Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

50.000 Bücher, 1000 KunstwerkeThomas B. Schumann lebt in Hürth seinen Traum

Lesezeit 7 Minuten
digas-151085282_MDS-KSTA-2017-05-10-71-116399551

Thomas B. Schumann in seinem Hürther Bungalow, umgeben von Bildern und Büchern.

Köln – Ein alter Mann lebte seit vielen Jahrzehnten allein in einem verwitterten 60er-Jahre-Bungalow in Hürth-Efferen, einer ehemals besseren Wohngegend in der Nähe der Autobahn. Er sammelte Literatur und Kunstwerke von Schriftstellern und Malern, die im Dritten Reich ermordet worden waren oder fliehen mussten. Er wollte ihre Werke bewahren, vor allem die Schriften jener Sterne, die nie zu sehen waren. Viele der Bücher hatten nur mit Glück die Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 überdauert.

Zehntausende Bücher und Bilder lagerten in dem Haus, die verwitterte Tapete war seit langem nirgends mehr zu sehen. Die Regale grummelten unter der Last, bis eines der Holzbords mit Erstausgaben und gewidmeten Büchern zusammenkrachte, als der Sammler gerade ein weiteres Werk hinzufügen wollte.

Die Putzfrau fand den alten Mann bedeckt von Zeilen, die Elias Canetti, Erich Maria Remarque, Jean-Paul Sartre, Paul Celan und Max Frisch an ihn gerichtet hatten. Man fand nicht heraus, ob er sich nicht befreien konnte oder es nicht wollte.

Alles zum Thema Henriette Reker

Platz im Museum gesucht

So könnte es dereinst passieren. „Vielleicht werde ich irgendwann unter meinen Büchern begraben, ich weiß nicht, wie es um die Statik des Hauses steht“, sagt Thomas B. Schumann mit einem Lachen. Er trägt silberne Haare und einen kindlichen Blick, ist nicht alt und nicht jung, „in den 60ern“, das möge genügen. „Es wäre schön, wenn meine Sammlung in einem Museum ihren Platz finden würde, bevor alles einkracht.“ Das ist seine Hoffnung. Schumann sucht Fürsprecher und Mäzene, händeringend.

digas-151085244_MDS-KSTA-2017-05-10-71-116382637

Widmung von Jean-Paul Sartre.

Ein Museum der Exil-Kultur will er so unbedingt, wie er einst die Widmungen der Schriftsteller wollte, 5000 bis 6000 persönliche Signaturen hat er gesammelt, wie er die Bücher der Exil-Autoren nicht länger nur sammeln, sondern neu herausgeben wollte und 1995 seinen Verlag Edition Memoria gründete, den er seither mit Liebe und viel Geschick betreibt; er hat Größen wie den 2011 verstorbenen Dichter und Satiriker Georg Kreisler als Autoren gewonnen und Elisabeth Mann Borgese, die jüngste Tochter von Thomas Mann. Sein jüngster Coup sind Bücher des 95-jährigen Reporters Georg-Stefan Troller („Unterwegs auf vielen Straßen“. „Erlebtes und Erinnertes“, 2016).

digas-151085241_MDS-KSTA-2017-05-10-71-116383001

Viele Autoren wie Konrad Merz sind Schumann dankbar.

Gegen das Vergessen

Mit dem Museum ist es komplizierter. Kunstkritiker mögen seine Sammlung, für die er seit 18 Jahren auch Bilder ankauft, und in der sich Schätze befinden wie Briefe von Heinrich Mann, dessen Bücher ebenfalls verbrannt wurden, Zeichnungen von George Grosz oder Bilder von Lotte Laserstein. Die meisten Autoren und Künstler sind eher unbekannt – was den Schatz für Schumann nur noch wertvoller macht. Es gehe doch gegen das Vergessen!

