Kölner Spitzenköchin Julia Komp„So langsam wünsche ich mir den Stern zurück“

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Julia Komp

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  • Die Kölner Spitzenköchin und #401-Botschafterin Julia Komp eröffnet in der Corona-Krise zwei neue Restaurants. Ein Gespräch über kulinarische Neuerfindungen und Behördengänge, ihre Träume und Opfer sowie ihre Faszination für Handwerkskunst.

Köln – Das Unternehmen DuMont feiert unter #401 die Kunst, sich immer wieder neu zu erfinden. Was war die wichtigste Neuerfindung in Ihrem Leben?

Meine Ausbildung als Köchin. Das war der Knackpunkt, an dem alles angefangen hat. Vorher hatte ich noch andere Optionen und Ideen für mein Leben. Richterin oder Küstenwache, beides hätte mich auch sehr interessiert.

Manchmal erfindet man sich unfreiwillig neu. Sie mussten das Restaurant Lokschuppen in Mülheim als Küchenchefin verlassen, weil Ihr Chef unterschiedliche Auffassungen zur kulinarischen Strategie des Restaurants hatte. Sind Sie im Nachhinein dankbar dafür, ins kalte Wasser geschubst worden zu sein und jetzt Ihr eigenes Restaurant zu eröffnen?

Absolut. Ich habe mich eine Woche komplett zurückgezogen und mir dann gesagt: Weitermachen. Ich bin sehr froh, dass ich in dieser Zeit nicht allein war (Julia Komps Partner Yunus Özananar wird Partner von „Sahila“ und „Yu*lia“, Anm. der Red.) und dann noch das Glück hatte, eine derart perfekte Location zu finden. Es gab am Anfang noch andere Interessenten für das L'Accento, aber der ehemalige Besitzer hat gemerkt, dass wir es als junges Pärchen mit viel Liebe und Herzblut machen wollen, als family business, so wie er mit seiner Frau. Als klar war, dass wir das Restaurant übernehmen dürfen, ist mir ein Stein vom Herzen gefallen. Ich verspüre großen Druck, weil ich seit der Rückkehr von meiner Weltreise gefühlt schon lange in einer Warteposition stehe.

Sie eröffnen im Ex-„L'Accento“ nicht nur das Sahila, sondern direkt daneben auch die Mezzebar Yu*lia. Wollen Sie das Risiko mit zwei Beinen geringer halten?

Das ist wirtschaftlich gedacht, klar. In einem Fine-Dining-Restaurant wie dem Sahila braucht man eine gewisse Postenverteilung von Köchen in unterschiedlichen Bereichen. Weil die Personalkosten und Waren so hoch sind, achte ich auf den optimalen Einsatz. Das Yu*lia zielt auf ein bunt gemischtes Publikum. Man isst nicht jeden Tag ein ganzes Menü, aber in der Mezzebar kann man auch für Kleinigkeiten vorbeischauen. Viele Gerichte in der orientalischen Küche sind vegetarisch und das ist aktuell sehr gefragt.

Über Julia Komp und ihre neuen Restaurants

Julia Komp ist 1989 in Engelskirchen geboren und in Overath aufgewachsen. Nach dem Abitur begann sie ihre Ausbildung als Köchin im Porzer Sterne-Restaurant „Zur Tant“. 2016 wurde sie mit 27 Jahren jüngste Sterneköchin Deutschlands im Kerpener Schloss Loersfeld. 2018 ging sie für ein Jahr auf Weltreise, um die kulinarischen Traditionen in 30 Ländern kennenzulernen. Bis zum Frühjahr kochte sie im Mülheimer Lokschuppen. Am 21. Dezember eröffnet sie im ehemaligen Restaurant L’Accento in der Kämmergasse 18 das Fine-Dining-Restaurant Sahila und die Mezzebar Yu*lia. 

Weitere Informationen und Reservierungsmöglichkeiten gibt es hier. 

Mit einem eigenen Restaurant kann man scheitern, kulinarisch wie finanziell. Bereitet Ihnen das schlaflose Nächte?

Ich verdränge das ein Stück weit. Wir haben viel Geld in die Renovierung des Restaurants gesteckt. Jetzt muss ich zusehen, dass wir alles wie geplant stemmen (lacht). Verzichten möchte ich im Restaurant am liebsten auf nichts, lieber arbeite ich dafür später doppelt so viel.

