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Härte gegen ObdachloseSo reagiert die Stadtgesellschaft auf den Vorstoß der Kölner CDU-Fraktion

Lesezeit 6 Minuten
Zwei drogensüchtige Menschen am Neumarkt konsumieren Crack am Neumarkt.

Zwei drogensüchtige Menschen am Neumarkt konsumieren Crack am Neumarkt.

Experten fordern von der CDU ein Finanzkonzept für ihre Pläne, die Innenstadtkirchen berichten von schlimmen Zuständen. Ein Überblick.

„Rechtspopulistische Vertreibungspolitik“ und „wenig ernstzunehmend“ nennt die politische Konkurrenz den Vorschlag der CDU-Fraktion, Plätze von Obdachlosen zu räumen (wir berichteten). Gleichzeitig will die CDU Hilfsangebote für die Menschen ausbauen. Die Verantwortlichen der Innenstadt-Kirchen begrüßten dagegen den Vorstoß der CDU in dem komplexen Thema. Die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick.

Was hat die CDU-Fraktion vor?

Sie will unter anderem Plätze wie beispielsweise den Neumarkt oder den Ebertplatz von großen Obdachlosengruppen und Bettlern räumen, häufiger kontrollieren und den Zustrom von obdachlosen Menschen nach Köln verhindern. Gleichzeitig will die CDU laut eigener Aussage das Angebot an Beratungsstellen, temporären Unterkünften und medizinischer Versorgung in der ganzen Stadt ausbauen und keine Probleme an andere Stellen verdrängen. Die CDU sagt: „Menschen in Not brauchen Unterstützung, aber die Interessen der Allgemeinheit müssen an erster Stelle stehen.“

Verwaltungsrechtler Michael Oerder.

Verwaltungsrechtler Michael Oerder.

Geht es rechtlich so einfach, Plätze von Obdachlosen zu räumen?

Michael Oerder, Anwalt für Verwaltungsrecht in Köln, leitet die Arbeitsgruppe Verwaltungsrecht der NRW-Landesgruppe im Deutschen Anwaltverein. Laut Oerder braucht es für ein Verbot für Obdachlose für bestimmte Plätze entweder eine Allgemeinverfügung durch die Stadt oder eine ordnungsbehördliche Verfügung. Es geht um die Frage, ob eine Gefahr durch Obdachlose konkret oder abstrakt ist. Zu ersterer sagt Oerder: „Ob eine solche durch Obdachlose verursacht wird, erscheint fraglich.“

Zudem gehe es um die Grundrechte der Obdachlosen auf freie Entfaltung und Freizügigkeit. Oerder sagt: „Ein generelles Verbot für weite Teile des öffentlichen Raums würde ich kritisch sehen.“ Aber: „Ein beispielsweise auf den Neumarkt und wenige andere Bereiche mit erheblichem Fußgängerverkehr beschränktes Verbot halte ich in Anhängigkeit von Umfang und Begründung für nicht ausgeschlossen.“

Was sagt ein Experte für Sozialwissenschaft?

Dierk Borstel arbeitet als Professor für praxisorientierte Politikwissenschaften im Fachbereich Angewandte Sozialwissenschaften an der Fachhochschule Dortmund, er sagt: „Die Durchsetzung von Recht und Ordnung ist auch im Bereich der Wohnungslosigkeit eine legitime Forderung.“ Aber laut Borstel schweigt die CDU in ihrem Positionspapier zum entscheidenden Punkt: Wie die Integration der Menschen in Wohnprogramme finanziert werden soll. „Hierfür braucht es qualifizierte Soziale Arbeit, ein funktionierendes Netzwerk unterschiedlicher Träger und vor allem bezahlbaren Wohnraum für diese Menschen. Überzeugend wäre die CDU-Politik dann, wenn sie dazu ein Konzept mit Finanzierungsplan vorlegen könnte. Macht sie dies nicht, besteht die Gefahr, dass es ‚nur‘ bei der Verdrängung dieser Menschen bleibt. Das wäre dann eine populistische Politik auf Kosten der Schwächsten in dieser Gesellschaft.“

Die Antoniterkirche in der Innenstadt.

Die Antoniterkirche in der Innenstadt.

Was sagen die Kirchen-Verantwortlichen in der Nähe des Drogen-Hotspots Neumarkts?

Die evangelische Antoniterkirche steht auf der Schildergasse rund 400 Meter östlich des Neumarkts. Pfarrer Markus Herzberg begrüßt den Vorstoß der CDU. Die Stadtgesellschaft müsse „jetzt endlich gemeinsam mit allen Akteuren und Akteurinnen ins Handeln kommen“, die Kirche der Kölner Innenstadt versteht er als Teil davon. Laut Herzberg sind sie einerseits Betroffene der Folgen von Drogenkriminalität, andererseits sehen „wir auf Basis unseres christlichen Menschenbildes die soziale Verantwortung gegenüber den Menschen, die im Abseits unserer Gesellschaft stehen“. Herzberg sagt: „Als Kirche finden wir uns im Hinblick auf die gesamte Situation in der Kölner Innenstadt in einer überaus ambivalenten Situation wieder: Zur Sicherheit unseres hauptsächlich ehrenamtlichen Teams, dass dafür sorgt, dass die Antoniterkirche täglich geöffnet ist und allen Menschen in dieser Stadt einen Pol der Ruhe bieten kann, haben wir aufgrund von massiven körperlichen und verbalen Bedrohungen durch Menschen unter Drogeneinfluss, aber auch Kriminellen, die mitten am Tag Geld aus den Opferstöcken entwenden, einen ‚Notknopf‘ zu einem privaten Sicherheitsdienst eingerichtet.“ Besucherinnen und Besucher sprechen demnach Herzberg und sein Team an und „thematisieren ihr Gefühl der Bedrohung und des Unbehagens auf dem Weg zur Kirche durch aggressives Betteln“.

