiße, die is’ wohl nix mehr, das ist uns auch schon mal passiert, als wir hohen Besuch hatten. Wollen sie trotzdem eine probieren?“, sagte er, lachte meckernd, und fuhr fort: „Eine Niederlage ist es ja erst, wenn ich nicht gewählt werde! Abwarten!“

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Zweckoptimistisch begründete er, warum er dem Wahlsieger nicht einfach gratuliert habe und abtrete – obwohl die Grünen bei der Kommunalwahl elf Prozentpunkte mehr erhalten hatten als die SPD. „Die Bündnisvereinbarung, die es zwischen Grünen und SPD lange gab und in der geregelt war, dass die stärkere Fraktion den Bürgermeister stellt, haben die Grünen vor zwei Jahren selbst aufgekündigt, das ist Fakt“, sagte er. Und, etwas trotzig: „Ich habe mit vielen Unterstützern gesprochen. Und alle haben gesagt: Jupp, Du musst nochmal antreten.“ In den Tagen nach der Kommunalwahl hingen an Ampelmasten und Schaufenstern in Ehrenfeld Zettel mit den Lettern: „Jupp, Du bleibst für immer unser Bürgermeister des Herzens. Wir danken dir.“ Die Worte klingen wie ein Nachruf. „Das hat gutgetan, aber ich bin politisch ja noch gar nicht tot!“, rief Wirges. Ihm schwebe „eine Fifty-Fifty-Lösung mit den Grünen“ vor – zweieinhalb Jahre könnte er noch Bezirksbürgermeister bleiben, bis er den Stab an Volker Spelthann von den Grünen übergeben würde. „Den könnte ich dann auch schön einarbeiten, so viel Erfahrung hat der ja glaube ich noch nicht.“

Wirges erklärt seinen Rückzug

So schön der Konjunktiv klang, so wenig kam er bei den Grünen an – am vergangenen Freitag erklärte Wirges seinen Rückzug. Hatte er am Montag noch angekündigt, notfalls auch als stellvertretender Bezirksbürgermeister weiterzumachen, kündigte er nun an, sein Mandat zurückzugeben. Wirges, der in 23 Jahren als Bezirksbürgermeister mit raumgreifender Amtsführung nicht nur viel für Ehrenfeld und die Bezirke erreicht, sondern auch dafür gesorgt hatte, dass man seine Stellvertreter kaum wahrnahm, als zweiter Mann? Nein. „Ich hätte mir und meinem Nachfolger damit keinen Gefallen getan“, sagt er.

Seit 1979 war Josef Wirges, der als junger Mann seinen Vater aus dem Vorstand des Ortsvereins abgewählt hatte, weil der ihm politisch zu gemäßigt erschien, Mitglied der Bezirksvertretung Ehrenfeld, seit 1997 als Bezirksvorsteher. Die Bezirksvorsteher wurden später auch auf sein Betreiben hin umbenannt in Bezirksbürgermeister. Als solcher hat es der Verwaltungsfachmann, der mit seiner Frau in einer Genossenschaftswohnung in Neu-Ehrengeld wohnt, zu einem der einflussreichsten und unverkennbarsten Lokalpolitiker der Stadt gebracht.

„Der letzte Separatist von Ehrenfeld“

In Köln fällt einem keine öffentliche Figur ein, die mehr aus der Zeit gefallen zu sein scheint als Josef „Jupp“ Wirges. Er spricht Kölsch. Er hält sich nicht an Etikette. Wenn er von Parteifreunden als „letzter Separatist von Ehrenfeld“ bezeichnet wird, empfindet er das als Ehre. Wenn die Stadt ihn zur Einweihung eines Kunstrasenplatzes mal wieder nicht eingeladen hat, kommt er, ergreift als erster das Mikrofon und begrüßt seine Gäste. Er klagt vor Gericht, als die Oberbürgermeisterin ihn auffordert, den Antrag eines Ratsmitglieds auf die Tagesordnung der Bezirksvertretung zu setzen – und beharrt darauf, dass ein Ratsmitglied kein Antragsrecht in der Bezirksvertretung habe. Bis er Recht behält.

Josef Wirges hat noch von „türkischen Mitbürgern“ geredet, als das Wort „Mitbürger“ von vielen als herabsetzend empfunden wurde. Wer ihn kannte, wusste: Dieser Mann hat nie ein Rhetorikseminar besucht – für Rassismus steht er nicht. Er kommt aus einem antifaschistischen SPD-Haushalt, setzt sich für das Gedenken an die Edelweißpiraten ein, machte sich noch für den Bau der Moschee stark, als ihm sein Einsatz Morddrohungen einbrachte.

Wirges Moschee in Ehrenfeld

Den Bau der Moschee war für Wirges ein Erfolg – die Arbeit mit der Ditib entwickelte sich zu einer Enttäuschung. 