Im Lokschuppen waren Sie Küchenchefin, jetzt sind Sie Alles-Chefin: Was ist die größte Herausforderung?

Der Papierkram. Schon bei der Beantragung der Konzession wollte ich kurzfristig aufgeben. Bei der Stadt Köln hat mich zunächst jeder weggeschickt, ich bin von Schreibtisch zu Schreibtisch gerannt. Eigentlich ist es nichts Schlimmes, ein Formular zu beantragen, aber ich koche lieber als Papiere zu beantragen. Würde mir jemand sagen, ich solle ein Menü für 100 Leute kochen, wäre das gar kein Problem.

Sie wollen am 21. Dezember eröffnen, derzeit haben Sie noch nicht einmal eine Küche. Wie bleiben Sie in Übung als Köchin?

Ich gehe häufiger woanders kochen, bei Gourmetfestivals und beim WDR zum Beispiel. Ich freue mich aber jetzt schon auf meine eigene, neue Küche, die bald ankommt. Dann kann ich so richtig durchstarten und der Inspiration freien Lauf lassen. Dabei hat natürlich auch das neue Team einen großen Einfluss. So oder so werden wir bei der Neueröffnung mit einem „Best Of“ der letzten zehn Jahre starten. Im Januar folgt dann ein neues Menü.

Wie wird sich Ihr kulinarisches Vorhaben von der Arbeit im Lokschuppen unterscheiden?

Das Konzept der Weltreise bleibt. Mit nur noch einem Drittel der Sitzplätze kann man sich darauf fokussieren, alles perfekt zu machen. Die Teller sollen schlichter werden. Die Gerichte mit Fleisch oder Fisch möchte ich außerdem direkt so entwerfen, dass sie auch vegetarisch gut funktionieren.

Sie sind mit 27 jüngste Sterneköchin Deutschland geworden, was Ihnen bis heute sehr viel Aufmerksamkeit bringt. Hat diese Aufmerksamkeit auch negative Seiten?

Überhaupt nicht. So langsam wünsche ich mir den Stern allerdings ein wenig zurück. Im Lokschuppen hat das wegen der Eröffnung mitten in der Corona-Krise nicht geklappt. Mit 55 Sitzplätzen war es sowieso schwer: Es gab lange Laufwege und der Service konnte sich in der kurzen Zeit, die wir geöffnet hatten, nicht einspielen. Das Sahila-Restaurant ist jetzt ein Neustart für mich. Auch hier müssen wir uns als Team erst einmal einspielen. Natürlich wäre es ein großer Traum, den Stern irgendwann ins eigene Restaurant zu holen. Jetzt aber gilt es, erst einmal loszulegen.

Wie wichtig ist es in der Spitzenküche, Gerichte oder einen Stil neu zu erfinden?

Die eigene Handschrift ist das, was bewertet wird. Ich kann so gut kochen, wie ich möchte – wenn ich immer nur Rezepte von anderen nachkoche, reicht das nicht. Innovation ist wichtig. Man muss sich klarmachen, was man will. Mir zum Beispiel sind neben Geschmack und Qualität hübsch angerichtete Teller wichtig. Deswegen setzen wir viele schöne Formen ein. Ich finde, dass sich meine Handschrift klar entwickelt hat und man meinen eigenen Stil erkennen kann.

Kann man in der Küche etwas neu erfinden? Oder geht das kaum noch, ähnlich wie in der Mode, wo ja jetzt viel recycelt, neu zusammengestellt wird?

Man kann nicht jeden Tag eine neues Garverfahren erfinden, aber Geschmack, Zusammensetzung und Inspiration für ein Gericht - das ist unsere Kreativität. Es gibt immer wieder Trends wie zum Beispiel Fermentation. Das Thema Regionalität gewinnt in Deutschland an Relevanz. Und man sollte sich natürlich auch immer selbst treu bleiben. Am besten immer nur das servieren, was einem selbst gut schmeckt. Gestern habe ich rohes Kichererbsen-Eis gegessen. Alle anderen haben gesagt, dass sie es eklig finden, aber ich fand es interessant. Ich denke dann sofort darüber nach, wie man auf die Idee gekommen ist und so kommen mir dann wiederum neue Ideen.

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Welchen Koch oder welche Köchin verehren Sie für ihre Neuerfindungen?

