Woelkis PR-StrategieOpfervertreter: „Charakter einer Verschwörung“

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Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki

  • Karl Haucke war einer der Sprecher des Betroffenenbeirats im Erzbistum Köln.
  • Er ist heute Mitglied im Betroffenenrat der Unabhängigen Beauftragten der Bundesregierung für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs und im Nationalen Rat gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen.
  • Ein Gastbeitrag zum Erzbistum Köln.

Köln – Am Tag, an dem das „Gercke-Gutachten“ über den Umgang des Erzbistums Köln mit Tätern und Opfern sexualisierter Gewalt in Köln publiziert wurde, habe ich in die Kameras des WDR gesagt: „Die Gewalttäter haben mit uns gespielt. Diejenigen, die diese Verbrechen aufklären sollten, ebenso.“ Das war am 18. März 2021. Jetzt haben wir den Beleg, dass auch der amtierende Kölner Kardinal, der selbsternannte Aufklärer und Sachwalter all dieser Opfer von Gewalt und Menschenverachtung, mit uns gespielt hat.

Er hat sich über alle eigenen Versprechen hinweggesetzt, sich für „seine“ Betroffenen einzusetzen, als er Ende Oktober 2020 den Empfehlungen seiner PR-Agentur folgte, die da lautete: Du brauchst den Beirat, wenn du den Kopf oben behalten willst.

Dieser Sicht hat nun Woelkis Generalvikar Guido Assmann widersprochen. Schon der erste Satz seines Briefs an die Bistumsmitarbeitenden ist ein gezielt zur emotionalen Beeinflussung eingesetztes Framing. Denn nicht die von Assmann beklagte Berichterstattung über Woelkis vertrauliche PR-Papiere hat zu Irritationen geführt, sondern die Strategie selbst und das Erfahrungswissen, dass sie von der Bistumsleitung umgesetzt wurde.

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Verschwörerischer Charakter

Das Ziel, den Beirat zu einem bestimmten Verhalten zu animieren, lässt sich ja eindeutig den Papieren entnehmen. Dieses Ziel und den verschwörerischen Charakter der Sitzungsvorbereitung kann nun auch ein Generalvikar nicht abstreiten.

Ob tatsächlich in der Sitzung Druck ausgeübt worden ist, dazu mag es ein unterschiedliches Erleben geben. Ich habe aus Gründen des Corona-Schutzes an der Sitzung selbst nicht teilgenommen, aber aus allen anschließenden Gesprächen mit Beiratsmitgliedern nur Empörung und ein Gefühl der Überrumpelung wahrgenommen: von der überstürzten Einberufung über den Aufmarsch von vier bisher fremden Anwälten bis hin zur ritualisierten Abfrage der Entscheidung über das Missbrauchsgutachten der Münchner Kanzlei WSW, das den Sitzungsteilnehmern nicht bekannt war und nicht vorlag.

Das Ganze eingerahmt von kirchlicher Autorität – einer Macht, die von Klerikern oft und gern eingesetzt wird, wie alle wissen. Besonders wir Gewaltbetroffene. Die Behauptung, dies in der Summe mache keinen Druck, halte ich für gewagt.

Entscheidung gegen erstes Gutachten stand fest

Ob es „definitiv falsch“ (Assmann) ist, dass die Bistumsleitung nach einem Drehbuch der PR-Leute handelte, weiß möglicherweise tief in seinem Gewissen definitiv nur der Kardinal selbst. Fest steht allerdings, dass sein Auftrag für das zweite Gutachten schon erteilt und die Akten an die neuen Auftragnehmer weitergereicht waren, als die Sondersitzung des Betroffenenbeirats einberufen wurde.

Damit sind Betroffene erneut zum Spieleinsatz klerikaler Selbstherrlichkeit geworden. Kerstin Claus, die Unabhängige Beauftragte der Bundesregierung für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM), hat es zu Recht benannt: Betroffene zur Verfügungsmasse in den Machtmanipulationen der Täterorganisation zu machen, sei anmaßend und empörend.

Der Kardinal hat sich verrechnet

Noch ein Hinweis zu den Zahlenspielen des Generalvikars: Es war nicht nur „ein“ Beiratsmitglied, das sich instrumentalisiert fühlte. Fünf von neun Betroffenenvertretern sind in den Folgewochen aus diesem Grund zurückgetreten. An der Stelle hat sich schon der Kardinal immer verrechnet, wenn er seinem Kirchenvolk vorbetete, die Mehrheit „seiner Betroffenen“ stehe hinter ihm.

Wo übrigens hat sich Generalvikar Assmann, wie er schreibt, umfassend kundig gemacht? Wen hat um Auskunft gebeten? Mich und andere Betroffenenvertreter von damals ganz sicher nicht.

Niemals ein Gesprächsangebot von Woelki

Die Forderung, man solle doch besser nicht übereinander, sondern miteinander reden, sollte der Generalvikar zuallererst an seinen Erzbischof richten. Niemals hat es von ihm ein Angebot an die zurückgetretenen Beiratsmitglieder gegeben, über das Gutachten-Verhinderungs-Desaster zu sprechen. Stattdessen haben mich Mitglieder des Rumpfbeirates – gar unter Androhung rechtlicher Schritte – aufgefordert, jegliche Kontaktaufnahme zu unterlassen. So viel zum Miteinander reden. 

Schamlos und bar jeder ethischen Grundlage

Das Verhalten der Bistumsleitung damals wie heute erlebe ich als schamlos und bar jeder ethischen Grundlage. Und die nachgeschobenen Verteidigungslinien über den handlungsleitenden Charakter der „Bedürfnisse des Betroffenenbeirates“ triefen für mich vor Hohn. Gleichzeitig wird in diesen Argumentationen erneut ausgenutzt, was geschützt werden sollte: die Partizipation Betroffener. Auch die Anwälte haben ihn nicht verstanden, den gesamtgesellschaftlichen Nutzen von Betroffenenbeteiligung bei der Aufarbeitung sexualisierter Gewalt.

