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Neue Kölner StudieWissenschaftler erklärt den wahren Grund für Hamsterkäufe

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Warum die vielen Hamsterkäufe? Ein Kölner Wissenschaftler hat genau das erfragt – bei den Hamsterkäufern selbst.

  • Die leergekauften Klopapier-Regale zählen zu einem der erstaunlichsten Phänomene der Corona-Krise in Deutschland.
  • Der Kölner Wissenschaftler André Marchand hat sich in einer hochaktuellen Studie mit den Hamsterkäufen beschäftigt und dazu zahlreiche Menschen befragt.
  • Im Interview mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger” erklärt er, welche unterschiedlichen Motive es fürs Hamstern gibt und welche Menschen ganz besonders stark zu Hamsterkäufen neigen.
  • Außerdem verrät er, auf welchem Platz die Deutschen mit ihrem Toilettenverbrauch weltweit liegen – und was er persönlich hamstern würde.

Köln – Herr Marchand, haben Sie auch schon in den letzten Wochen gehamstert?

Ich habe das nicht gemacht, weil ich immer online bestelle.

Ihre Studie ist ja sehr aktuell. Wann und wo hatten Sie die Idee dazu?

Alles zum Thema Universität zu Köln

Die Idee kam mir beim Joggen im Kölner Stadtwald, als die Schulen und Kitas geschlossen wurden. Ich habe mir gedacht, die Lage passt zu einem Forschungsprojekt, an dem wir ohnehin schon arbeiten. Mit meinen Kollegen forsche ich zum Thema, wie ältere Menschen konsumieren und welchen Einfluss das Gefühl hat, man könnte bald sterben. Als das Thema Corona immer stärker wurde, war uns klar, dass wir die Auswirkungen von Corona auf das Kaufverhalten untersuchen müssen.

Sie haben wissenschaftlich herausgefunden: Es wird in der Corona-Krise gehamstert. Warum machen Menschen das?

Dafür gibt es eine ganze Menge Gründe. Die Menschen haben einen höheren Verbrauch, weil sie jetzt mehr zu Hause sind. Die Kinder sind zu Hause, die Restaurants sind geschlossen, ebenso die Hotels und Kantinen. Die Menschen essen nun so gut wie jeden Tag daheim. Wir sehen auch, dass Kaffee und Espresso jetzt sehr viel mehr gekauft werden, weil die Menschen das gerne im Homeoffice trinken. Hinzu kommt, dass manche Produkte wie Toilettenpapier seltener geliefert werden als verderbliche Ware. Toilettenpapier nimmt außerdem relativ viel Platz ein. Wenn das weg ist für einen Tag, fällt das im Supermarkt stark auf.

Aber es gibt auch psychologische Gründe?

Das Irrationale macht das Thema sehr spannend. Man fragt sich, warum Toilettenpapier ausverkauft ist, eine Ware, die man nun wirklich nicht dringend braucht, um zu überleben. Die Medien spielen eine starke Rolle. Die Menschen sehen die steigenden Zahlen von an Covid-19 erkrankten Menschen. Sie sehen die Lkw-Staus an den Grenzen, sehen andere Hamsterkäufer und die leeren Regale. Das wird in den sozialen Medien verbreitet und sind Momente, die triggern und zu emotionaler Betroffenheit führen. Ein Foto von leeren Regalen löst bei vielen Menschen mehr aus als eine detaillierte Statistik, die nachweist, dass es Tonnen von Lebensmitteln gibt und die Supermärkte nicht geschlossen werden.

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Also ist Angst eines der Hauptmotive?

Die Hälfte der Konsumenten, die selbst hamstern, führen in unserer Studie als Grund die Angst an, dass Supermärkte geschlossen werden könnten. Horten ist eine typische Reaktion auf Angst. Horten ist auch ein Versuch, Kontrolle wieder zu erlangen. Ein Versuch der Rebellion gegen die eigene Hilflosigkeit, könnte man sagen. Es gibt bereits Studien, die zeigen, dass Menschen den Verlust von Kontrolle negativ empfinden und versuchen, dies mit dem Kauf von nützlichen Produkten wie Seife oder Toilettenpapier zu kompensieren. Das sind auch jetzt die Verkaufsschlager.

Gibt es noch weitere Gründe?

