Felix!-Festival in KölnKent Nagano treibt dem „Rheingold“ die Romantik aus

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Kent Nagano dirigiert ein Orchester und trägt dabei einen Frack.

Der Dirigent Kent Nagano bei der Arbeit. In der Kölner Philharmonie gastierte er mit seinem Projekt „Wagner-Lesarten“.

Kent Nagano und Rubén Dubrovsky überzeugten beim Felix!-Festival in der Kölner Philharmonie. Nagano führte Wagners Oper an die Grenze des modernen Spaltklangs.

Annika Schlicht als Fricka kann sehr gefühlvoll singen, ihre Linie mit lyrischem Schmelz füllen. Das geschieht aber durchaus nicht immer. An der Stelle „Was ist euch Harten doch heilig und wert, giert ihr Männer nach Macht“ zum Beispiel, die in der Tat einen zentralen Punkt in der Geschlechterrollentypologie des „Ring“ markiert, legt sie eine bissige, unversöhnliche Schärfe in ihre Stimme. Lässt Wotans Gattin da auf einmal die männerhassende Amazone raus? Nun ja, vor allem setzt diese sehr spezifische Artikulation adäquat Wagners Gesangsästhetik um, und die ist, um der Wahrhaftigkeit der Bühnendarstellung willen, primär keine Ästhetik des Schönen, sondern des Charakteristischen.

Jahrzehnte lang sang man auch die Tetralogie anders – mit dem Ergebnis, dass oft genug die Sprengsätze des Dramas entschärft wurden. Intensive Erforschung und Erarbeitung der historischen Gesangsstile, aber auch der Spielweisen unter Verwendung des rekonstruierten Wagner-Instrumentariums im Rahmen des Projekts „Wagner-Lesarten“ haben sie sozusagen wieder scharfgemacht. Bereits im November 2021 hatten diese Anstrengungen mit der konzertanten Aufführung des „Rheingold“ in der Kölner Philharmonie einen ersten Höhepunkt gezeitigt. Nun gab es, wieder unter Kent Nagano mit dem Dresdner Festspielorchester und Concerto Köln, im Kontext des Originalklang-Festivals FELIX! daselbst eine neuerliche Darbietung.

Gesungen wurde durchweg auf höchstem Niveau, gleichermaßen mit Kraft, Kunst und Intensität

Sicher, in der Zielperspektive des Projekts liegen die übrigen Teile der Tetralogie, von der „Walküre“ bis zur „Götterdämmerung“. Aber es schadet gar nichts, das „Rheingold“ in dieser Machart wieder und wieder zu erleben. Es braucht Zeit, sich an diesen Stil zu gewöhnen, und auch wer im Publikum schon 2021 dabei war, konnte jetzt viel Neues hören – das Potenzial der aufführungspraktischen Wundertüte ist so schnell nicht erschöpft.

Die raumerschütternden Quintschläge beim Auftritt der Riesen Fafner und Fasolt gehören zu den spektakulär-humoristischen Momenten der Produktion – an denen, das wird traditionell oft unterschlagen, der „Ring“ ja keineswegs arm ist. Weniger lustig ist das sadistische Treiben der Rheintöchter mit Alberich, dessen dann an Mime weitergegebene Bösartigkeit (aus Verbitterung) man bei dieser Präsentation sogar irgendwie nachvollziehen kann. Dort wie auch sonst kippt das Melodische immer wieder in den Sprechgesang bis hin zum plappernden Parlando um – das Mehr an differenzierter Charakterdarstellung und an Szenenrealismus, das dadurch erreicht wird, ist kaum zu ermessen. Das kommt etwa einer Gestalt wie Loge in der Interpretation Mauro Peters zugute, dessen Zynismus hier zur ideologischen Abrissbirne der Götterwelt gerät.