Schumann hatte mehrere erfolgreiche Ausstellungen mit der Sammlung, Schauspieler Mario Adorf schrieb wohlwollend für seinen Katalog, Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller stellte einen Text zur Verfügung. Es gab auch Enttäuschungen. Politiker, die sich einsetzen, aber eigentlich nur günstig ein Bild kaufen wollten („Von den Bildern gebe ich aber keines ab!“), manch leeres Versprechen.

Kein Wort von Henriette Reker

Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker hat nicht auf seine Briefe geantwortet. Sie ist nicht die einzige, das war ihm unter den Schriftstellern nur bei Erich Kästner passiert, der ihn unwirsch abgewiesen hatte. Schumann erwartet nichts mehr, er ist auch nicht spezialisiert auf Gespräche mit Sponsoren und Politikern, und erhofft weiter vieles. Er träumt vom Weißhausschlösschen in Klettenberg und ahnt, dass das ein Traum bleiben wird.

Schumann steht vor dem Regal, dessen Bretter sich biegen vor Büchern mit persönlichen Widmungen. In seinem Haus vergeht die Zeit langsamer, man wagt es in mehr als drei Stunden nicht, auf das nervöse Vibrieren des eigenen Smartphones zu reagieren; die Tapeten, die Teppiche, die Plüschsessel und Gardinen, die massiven Möbel, die alten Bücher und Briefe, alles atmet den Geruch des Vergangenen. Zeit für Erinnerungen.

digas-151085231_MDS-KSTA-2017-05-10-71-116383005

Allein 5000 bis 6000 Ausgaben mit Widmungen hat er gesammelt.

Januar 1968. Thomas B. Schumann ist 15, als er mit seinen Eltern in die Schweiz fährt. Sie kommen durch Kilchberg, Thomas will das Grab von Thomas Mann sehen und das Haus seines literarischen Idols. Er folgt einem Impuls, klingelt und bittet das Hausmädchen um eine Unterschrift der Witwe Katia Mann. Sein Herz pocht bis zum Hals, unbegründet, es ist ganz leicht.

Das Hausmädchen kehrt mit einer persönlichen Widmung für seine Buddenbrooks-Ausgabe zurück. In Köln schreibt Schumann einen Dankesbrief, sie schreibt zurück, ein halbes Jahr später treffen sie sich in Zürich und Katia Mann sagt einen entscheidenden Satz: „Schade, dass Tommy nicht mehr lebt, er hätte sich gern mit Ihnen unterhalten.“ Thomas Mann hatte im Sommer 1932 ein Paket mit verkohltem Papier einer Buddenbrooks-Ausgabe zugeschickt bekommen. Der Absender warnte ihn in einem Brief vor weiterer Kritik an den Nationalsozialisten.

100 Dichter mit 18 Jahren

Schumann will nach dem Treffen mit Katia Mann mehr Schriftsteller treffen, mit ihnen reden, zumindest eine persönliche Widmung ergattern. Autogramme von Freunden der Eltern hatte er schon als Kind gesammelt, wie er überhaupt alles gesammelt hatte, Münzen, Postkarten, Bierdeckel, Matchboxautos, und so weiter.

Er besorgt sich Kürschners Literaturkalender, in dem die Adressen wichtiger Autoren verzeichnet sind, und schreibt sie an. Die Kölner Schriftstellerin Irmgard Keun trifft er in der Bonner Landesklinik; Keun, die sich ab 1940 in Köln versteckt gehalten hatte und deren Bücher 1933/34 beschlagnahmt und verboten worden waren, hält nicht damit hinterm Berg, dass sie Alkoholikerin ist. Schumann lädt sie während eines Spaziergangs in ein Café ein. „Sie hat erst mal einen doppelten Cognac gekippt, bevor sie mir eine Widmung schrieb.“

Mit 18 hat er mehr als 100 Dichter kennengelernt. 1968 trifft er den ehemaligen jüdischen Zwangsarbeiter Paul Celan, der vielen als größter deutschsprachiger Dichter gilt, an der Uni Bonn. Er lernt Max Frisch, Friedrich Dürrenmatt, Marie Luise Kaschnitz, Imre Kertesz und Wolfgang Koeppen kennen, viele besucht er zu Hause. Um Erich Maria Remarque zu begegnen, fährt er zum Lago Maggiore, doch verspätet er sich um eine Viertelstunde und erlebt den Autor polternd am Fenster: „Sie sind zu spät, ich empfange Sie nicht.“ Schumann wedelt mit zwei seltenen Originalausgaben, da überlegt es sich Remarque und lässt ihn hinein.