Das Herdenverhalten. Das kann man zum Beispiel auch im Urlaub beobachten. Sogar in der Nebensaison, wenn genug Plätze vorhanden sind, legen die Menschen Handtücher morgens auf die Sonnenliegen. Andere wiederholen das wegen des Herdenverhaltens. Das führt zu einer selbst erfüllenden Prophezeiung. Am Anfang denkt man, es ist nicht genug da, obwohl es nicht der Wahrheit entspricht. Wenn andere es vormachen, kauft man plötzlich selbst mehr von einem Produkt ein und dann wird es plötzlich wirklich knapp.

Wie viele Menschen hamstern denn?

Man kann davon ausgehen, dass es zwischen 20 und 40 Prozent sind. Die Zahlen gehen aktuell etwas zurück.

Was wird gehamstert?

Vorne liegen Produkte wie Seife, dessen Verbrauch um 337 Prozent gestiegen ist und Toilettenpapier mit einem Plus von 211 Prozent. Nachgefragt werden auch Produkte wie Nudeln, Reis, Pasta-Sauce und Zucker. Der Kauf von Desinfektionsmitteln sinkt schon wieder etwas, da haben sich die meisten schon eingedeckt oder es gibt nicht mehr genug davon. Irgendwann hat man so viel Desinfektionsmittel oder Toilettenpapier im Schrank, da hört das Hamstern auch wieder auf. Es geht also nicht Mehrkonsum, sondern um eine Kaufbeschleunigung. Weniger gefragt sind Produkte, die Spaß machen: Die Teilnehmer unserer Studie haben gesagt: Wir geben nicht mehr Geld aus für Filme, Videospiele oder einen Netflix-Zugang. Das betrifft auch den Bierkonsum. Die Menschen flüchten sich tendenziell nicht in den Alkohol, sondern kaufen Dinge, die sie etwas unabhängiger machen, falls die Supermärkte geschlossen werden sollten.

Vielen Menschen hamstern, aber nur wenige geben es zu. Warum?

Bei uns haben 21 Prozent der Befragten zugegeben, dass sie hamstern. Das hat mit einem Effekt zu tun, den nennen wir in der Wissenschaft Verzerrung wegen sozialer Erwünschtheit. Das bedeutet, es gibt Dinge, für die man sich schämt. Niemand möchte zugeben, etwas Unsinniges zu tun. Wir sehen bei den Verbrauchszahlen der Händler eindeutig, dass es dieses Phänomen gibt.

Gibt es Menschen, die besonders stark zu Hamster-Käufen neigen?

Beim Geschlecht und beim Alter sehen wir keinen Unterschied. Wir sehen einen Unterschied bei Menschen, die ein Bewusstsein für ihre eigene Sterblichkeit haben und über den Tod nachdenken. Das führt zum verstärkten Horten. Man versucht also die Angst vor der eigenen Sterblichkeit mit Konsum zu kontrollieren.

Zur Person

Professor André Marchand ist Wirtschaftswissenschaftler an der Universität Köln. Seine Forschungsschwerpunkte sind die digitale Transformation im Marketing, Innovationsmanagement und Konsumverhalten. Er berät außerdem Unternehmen in diesen Bereichen. (ris)

Sie wollen Ihre Studie auf weitere Länder ausdehnen. Welche sind das?

Im Moment sind wir dabei, Daten in New York zu erheben, weil es dort auch Ausgangssperren gibt. Wir wollen erforschen, welchen Einfluss diese Ausgangssperren auf den Konsum der Menschen haben. Menschen können sich in ihren Wohnungen gefangen fühlen, auch wenn sie zum Einkauf oder Joggen rausgehen können. Das kennen wir auch aus dem Flugzeug. Wenn Menschen dort eine Zeit gefangen sind und ein knappes Angebot haben, dann essen und kaufen sie mehr als in anderen Situationen. Wir wollen auch messen, wie hoch der Verbrauch an Toilettenpapier in verschiedenen Ländern ist. Der ist interessanterweise in den USA am höchsten. Deutschland liegt weltweit auf Platz zwei. In Frankreich wird im Schnitt nur halb so viel Toilettenpapier verbraucht wie in Deutschland.

Haben Sie einen Geheimtipp, was man unbedingt hamstern sollte?

Vielleicht seinen Optimismus, den brauchen wir in der Zukunft noch.

Das Gespräch führte Dirk Riße

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