Gesungen wurde durchweg auf höchstem Niveau, gleichermaßen mit rollenformender Kraft, Kunst und Intensität. An dieser Stelle muss das pauschale Lob genügen: für den Wotan Simon Baileys, den Donner Dominik Königers, den Froh Tansel Akzeybeks, den (besonders einprägsamen) Alberich Daniel Schmutzhards, den Mime Thomas Ebensteins, die Riesen Christian Immlers und Tilmann Rönnebecks und und und…

Großartig unter Naganos konzis-souveränen Impulsen entfaltete sich das Riesenorchester – nicht als wabernde Suppe, sondern mit einer gelegentlich schon an die Grenze zum Spaltklang führenden Deutlichkeit und kammermusikalischen Transparenz. Da mochte es einige Balanceprobleme geben, aber die Klangidiomatik des Harfeneinsatzes zum Beispiel – wo in herkömmlichen Aufführungen bekommt man sie schon mal so eindringlich vor Ohren geführt?

Die Musik des italienischen Barockmeisters Agostino Steffani könnte auch wie Spülwasser sprudeln

Dem „Rheingold“ vorangegangen war am Donnerstagabend im FELIX!-Kontext am nämlichen Ort die Aufführung des Einakters „La lotta d’Hercole con Acheloo“ aus der Feder des italienischen Barockmeisters Agostino Steffani, der mehrere auch kompositorisch produktive Jahre am kurfürstlichen Hof in Hannover wirkte. Angesichts der unmittelbaren zeitlichen Nachbarschaft der beiden Konzerte konnte man – wieder einmal – des weiten Mantels der Historischen Aufführungspraxis gewahr werden: Schier Unvereinbares findet unter ihm gleichermaßen seinen wärmenden Platz.

Dabei konnte, wer wollte, durchaus motivische Korrespondenzen finden: In Steffanis „Kampf des Herkules mit Acheloo“ gibt es zwar keinen Alberich, aber mit dem Flussgott Acheloo eine ebenso fiese, intrigante und verlogene Figur. Liebe, Machtgier und Missgunst (bei dem Italiener im Ringen um die schöne Königstochter Deianira) sind hier wie dort zentrale Handlungsimpulse – die Wagner freilich mit moderner Psychologie aufrüstet, während Steffani bei der Affektenlehre seiner Zeit bleibt.

Die aber reizt er musikalisch bis zur Neige aus. Die Abgangsarie des gedemütigten Acheloo zum Beispiel: Da gibt es in der Instrumentalbegleitung die stets wiederholte Figur einer aufsteigenden Quinte mit jähem Absturz – Formel einer ausweglosen Verzweiflung, die schlagend signalisiert: Der Mann hat im und vom Leben nichts mehr zu erwarten. Steffani wartet, bei insgesamt kleinteiliger Nummernanlage, auch mit einem bemerkenswerten Formenreichtum auf – die Arien etwa bedienen, in der Spannbreite zwischen schönem Legato-Melos und Koloraturen-Virtuosität, keineswegs stereotyp das Da-capo-Schema.

Klar, diese Musik kann mit der Attraktivität von Spülwasser dahersprudeln, wenn sie nicht anständig gespielt wird. Da war allerdings – wieder einmal – die engagierte, temperamentvolle, abwechslungsreiche und technisch hochprofessionelle Performance des Wiener Bach Consort unter Rubén Dubrovsky vor. Unterstützt von einer super-agilen Continuo-Gruppe als Herz des Orchesters erfreuten zumal, gleichermaßen durch gestalterische Intensität und stimmlichen Glanz, die Vokalsolisten: die Sopranistin Miriam Kutrowatz sowie Counters Jake Arditti, Terry Wey und Xavier Sabata. Und wenn Sänger sich auf Rollenprofilierung verstehen und einlassen, dann klingt eben auch nicht ein Altus wie der andere. Weys langgezogenen Vokale zeigten nachdrücklich die schwarze Seele, die hinter ihnen steckte – genauso wie das stilvolle Jammern Sabatas die Betrübnis des überforderten Prinzessinnen-Vaters.

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