Die katholische Kirche St. Aposteln steht direkt westlich des Neumarkts, der leitende Pfarrer in der Kölner Innenstadt, Dominik Meiering, sagt: „Wir erleben eine Zunahme von Verwahrlosung – das betrifft Menschen und Orte. Das ist eine Zumutung für alle. Deshalb bedarf es jetzt des entschiedenen Handelns.“ Er sagt: „Wir stehen vor unterschiedlichen Herausforderungen: Es gibt Drogenabhängige, psychisch kranke Menschen, arme Menschen, Obdachlose und Wohnungslose. Sie alle brauchen individuelle Betreuung.“

Hat der Stadtrat nicht gerade erst einen Beschluss gefasst, um Verwahrlosung und Drogenszene zu bekämpfen?

Ja, am 3. April hat das Gremium unter anderem beschlossen, die „offene Drogenkonsumszene mit besonderem Augenmerk in den Blick zu nehmen“. Dafür soll die Verwaltung prüfen, ob sie eine neue Einheit für „Sicherheit, Intervention, Prävention“ gründet. Dem gemeinsamen Antrag stimmten zu: Grüne, SPD, FDP, Volt – und auch die CDU.

Volker Görzel von der FDP bezeichnet den CDU-Vorstoß „als wenig ernstzunehmend“.

Volker Görzel von der FDP bezeichnet den CDU-Vorstoß „als wenig ernstzunehmend“.

Wie reagieren Teile der Politik auf den CDU-Vorstoß?

Alle eint die Aussage, dass etwas getan werden muss. Aber etwa Grünen-Fraktionschefin Christiane Martin sagt: „Dieses von der CDU-Fraktion veröffentlichte Papier entbehrt jeder realpolitischen Grundlage – es gibt kein konkretes politisches Vorhaben dazu, keine vereinbarte Mehrheit und auch keine Finanzierung. Es enthält nichts als vage Wahlversprechen, die von Selbstverständlichkeiten über bereits beschlossene Maßnahmen bis zu Absurditäten reichen. Das alles in einem zum Teil unmenschlichen Sprachduktus.“ Die Grünen (27 Sitze im Rat) sind in einem Mehrheitsbündnis mit CDU (20) und Volt (4), es verfügt über 51 der 90 Sitze im Rat.

SPD-Fraktionschef Christian Joisten sagt: „Wenn die CDU jetzt fordert, mit übertriebener Härte gegen die Schwachen in unserer Gesellschaft vorzugehen, ist das für jeden erkennbar Wahlkampf.“ Laut Joisten will die SPD erst Alternativen für die obdachlosen Menschen, um sie dann dort hinzubegleiten. Linken-Fraktionssprecher Heiner Kockerbeck bezeichnet den Vorstoß als „rechtspopulistische Vertreibungspolitik“. Er sagt: „Wir lehnen Vertreibung ab und fordern präventive Maßnahmen zur Vermeidung von Wohnungslosigkeit sowie Hilfen für davon betroffene Menschen.“

Laut FDP-Fraktionschef Volker Görzel kann sich der Rat dem Zustand der Innenstadt nicht länger tatenlos hingeben. „Doch dass die CDU nun kurz vor einer Kommunalwahl hier einen Aufschlag macht, zeigt, wie wenig ernstzunehmend dieser ist. Schließlich stellt die CDU seit vielen Jahren die Stadtdirektorin, die dem Ordnungsamt vorsteht, und ist mit kurzer Unterbrechung seit 25 Jahren in Verantwortung für die Stadt.“ Und Christian Achtelik, Vize-Fraktionschef von Volt, sagt: „Wir entlasten die Hotspots mit dezentralen Hilfsangeboten und einer höheren Präsenz der SOS-Kräfte – nicht aber, indem wir diese Menschen von ausgewählten Plätzen verdrängen, die man dann öffentlichkeitswirksam von Obdachlosigkeit frei spricht.”

Wie sollen die Maßnahmen bezahlt werden, die die CDU nennt?

Die Stadt Köln steckt in einer „dramatischen Finanzlage“ (O-Ton Oberbürgermeisterin Henriette Reker), geht für dieses und nächstes Jahr von rund 850 Millionen Euro Verlust aus. CDU-Fraktionschef Bernd Petelkau sagt zur Frage, wie die CDU überhaupt ihre Hilfsangebote finanzieren will: „Wir erwarten unter anderem durch das Investitionspaket des Bundes spürbare Entlastungen für den städtischen Haushalt.“ Um häufigere Kontrollen oder ausgeweitete Hilfsangebote zu finanzieren, würde die CDU laut Petelkau „gegebenenfalls auch haushaltsinterne Repriorisierungen anstoßen“. Er kündigte an, die Themen nach und nach in den Rat einzubringen.

SPD-Fraktionschef Joisten sagt in Richtung CDU: „Bezahlbar wäre das etwa durch ein wirkungsvolles Controlling bei den Planungskosten für Großbauprojekte wie die Oper oder andere Kulturbauten, bei denen wir regelmäßig von Baudezernent Greitemann (der CDU-Oberbürgermeisterkandidat ist, Anmerkung der Redaktion) mit millionenschweren Zusatzkosten konfrontiert werden.“