Die Rock-Göttin hat auch mit 78 Jahren noch jede Menge Feuer und Wut im Bauch. Unsere Kritik.
Konzert auf dem RoncalliplatzPatti Smith flucht und entschuldigt sich beim Dom

Patti Smith beim Open-Air-Konzert am 25. Juli auf dem Roncalliplatz.
Copyright: Martina Goyert
„Heilig, heilig, heilig!“, deklamiert Patti Smith. In ihrer Hand hält sie einen Zettel mit der „Fußnote für Howl“ von Hippie-Urvater Alan Ginsberg. „Heilig ist die Welt! Heilig ist die Seele! Heilig ist die Haut!“ Und immer so fort, von der Zunge bis zum Poloch, von den Gammlern bis zu den Seraphim. Dann richtet Smith den Blick von der Lesebrille in den Himmel, improvisiert: „Heilig die Kinder Palästinas! Heilig die Kinder in den Minen des Kongo!“ Und, schließlich steht sie auf einer Freilichtbühne vor der Südfassade des Kölner Doms: „Heilig die Fenster Gerhard Richters!“
Unmittelbar vor dieser Anrufung hatte sie in ihrem Song „1959“ das Jahr ihrer künstlerischen Erweckung beschworen. „Da bin ich geboren“, ruft ein Mensch aus dem Publikum. „Ich war zwölf“, antwortet Smith, „ich hätte deine Babysitterin sein können.“ Im Lied setzt sie den Kampf der Beatpoeten gegen die Zensurbehörde mit der Konstruktion des Chevy Impala gleich, dessen mächtige Heckflossen seien wie Flügel gewesen: „‘Cause we built that thing and it grew wings“, singt Smith und „1959“ kulminiert in einem heiseren Aufschrei: „Freedom!“ Schon in ihrem allerersten veröffentlichten Gedicht, eine Ode an ihren damaligen Boyfriend, den autoverrückten Dramatiker Sam Shepard, hatte sie geschrieben: „Kotflügel, heiß wie Engel, loderten in mir.“
Ihren Song „Beneath the Southern Cross“ widmet Patti Smith Ozzy Osbourne
Die Freiheit lässt dir Räder wachsen. Aber man muss sie für sich einfordern. Die Macht der Masse, dies gemeinsam zu tun, thematisiert Smith immer wieder an diesem Sommerabend auf dem Roncalliplatz. „Feel your fucking freedom“, ruft sie der Menge am Ende von „Beneath the Southern Cross“ zu, „wir sind freie Menschen“. Der Song ist eine Totenwache, damals waren, kurz hintereinander, ihr Mann Fred „Sonic“ Smith und ihr Bruder gestorben. Am Freitagabend widmet sie ihn dem vor wenigen Tagen von uns gegangenen Ozzy Osbourne. Manche Zeilen growlt Smith wie ein Heavy-Metal-Sänger, während sie auf ihrer Akustikgitarre den immer selben Akkord anschlägt. Ihr langjähriger Bassist Tony Shanahan und ihr Sohn Jackson Smith an der E-Gitarre interpolieren den Riff von Black Sabbath „Iron Man“, das Publikum freut sich.
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Als sie „Southern Cross“ 1996 einspielte und nach langer Pause wieder auf Tour ging, nahm sie den damals 14-jährigen Jackson mit und ließ ihn auf der Bühne „Smoke on the Water“ spielen. In Köln fühlt es sich an, als hätte Patti Smith alle 4000 Besucherinnen und Besucher in ihre Familie aufgenommen. Sie winkt unaufhörlich, freut sich sichtlich, hier zu sein, fordert immer wieder: „Come on, people!“ Reißt einen Witz über Goethe – der leider nicht ankommt – und lacht über sich selbst, als sie kurz den Text von „Nine“ vergisst. Sie schimpft auch mit einem Zwischenrufer, der beharrlich das alte Stück „Free Money“ – von ihrem Debütalbum „Horses“ – fordert. „Ich spiel’s nicht, hör verdammt noch mal auf, mich zu fragen. Sie zufrieden mit dem, was du bekommst.“ Dann grinst sie und fügt hinzu: „Das ist vielleicht deine letzte Chance.“

Das Konzert auf dem Roncalliplatz war mit 4000 Besucherinnen und Besuchern ausverkauft.
Copyright: Martina Goyert
Aber die 78-Jährige wirkt an diesem Abend so agil, dass man sie sich unmöglich im Ruhestand vorstellen kann. Wenn sie zum Reggae von „Redondo Beach“ die bange Frage „Are you gone, gone?“ jault. Wenn sie ihre ausgewaschenen Jeans zum Tänzchen schürzt, wütend den Mikroständer umwirft (und ihn anschließend pflichtschuldig wieder aufhebt) oder zu längst heiliggesprochenen Songs wie „Ghost Dance“ und „Pissing in a River“ das große Ginsberg’sche Geheul anstimmt.
Sie covert, erwartbar, Steve Earle und Bob Dylan, für den sie vor ein paar Jahren den Literaturnobelpreis abholte. Sie covert, unerwartet, die Smashing Pumpkins und wiederholt den Refrain von „Bullet with Butterfly Wings“ – „Despite all my rage, I am still just a rat in a cage“ – mit so viel Feuer im Bauch, dass niemand jemals auf die Idee käme, diese wilde Poetin zu Hause einzusperren. Patti Smith gehört auf die Straße, ihre Heckflossen sind Flügel.
Den letzten Song widmet sie ihrem verstorbenen Ehemann, aber „Because the Night“ – von Bruce Springsteen komponiert, von Smith mit den richtigen Worten versehen – ist keine Trauerklage, sondern bleibt eine herrlich trotzige Liebeshymne. Das Publikum reckt die Hände. Die Liebenden beanspruchen die Nacht für sich, als Keimzelle der Freiheit.
Zur Zugabe gibt es dann doch noch ein Stück vom „Horses“-Album. Weil das, sagt Patti Smith, in diesem Jahr seinen 50. Geburtstag feiert und weil der „Free Money“-Rufer dann hoffentlich endlich Ruhe gebe. „Gloria“ ist ein Rock’n’Roll-Gebet, für dessen unheilige erste Zeile – „Jesus starb für irgendjemandes Sünden, aber nicht für meine“ – sich Smith vorsorglich bei der „wunderbaren Kathedrale“ in ihrem Rücken entschuldigt. „G-L-O-R-I-A“, buchstabiert die Sängerin, „Gloria!“, ruft die Menge, „in excelsis deo“ möchte man hinzufügen. Aber Smith hat ihre eigene Ergänzung: „Besucht das Richter-Fenster“, ruft sie in den letzten Refrain hinein, „das ist die moderne Version von heilig.“