Ich bin ein Fan von echter Handwerkskunst: Mich begeistert zum Beispiel, wie fein die Köche in Japan Fleisch und Gemüse schneiden. Meine Weltreise habe ich ursprünglich unternommen, um herauszufinden, wie echtes Kimchi hergestellt wird. Kulinarisch kann man mich auf viele Arten begeistern. Wenn ich in einem Restaurant fantastische Teller sehe, teile ich das auch gerne auf Instagram.

Wenn Sie auf Reisen sind: Wie entdecken Sie die Kulinarik in der Fremde?

Wenn ich einen Koch in der Stadt kenne, gehe ich natürlich dorthin. Oder ich frage den Kellner in einem Restaurant, das mir gefällt, nach weiteren Tipps. Manchmal laufe ich aber auch mehrere Stunden rum, bis ich etwas Tolles gefunden habe. Das nervt meinen Freund total (lacht). Die besten Tipps bekommt man von Einheimischen. Auf Tripadvisor und andere Empfehlungen im Internet kann man nicht immer vertrauen. Eine der Ausnahmen ist der Guide Michelin, aber der ist ja eher für gehobene Restaurants. Im Taxi oder Hotel zu fragen kann ich nicht so empfehlen.

Als Sie auf Weltreise waren und gesagt haben, dass Sie aus Köln kommen: Wie sind die Reaktionen? Spielt Köln auf der kulinarischen Landkarte eine Rolle?

Nein, bisher leider nicht. Es ist Germany, es ist Oktoberfest, Sauerkraut, Schweinshaxe und Würstchen. Manchmal kommt dann noch der Schwarzwald. Ich frage dann immer: Do you know Karneval?

Es gibt sehr wenig Frauen in der Spitzenküche. Wollen Sie Vorbild sein?

Auf jeden Fall. Wir werden in der Küche jetzt fünf Mädels sein. Dafür haben wir nur einen männlichen Koch, normalerweise ist das in Küchen genau umgekehrt. Früher hätte ich gedacht, dass das schwierig werden könnte. Aber jetzt habe ich tolle junge Mädels gefunden, die zudem ehrgeizig sind und Spaß an der Arbeit haben. Ich würde aber auch gerne in anderer Hinsicht ein Vorbild in der Gastronomie sein: Ich möchte ein gutes Arbeitsklima, faire Bezahlung und angemessene Arbeitszeiten. Ein neues Zeitalter in der Sterneküche einläuten, wo in den Küchen oft ein sehr rauer Ton herrscht, wie ja auch immer wieder zu lesen ist.

Zum #401-Jubiläum

DuMont feiert in diesem Jahr das 401-jährige Bestehen des Unternehmens – unter dem Motto „Die Kunst, sich immer wieder neu zu erfinden“. Im Jahr zuvor hatte die Pandemie das Feiern der fortwährenden Innovation unmöglich gemacht. Die etwa 2700 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stehen im Fokus der Initiative, um den Mut zur Erneuerung im gesamten Unternehmen weiter zu fördern. Sieben Botschafterinnen und Botschafter, die auf ihrem beruflichen Weg bewiesen haben, diese Kunst zu beherrschen, feiern mit DuMont nicht nur ein 401-Jahre-Jubiläum, sondern vor allem: die Zukunft.

Werden Sie auch als Vorbild wahrgenommen von jungen Frauen?

Ich höre oft: Ich wäre gerne so wie du. Ich rate ihnen dann, stark zu sein und ihre Ziele zu verfolgen, egal was A und B neben ihnen sagen. Man braucht Power, Ehrgeiz und am Ende ist es halt auch Leistung – es geht auch darum, wer richtig gut kochen kann.

Sie wirken sehr von sich überzeugt. Sind Sie es?

Richtig selbstbewusst bin ich, wenn ich in der Küche stehe und kochen kann. Ich ärgere mich manchmal über Leute, die mehr durch ihren Schein auffallen als durch harte Arbeit. Denn es gibt viele talentierte Menschen, die nicht gerne im Rampenlicht stehen, aber trotzdem gute Leistungen erbringen. Das sollte man genauso wertschätzen. Außerhalb der Küche hinterfrage ich meine Entscheidungen gerne mal.

Frauen wird Selbstbewusstsein manchmal anders ausgelegt als Männern, als Arroganz. Machen Sie die Erfahrung auch?