Die Zusammenarbeit mit der Ditib scheiterte krachend. Zur Einweihung kam der türkische Staatspräsident Erdogan, derweil Wirges abseits stand und seinen Unmut über die Instrumentalisierung des Festakts durch den türkischen Staat in Interviews kundtat. Als in Neuseeland Muslime in Moscheen ermordet wurden, kam er trotzdem zu den längst unterkühlten Ehrenfelder Moschee-Oberen und sprach den Menschen sein Mitgefühl aus.

„Der Jupp ist halt der Jupp“, hieß es nicht nur am Stammtisch: Ne kölsche Kraat, der mit jedem redet und sich um jeden kümmert, politisch nicht immer korrekt, ein „alter weißer Mann“, ja, aber keiner, über den man sich lustig machen könnte. „Bei den Jungwählern hatte der alte weiße Mann leider nichts mehr zu melden. Die haben zu zwei Dritteln Grün gewählt. Das muss man ganz klar sehen, das ist Fakt“, sagte er an einem seiner letzten Tage im Bürgermeisterbüro. Bei den Jungen kam es nicht an, wenn Wirges die Autofahrer verteidigte und über die „türkischen Mitbürger“ redete, auch wenn ihn viele nett fanden.

Konfrontativ gegen Rechtsextreme in der Kölner Bezirksvertretung

Dass man ihn unterschätzte, kam ihm oft zugute. Im gentrifizierten Ehrenfeld half ihm das nicht mehr – dass er mit fast allen gut konnte, konnte ihn nicht retten. Berührungsängste und politische Farbenlehren waren Josef Wirges fremd – er redete mit veganen Klimafreunden wie mit den erzkonservativen Vertretern der CDU oder Erdogan-treuen Ditib-Funktionären. Mit dem Moscheeverband zuletzt allerdings nur noch in dem zweifelnden Glauben, dass kein Dialog die schlechtere Alternative wäre. Den Rechtsextremen in der Bezirksvertretung begegnete er konfrontativer: Einen Vertreter von Pro Köln schloss er für fast ein Jahr aus dem Gremium aus, weil der ständig verbal entgleiste. „Wenn Rechtsextreme in einem öffentlichem Organ sind, muss man alle Anträge von denen kategorisch ablehnen“, lautete sein Credo. „Wir dürfen sie niemals in die Situation bringen, Kümmerer zu werden.“

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Wenn man ihn nach seinen Erfolgen fragt, nennt Josef Wirges „ganz klar“ die Stärkung der Bezirke, die inzwischen mehr Einfluss haben beim Bau von Straßen, Spielplätzen, Sportanlagen. Maßgeblich hat er durchgesetzt, dass die Stadtbezirke über eigene Mittel verfügen – in Ehrenfeld sind das gut 100.000 Euro im Jahr, „ein Witz, eigentlich, aber immerhin“, wie auch seine Entlohnung von „kaum 800 Euro, vor Steuern“ ein Witz sei, „ein schlechter“. Er wollte so lange bleiben, bis Bezirksbürgermeister normale Gehälter beziehen würden – er selbst habe nur deswegen manches für Ehrenfeld erreicht, da ihn der Deutsche Städtetag, für den er arbeitete, halbtags freistellte – bei voller Bezahlung.

„Ich bin dabei, Abschied zu nehmen.“

„Jupp Wirges ist von manchen wegen seiner Art verkannt worden“, sagt sein Bezirksbürgermeister-Kollege Andreas Hupke. „Er war ein hartnäckiger und gewiefter Verwaltungsprofi, der als Personalratsvorsitzender beim Städtetag alle Ministerinnen und Minister kannte, Allianzen schmiedete, Projekte durchsetzte und nebenher für eine höhere Gehaltseinstufung der Sekretärinnen sorgte. Für mich persönlich, vor allem aber für die Bezirke war er ein großer Glücksfall.“ Er wünsche sich, dass „seine Riesenerfahrung und sein Wissen jetzt nicht einfach so atomisiert werden“, so Hupke.

„Er hatte die Gabe, durch sein Auftreten unmittelbar Identität zu stiften zwischen den Menschen und sich in seiner Rolle als Bezirksbürgermeister“, sagt Rolf Mützenich. „Es ging ihm darum, unterschiedliche Gruppen zusammenzuführen, die Wünsche der Menschen in den Bezirken gegenüber der Stadtverwaltung zu stärken und immer wieder um günstigen Wohnraum und gerechte Teilhabe zu kämpfen. Dafür hat er meine Hochachtung.“ Am Dienstag räumte Josef Wirges sein Büro im Bezirksrathaus leer. Er wirkte angefasst. „Ich gucke mir viele Unterlagen und Bilder nochmal an und entscheide, was wegkommt und was fürs historische Archiv interessant sein könnte“, sagte er. „Ich bin dabei, Abschied zu nehmen.“ Bei der Trauerarbeit helfen ihm viele Kölnerinnen und Kölner mit Mails, Briefen, Anrufen. Bezirksbürgermeister der Herzen wird Josef Wirges bleiben.

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