Spektakuläre Zwillingsgeburt in KölnLiana und Leonie liegen weltweit vorn

Lesezeit 5 Minuten
Die glücklichen Eltern mit ihren Zwillingen Liana und Leonie, die nach 97 Tagen endlich vereint sind

Die glücklichen Eltern mit ihren Zwillingen Liana und Leonie, die nach 97 Tagen endlich vereint sind

  • Die beiden Mädchen kamen mit 97 Tagen Abstand in Holweide zur Welt.
  • Der große Zeitunterschied ist einzigartig und weltweit etwas Besonderes", sagt der Leitende Oberarzt Uwe Schellenberger.
  • Im vorigen Jahr hat die Klinik Holweide 1714 Geburten verzeichnet, darunter 60 Zwillinge und zwei Drillinge.

Köln – In Deutschland und anderen Industrieländern kommen immer mehr Zwillinge zur Welt. Das liegt vor allem daran, dass die Zahl künstlicher Befruchtungen steigt. Doch der Fall, den die Kliniken der Stadt Köln vorigen April publik machen, ist außergewöhnlich, deshalb hat er weit über die Stadtgrenzen hinaus für Aufsehen gesorgt.

In der städtischen Klinik Holweide wurden zweieiige Zwillinge extrem zeitversetzt geboren. Am 17. November 2018 wurde das Frühchen Liana mit einem Gewicht von 900 Gramm geboren, und erst am 22. Februar folgte Schwester Leonie, 3700 Gramm schwer.

Liana wurde zuerst geboren

„Im Krankenhaus Holweide hatten wir einmal vor über 20 Jahren eine zweizeitige Zwillingsgeburt“, sagt Uwe Schellenberger, Leitender Oberarzt der Geburtsklinik in Holweide, „Details dazu liegen uns aber nicht vor.“ Der Zeitunterschied von 97 Tagen im neuen Fall sei „für uns einzigartig und auch weltweit etwas Besonderes“. Man habe es mit einer „extrem seltenen Geburtssituation“ zu tun. Statistiken dazu gebe es nicht. Schon nach 26 Schwangerschaftswochen und fünf Tagen kam Liana zur Welt. Nach der Geburt schloss sich der Muttermund sehr schnell, und die Wehentätigkeit nahm ab. Die Ärzte unterstützten das mit der Gabe wehenhemmender Mittel. Mutter Oxana konnte die Schwangerschaft ohne Komplikationen fortsetzen. „Die Voraussetzungen waren auch durch die vorhandene zweite Plazenta sehr gut, und wir wollten versuchen, das zweite Kind so lange es geht im Mutterleib reifen zu lassen“, so Schellenberger.

Alles zum Thema Universitätsklinikum Köln

Das könnte Sie auch interessieren:

Bei Zwillingsschwangerschaften seien Frühgeburten generell wahrscheinlicher: „Durch das doppelte Gewicht ist der Gebärmutterhals deutlich mehr belastet.“ In mehr als der Hälfte der Fälle sei eine Infektion die Ursache der Frühgeburt. Sie ist auch dann wahrscheinlicher, wenn die Schwangere zum Beispiel raucht: Der Zigarettenkonsum beeinträchtigt die Durchblutung der Plazenta. Das Geburtsgewicht eines Kindes im normalen Entbindungszeitraum liegt laut Schellenberger zwischen 2800 und 4200 Gramm; die große Spanne rühre daher, dass es auf mehrere Faktoren des Einzelfalls ankomme, etwa darauf, wie viele Kinder die Mutter schon geboren habe.

Kölner Perinatalzentrum deutschlandweit führend

Bei Zwillingen gilt laut Schellenberger: „Die gleichzeitige Entbindung ist die Normalität.“ Kämen sie in Holweide zu früh zur Welt, stehe das Perinatalzentrum zur Verfügung. „Gerade ist unser Zentrum wieder als bestes in Deutschland ausgezeichnet worden.“ Dank moderner Intensivmedizin habe ein Frühchen, das nach der 24. Schwangerschaftswoche zur Welt kommt, heute „große Chancen zu überleben“. Nach einer Geburt ab der 28. Woche überlebten gut 95 Prozent und entwickelten sich zu gesunden Kindern, sagt der Oberarzt. Je früher das Baby den Mutterleib verlasse, umso größer sei das Risiko späterer und bleibender Schäden. Kinder, die ab der 32. Schwangerschaftswoche geboren werden, würden „in ihrer körperlichen Entwicklung schnell aufholen“; es gebe kaum Unterschiede zu solchen, die nach der regulären Schwangerschaftsdauer zur Welt kommen.