Dass die Perspektive Betroffener handlungsleitend gewesen sei, wie Assmann behauptet, ist eine zentrale Forderung Betroffener und keine Erfindung des Erzbistums Köln. Der Generalvikar geht aber augenscheinlich davon aus, dass es keinen Unterschied darstellt, ob es sich beim Beirat um einen Fanclub der Bistumsleitung oder um streitbare, an ehrlicher Aufklärung und gegebenenfalls schmerzhafter Aufarbeitung interessierte Menschen handelt, die in ihrer individuellen Aufarbeitung Distanz genug haben für die durchaus notwendige kirchenkritische Sichtweise.

Nähe zur Täterorganisation

Dieses Handicap der Nähe zur Täterorganisation gilt übrigens für alle Aufarbeitungsprojekte: Wo eine Gruppe Aufarbeitender zu eng unter Einfluss von Verantwortlichen der Täterorganisation steht, da ist die Objektivität der Sichtweise oder sogar die Objektivität der Absicht gefährdet. Deshalb fordere ich eine staatliche Aufsicht, damit Wahrheitsmanager wie Kardinal Woelki nicht weiter machen können, was sie wollen.

Wir brauchen eine Absicherung der Beteiligung unabhängiger Betroffener. Wir brauchen gesetzliche Regelungen von Standards zur Aufarbeitung. Der Staat muss die Mittel haben, den Täterorganisationen, also auch den Kirchen, auf die Finger zu schauen. Macher und Gaukler sollen nicht mehr machen können, was sie wollen, nur um Ihre Ideologie zu schützen.

Weiter ist erkennbar: Eingriffe in die Autonomie des Menschen wie das jetzt bekanntgewordene strategische Vorgehen der Bistumsleitung sind keine „Leistung“ einzelner Führungspersonen. Da sitzt ein Management mit im Boot, auf dessen Seite zumindest geschwiegen und zugeschaut wurde. Eine Korrektur hätte aus ihrem eigenen ethischen Impuls hervorgehen müssen. Dies aber geschah nicht. Deshalb stellt sich nicht nur die vordergründige Frage nach dem Wechsel an der Bistumsspitze – denn wer sollte denn nachfolgen können mit der Gewähr, es besser zu machen?

Personelle Konsequenzen

Personelle Konsequenzen braucht es im Bereich der Interventionsstelle. Wer zusieht, wie über fast zwei Jahre hinweg Menschen, die bereits in der Kindheit Opfer gewalttätiger Übergriffe waren, zum Spielball systemschützender Interessen werden, der hat in seinem Schutzauftrag versagt – gleichgültig, ob es sich um heute Erwachsene handelt.

Was die aktuelle Partizipation Betroffener durch den vom Kardinal berufenen Betroffenenbeirat angeht, so ist auf den Impuls der Mitglieder zu hoffen: Dieser Bistumsleitung können wir nicht vertrauen. Wir kündigen.

Warum schweigen die Katholiken?

Nachdem nun auch der neue Generalvikar bewiesen hat, dass ihm keine Einsicht für die Verfehlungen der Bistumsleitung zu Gebote steht, stellen sich mir drängende Fragen: Warum eigentlich schweigen im Erzbistum derzeit so viele Katholikinnen und Katholiken? Wo bleibt der Widerstand, wo die Zivilcourage? Wer kann denn jetzt noch „Business as usual“ treiben?

Was geschah, wird von einigen ernstzunehmenden Zeitgenossen als Menschenrechtsverletzung angesehen. Der Mann aus Nazareth hätte schon längst zur Geißel gegriffen und diese Händler zum Tempel hinaus gejagt…

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Um es auf den Punkt zu bringen: Sollten nicht alle Kölner Bistumsgremien ihr Amt ruhen lassen? Sollten nicht alle, ob Geweihte oder Laien, ob Hauptberufliche oder Ehrenamtliche, gemeinsam den Beweis erbringen, dass das Bistum zusammenbricht, wenn den Chefklerikern niemand mehr folgen mag?

Und gibt es am Ende in der ganzen deutschen Bistumslandschaft einen Aufrechten, wenigstens einen von mehr als 60 Bischöfen, der seinen Mitbrüdern in Köln sagt: „Haltet ein! Hört auf! Geht in euch, und dann geht fort!“

Hintergrund Karl Haucke

Karl Haucke, geboren 1951, gehört dem Betroffenenrat der „Unabhängigen Beauftragten der Bundesregierung für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs“ (UBSKM) und dem Nationalen Rat gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen an. Bis November 2020 war er einer von zwei Sprecher des Betroffenenbeirats im Erzbistum Köln, verließ dieses Gremium aber unter Protest gegen dessen Behandlung durch den Kölner Kardinal Rainer Woelki.

Als Jugendlicher erlitt Haucke körperliche, sexualisierte und spirituelle Gewalt in einem katholischen Ordensinternat. Der Sozialpädagoge war seit 1976 in sozialwissenschaftlicher Praxis, Forschung und Lehre tätig.

Haucke ist in verschiedenen Betroffenen-Initiativen tätig. Er ist Gründungsmitglied des IPA e.V. (Institut für Prävention und Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt) und des Vereins „Umsteuern! Robin Sisterhood“, der durch Austritt eingesparte Kirchensteuer den Opfern sexualisierter Gewalt in der Kirche zugute kommen lässt.

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