Kölner PhilharmonieEin Poet am Klavier

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Grigory  Sokolov

spielt sein Klavier, er hat die Augen geschlossen und schaut verträumt.

Der russische Pianist Grigory Sokolov

In der Kölner Philharmonie trat der russische Pianist Grigory Solokov auf und begeisterte mit einem reichen Programm von Purcell bis Chopin.

Wie bitte, die Goldberg-Variationen standen doch gar nicht auf dem Programm. Tatsächlich erklang zwar zu Beginn von Grigory Sokolovs Kölner Klavierabend Henry Purcells „Ground in Gamut“ – Variationen über eine identische Bassfigur. Aber weil dieser Bass eben derselbe wie in Bachs Variationenwunder ist (auch die Grundtonart G-Dur haben beide Werke gemeinsam), stellt sich die Assoziation nahezu zwangsläufig ein. Dabei ist nahezu ausgeschlossen, dass Bach „Gamut“ kannte.

Das alles ist schon faszinierend genug, weil man es so gar nicht erwartet. Klavierwerken – Suiten, „Grounds“ und „Tunes“ – des britischen Barockmeisters widmete der versponnen-introvertierte russische Pianist übrigens den kompletten Vor-Pausen-Teil seines Programms. Das darf ein Statement genannt werden, denn pianistisch ist da nicht viel zu reißen. Wenigstens trillert es sich in der Ornamentierung karger Zweistimmigkeiten einigermaßen markant, und Purcells chromatische Harmonik ist auch nicht von Pappe.

Sokolov zeigt sich in der Kölner Philharmonie als ein Poet am Klavier 

Trotzdem ist die Gefahr einer angenehmen Eintönigkeit nicht von der Hand zu weisen. Da war allerdings Sokolov vor. Dieser Poet am Klavier, der in keinem Augenblick die Cembalo-Imitation versucht, formt die Purcell-Sätze mit einer ganz sachten Romantisierung zu Charakterstücken um – eins klingt da durchaus nicht so wie das andere. Figuren der Commedia dell’Arte scheinen da zuweilen am Werk zu sein, die Stimmen werden prägnant gegeneinander profiliert, ein Gassenhauer kommt mit kalkulierter Derbheit, ein Triller mit koboldhaftem Charme.

Nach der Pause dann Mozart mit der Sonate KV 333 und dem mirakulösen h-Moll-Adagio KV 540 – auch sie keine Stücke, mit denen man äußerlich glänzen kann. Sokolov dimmte die Performance durch mäßige Tempi noch einmal gleichsam herab. Der Hörer wurde freilich durch ein luzides, durchsichtiges, in der internen Dramaturgie völlig natürlich wirkendes Spiel gefesselt, durch ein singendes Allegro, ein ausgeformtes Non-Legato ohne Puppigkeit, durch dezente Stauungen und Auflösungen – und mit einer verhaltenen Emphase im zweiten Satz. Was der Interpret dort mit dem Drei-Achtel-Repetitionsmotiv machte, wie dieses in der Durchführung alle Harmlosigkeit einbüßte, sozusagen unter der Hand zu Beethovens Schicksalsmotiv mutierte – es erwies wieder einmal seinen außerordentlichen Rang.

Der Pianist gibt eine ordentliche Zugabe

Mitunter neigt Sokolov freilich zum Manierismus. Der verminderte Akkord im Thema von KV 540 verlangt stets ein Sforzato – da verbietet es sich eigentlich, es aus subjektivem Gutdünken mal zu platzieren und mal wegzulassen.

Es folgte der bei Sokolov obligatorische sechsteilige Zugabenreigen. Auch hier überwiegend Skurriles und Melancholisches zwischen Rameau und Romantik. Am „Regentropfen-Prélude“ führte der Gast vor, was ein inspiriertes Chopin-Spiel genannt zu werden verdient. Da wurden die Tropfen im Mittelteil zu zermalmenden Felsbrocken, welchen Eindruck auch die Reprise nicht mehr vergessen machen konnte. Um 22.30 Uhr war der Abend zu Ende – und hätte doch noch weitergehen können...

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