„Gegen literarischen Verrat am Soldaten des Weltkriegs, für Erziehung des Volkes im Geist der Wehrhaftigkeit! Ich übergebe der Flamme die Schriften von Erich Maria Remarque!“ Mit diesen Worten hatten die Nazi-Schreihälse Remarques Bücher wie den Klassiker „Im Westen nichts Neues“ verbrannt.

Treffen mit Elias Canetti

Walter Mehring, den er in einem Züricher Theaterrestaurant trifft, erlebt Schumann als verbitterten alten Mann. Mehring war nur mit Glück die Flucht vor der SA gelungen, seine Bücher hatten die Nazis verbrannt. Schumann spricht mit ihm über dessen Bücher, in denen Mehring auch analysiert, wie die Nazis eine ganze Dichtergeneration zerstörten. Längst auch Schumanns Lebensthema.

Mit Elias Canetti redet der Büchersammler in dessen Züricher Wohnung 1989 über den Mauerfall, den Schumann ein paar Tage zuvor in Berlin erlebt hat. „Sie müssen mir versprechen, vor meinem Tod niemandem von unserem Treffen zu erzählen“, sagt der Literaturnobelpreisträger, der da offiziell seit Jahren keinen Privatbesuch mehr empfängt. Schumann wundert sich, wie bescheiden Canetti lebt, und verliert kein Wort über die Begegnung, bis der Schriftsteller stirbt.

Mehr als 2000 deutschsprachige Autorinnen und Autoren mussten im Dritten Reich emigrieren, darunter Alfred Döblin, Lion Feuchtwanger, Alfred Kerr, Else Lasker-Schüler, Joseph Roth, Anna Seghers, Carl Sternheim, Kurt Tucholsky, Franz Werfel, Arnold Zweig und Stefan Zweig als Beispiele für jüdische Autoren; aber auch nichtjüdische Schriftsteller wie Heinrich und Thomas Mann, Bertolt Brecht, Johannes R. Becher, Oskar Maria Graf, Ödön von Horvath, Robert Musil, Carl Zuckmayer, Klaus und Erika Mann und viele andere. Vom „Massenexodus der Dichter“ schrieb Klaus Mann.

Von den Überlebenden oder ihren Verwandten trifft Schumann viele und macht damit auf sich aufmerksam, bei Journalisten wie bei Mädchen. Aber es geht ihm nicht darum, Eindruck zu schinden. Er ist schon früh „eher ein Einzelgänger“, was wohl eher vorsichtig formuliert ist. Allerdings einer, der gern Kontakt hat, kein menschenscheuer Eigenbrötler, das nicht, es zieht ihn nur eben stärker zu Geschichten und ihren Erfindern als in die laute Wirklichkeit der Bars und Diskotheken. Mit Anfang 20 schreibt er Literaturkritiken für die „FAZ“. Dort trifft er Marcel Reich-Ranicki. Die Zeitung macht den Zugang zu Autoren noch leichter.

Schumann hat sich immer weniger für die Realität als für die Dichtung interessiert, in der sich die Realität ja bündele. Er liest, immerzu. „Man kann Autoren nicht begegnen, ohne sie gelesen zu haben. Heute lese ich allerdings nur noch für mich“, sagt er. Er sitzt dann inmitten seiner Bücher, die von den Regalen kaum mehr getragen werden können, und Bildern, die in Reihen im Wohnzimmer lagern. In seinem Museum, das irgendwann für alle da sein soll.