1714 Geburten in 2018

Im vorigen Jahr hat die Klinik Holweide 1714 Geburten verzeichnet. Unter den 1840 Säuglingen waren 60 Zwillinge und zwei Drillinge. Weil die Uniklinik Köln ebenfalls über ein Perinatalzentrum, also eine Einrichtung zur Versorgung von Früh- und Risikoneugeborenen, verfügt, fällt auch dort die Zahl der Mehrlingsgeburten vergleichsweise hoch aus. Eine zweizeitige Zwillingsgeburt habe es dort jedoch noch nicht gegeben, teilt Sprecher Christoph Wanko mit.

2018 haben in der Klinik in Lindenthal 2166 Frauen entbunden; 173 brachten Zwillinge zur Welt, fünf von ihnen Drillinge, eine Vierlinge. In diesem Jahr gab es in der Uniklinik schon 46 Mehrlingsgeburten: 45 Mal Zwillinge, einmal Drillinge. Der „Trend“ zu Mehrlingsschwangerschaften werde sich „aus unserer Sicht“ fortsetzen, so Wanko, denn das Durchschnittsalter der Mütter beim ersten Kind steige und somit auch die Zahl künstlicher Befruchtungen. Im Krankenhaus der Augustinerinnen, dem „Severinsklösterchen“, hat im vergangenen Jahr nur eine von 1772 Gebärenden Zwillinge zur Welt gebracht. Das Krankenhaus in der Südstadt hat kein Perinatalzentrum und ist auf „normale“ Geburten ausgerichtet. Daher würden nur Frauen aufgenommen, die mindestens in der 36. Woche schwanger sind, sagt Sprecherin Ann-Christin Kuklik. „Wir sind Experten für die Geburt des reifen Kindes.“

Die Klinik in Holweide

Die Klinik in Holweide

Eine zweizeitige Zwillingsgeburt ist so außergewöhnlich, dass sie der Öffentlichkeit selten verborgen bleibt. 2015 wurde ein solcher Fall aus Paderborn bekannt. Am 6. März brachte die 27-jährige Sophia Smith ihre Tochter June zur Welt. Wegen einer Infektion war die Fruchtblase fast 17 Wochen zu früh geplatzt, deshalb mussten die Ärzte das Baby im sechsten Schwangerschaftsmonat auf die Welt holen; es wog 490 Gramm. Wie im Fall in Holweide schloss sich der Muttermund wieder, und die Ärzte gaben der Mutter wehenhemmende Mittel, um die Geburt des anderen Zwillings, den eine unversehrte Fruchtblase schützte, hinauszuzögern. Erst 38 Tage später, am 13. April 2015, wurde Schwester Liv geboren, mit einem Gewicht von 960 Gramm.

Im Jahr zuvor waren in Ulm die Zwillinge Esila und Efe im Abstand von 79 Tagen geboren worden. Das Mädchen Esila kam am 14. März 2014 in der 23. Schwangerschaftswoche zur Welt und wog 565 Gramm. Eine normale Schwangerschaft dauert 40 Wochen. Ein Kind, das vor der 22. Woche zur Welt kommt, ist oft nicht überlebensfähig. In Deutschland sind nach der 24. Woche lebenserhaltende Maßnahmen gesetzlich verpflichtend. Nach der Geburt von Esila hemmten die Mediziner medikamentös die Wehen und nähten den Muttermund zu, um dem Jungen mehr Zeit zur Entwicklung zu geben. Am 1. Juni 2014 brachte Mutter Tugba ihren 2540 Gramm schweren Sohn auf natürlichem Weg zur Welt.

Mädchen entwickeln sich gut

Noch größer ist der zeitliche Abstand, mit dem 2012 in Irland Zwillinge geboren wurden: 87 Tage. Am 1. Juni jenes Jahres brachte Maria-Jones Elliot, die 23 Wochen lang schwanger gewesen war, in Waterford ihre Tochter Amy zur Welt, am 27. August folgte das zweite Baby, Katie. Das ausgerechnete Geburtsdatum war der 21. September. Vor den irischen Geschwistern hatten Hanna und Eric Lynn aus Pennsylvania den offiziellen Rekord einer zweizeitigen Zwillingsgeburt gehalten, sie waren 1995 und 1996 im Abstand von 84 Tagen zur Welt gekommen.

Nun also liegen Liana und Leonie aus Köln vorn. Die Ältere musste die ersten Wochen ihres Lebens im Perinatalzentrum in Holweide verbringen. Später kam sie ins Kinderkrankenhaus Amsterdamer Straße, wo sie weiter gestärkt wurde. Mitte April teilten die Kliniken der Stadt Köln mit, die beiden Mädchen würden 5700 Gramm wiegen und hätten sich „sehr gut entwickelt“. Sie seien „zu Hause in der Familie vereint“ – mit Mutter Oxana, Vater Alexander und dem achtjährigen Bruder Danil – und würden gesund aufwachsen.

KStA abonnieren