Auf jeden Fall. Als ich Jurorin in der „Küchenschlacht“ war, habe ich mich immer bemüht, meine Kritik viel freundlicher zu formulieren als die männlichen Kollegen, aus der Erfahrung heraus, dass man als Frau schnell biestig rüberkommt. Mir ist ein harmonisches Umfeld wichtig und ich bin immer freundlich. Eigentlich könnte es mir egal sein, was andere von mir denken, aber es macht mir was aus.

Die Personalnot hat sich in der Corona-Krise deutlich verschärft. Merken Sie das auch?

Ja, aber ich habe Glück gehabt bei der Rekrutierung für mein neues Restaurant. Ich war immer eine nette Chefin, das zahlt sich jetzt aus. Mir hat es auch immer Spaß gemacht, im Team mitzuarbeiten. Da erarbeitet man sich einen anderen Respekt, als wenn man nicht anwesend ist.

Woran spürt man in der Gastronomie die Corona-Krise noch?

An den Preisen! Ich hatte erst heute ein Gespräch mit einem guten Fleisch-Lieferanten. Als der mir seine Preise genannt hat, bin ich aus allen Wolken gefallen. Auch meine Küche wird viel teurer als gedacht – und sie kommt später. In der Druckerei war das von mir gewünschte Papier nicht verfügbar. Auch Handwerker sind gerade schwer gefragt.

Wenn Sie auf die aktuelle Kölner Gastroszene gucken: Welche Kolleginnen und Kollegen finden Sie innovativ?

Ich mag die Henne Weinbar, das Grubers und das Ito. Und zu Leon Hofmockel ins La Société möchte ich auch unbedingt in den nächsten Tagen gehen. Ich bin sehr gespannt auf Ronja Morgenstern, eine Sommeliere, die jetzt in Köln das Prunier-Restaurant eröffnet hat mit Enno Hirschfeld als Küchenchef. Ronja und ich sind gute Freundinnen. Während unsere Freundinnen wiederum gerade alle Kinder bekommen, eröffnen wir Restaurants.

Der Beruf und eine Familie ist für Frauen oft immer noch viel schwerer zu vereinbaren als für Männer. Wollen Sie auch Kinder?

Eigentlich wollte ich keine alte Mutter sein, aber gerade jetzt liegt der Fokus erst mal auf meinem Restaurant.

Was haben Sie geopfert für Ihren Traum?

Sehr viel. Ich habe 13 Jahre lang auf alle Hochzeiten, Geburtstags- und Familienfeiern verzichtet. Ich war immer arbeiten, hatte kein Wochenende frei. Auch Freundschaften musste ich opfern. Ich habe zwar einzelne Freundinnen, aber keine richtige Clique mehr.

Sie wollen Ihren Stern zurückkochen. Was wollen Sie noch?

Meine Oma, die leider verstorben ist, hat nach dem ersten Stern zu mir gesagt: Du kriegst auch zwei Sterne. Ich bin stur. Alle Ziele, die ich mir in den Kopf gesetzt habe, möchte ich auch erreichen. Ich wünsche mir jetzt endlich wieder, am Herd zu stehen und mit meinem Team eine Weltreise auf die Teller zu zaubern. Mir fehlen durch Corona anderthalb Jahre. Natürlich mache ich mir auch schon mal Sorgen, dass sich mein Traum nicht erfüllt. Und ich will auf keinen Fall so rüberkommen, als möchte ich den Stern nur um des Sterns willen. Ich möchte ein cooles Team haben, meine Gäste glücklich machen, sie in eine andere Welt entführen – und dann auf die Belohnung hoffen. Ich habe noch nicht genug erreicht, um mich auf meinen Lorbeeren auszuruhen.

Wenn Sie nicht mehr Köchin sein könnten, was wären Sie dann gerne?

Eventmanagerin, Hochzeitplanerin am liebsten. Das ist der schönste Tag im Leben vieler Menschen, da kann man richtig groß auffahren. Und es hätte immer noch etwas mit Gastro zu tun.

Wo sehen Sie sich in zwanzig Jahren? Wie möchten Sie sich dann neu erfunden haben?

In 20 bis 25 Jahren möchte ich das „Sahila“ an mein Team übergeben, ein Flugticket buchen und eine Strandbar aufmachen, irgendwo da, wo es richtig warm ist.

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