Zusammenspiel von Forschung, Politik und MedienIm Bermuda-Dreieck von Corona

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Aus Wissenschaftlern wurden „Medienstars“: Virologe Christian Drosten (rechts) mit Forschungsministerin Anja Karliczek

Aus Wissenschaftlern wurden „Medienstars“: Virologe Christian Drosten (rechts) mit Forschungsministerin Anja Karliczek

  • Nach einer Sternstunde der Wissenschaftskommunikation sah es in der Corona-Krise zunächst aus, so Viola van Melis. Doch nun drohe die Rückkehr in alte Muster.
  • Die Nachrichtenlogik der Zuspitzung stehe der Komplexität von Forschungsergebnissen gegenüber.
  • Wo also entstehen unerwünschte Effekte zwischen Forschung, Politik und Medien? Und was kann man dagegen tun?
  • Ein Gastbeitrag der Leiterin des Zentrums für Wissenschaftskommunikation am Exzellenzcluster „Religion und Politik“ der Universität Münster.

Münster – Für einen Augenblick wirkte es wie eine Sternstunde der Wissenschaftskommunikation: Journalisten bieten Forschern viel Raum und Zeit, so viel, wie es zur Erläuterung komplexer Zusammenhänge aus Virologie oder Epidemiologie angemessen scheint.

Politiker treten nicht mehr als entschlossene Entscheider auf, sondern als sukzessiv Handelnde, die die Kriterien und Unsicherheiten ihres Tuns öffentlich reflektieren und im Handlungsdruck der Pandemie so sehr auf wissenschaftliche Expertise angewiesen wie wir alle. Naturwissenschaftler wiederum, mit dem Auftauchen von Corona in Europa in ihren Laboren und an den Rechnern gebraucht, nehmen sich dennoch Zeit, um das bis dahin erarbeitete Wissen über das Virus allgemeinverständlich und keineswegs unterkomplex zu vermitteln – und so den Verantwortlichen in Bund, Ländern und Kommunen sowie einer verunsicherten Bevölkerung Orientierung zu geben und erste Handlungsoptionen aufzuzeigen.

Rückkehr zu alten Mustern

Wenige Wochen später ist eine Rückkehr zu alten Mustern zu erkennen. Die Logiken, denen die gesellschaftlichen Systeme Wissenschaft, Politik und Medien folgen, treffen in ihrer Unterschiedlichkeit so aufeinander, dass auch unerwünschte Effekte entstehen: Hier die Nachrichtenlogik der Zuspitzung, dort die Komplexität von Forschungsergebnissen. Hier der Handlungsdruck der Politik, dort die Vorläufigkeit wissenschaftlicher Erkenntnis, die gleichwohl als Entscheidungsgrundlage dient. Damit solche Konflikte nicht die Suche nach guten Lösungen in der Pandemie beeinträchtigen, ist es angebracht, genauer hinzusehen und Wege der Überbrückung zu suchen.

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Wo also entstehen unerwünschte Effekte zwischen Forschung, Politik und Medien? Vier Punkte seien genannt.

Erstens: Wissenschaftliche Erkenntnisse sind vorläufig und unsicher, auf fachliche Überprüfung und Korrektur ausgelegt. Politik und Medien aber wünschen sich, stellvertretend für die Bevölkerung, Sicherheit. Zwar sind die Covid-Forschungsfragen in der Debatte längst auf Anwendbarkeit heruntergebrochen – Kontaktverbot, Handyortung, Maskennutzung, Übertragungswege, Impfstoffe, Medikamente – doch abschließende Aussagen wird kein Forscher redlich treffen können. Entscheider in Politik und anderen Gesellschaftsbereichen werden die Verantwortung für Beschlüsse, die auf unsicherer Grundlage abwägend zu fassen sind, nicht abwälzen können. So betonte schon bald der Berliner Virologe Christian Drosten – der früh auch dadurch auffiel, dass er mediale Logiken öffentlich kritisch mitreflektierte (und dennoch „Medienstar“ wurde) – dass er wissenschaftlicher Berater, nicht Entscheider sein könne. Umso wichtiger, politische Gestaltungsmöglichkeiten breiter als bisher zu diskutieren und die Meinungsfindung auch medial zu befördern.

Forschung lebt von Kontroverse

Zweitens: Forschung lebt von der fachlichen Kontroverse, die Wissenschaftler und damit Menschen führen. Was sie sonst erst fachintern tun, geschieht jetzt auf offener Medienbühne. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung wird hineingezogen in die Logik des Nachrichtenwerts, der hier „Konflikt“ heißt: Drosten aus Berlin versus Kekulé aus Halle, dann auch Streeck aus Bonn in den Hauptrollen; weitere Virologen, gelegentlich Virologinnen, in den Nebenrollen. Fachdebatten über drängende Forschungsfragen werden personalisiert und zum Konflikt stilisiert.

Ratsam erscheint es hingegen, nicht länger indirekt über Interviews zu sprechen, sondern zunächst fachintern, um dann abgestimmt mit differenzierender Stellungnahme aufzutreten, die auch die Verschiedenheit von Positionen (statt Personen) transparent machen. So sehen es erprobte Verfahren etwa überinstitutioneller Ethik- und anderer Expertenräte vor.

Mediale Vermittlung verlangt nach Vereinfachung

Drittens: Hier schließt an, dass Forschungserkenntnisse in der Regel so komplex sind wie die Wirklichkeit, die sie abzubilden versuchen. Mediale Vermittlung dagegen verlangt Vereinfachung zwecks Laien-Verständlichkeit und Zuspitzung, um Aufmerksamkeit zu erzeugen. Verbreitet aber ist die Auffassung, viele Forschungsthemen seien zu differenziert und voraussetzungsreich, als dass sie in journalistischer Kürze vermittelt werden könnten. Das jedoch ließ sich in Jahrzehnten des universitären Forschungstransfers und qualitätsvollen Wissenschaftsjournalismus widerlegen. Viele Beispiele zeigen, dass Redaktionen weit mehr an solchen komplexen Stoffen zu transportieren bereit waren, als ihnen mancher in der PR-Branche zugetraut hätte.

Den aktuell nachgefragten Forschern könnte es dienlich sein, ihre Expertise in wenigen längeren Beiträgen wie Gastbeiträgen, Podcasts oder längeren Radiointerviews darzulegen. Weniger empfehlenswert erscheint ihr Bemühen eine Vielzahl an Interview-Anfragen zu beantworten und sich gar in Social-Media-Diskursen detailreich zu engagieren.

Vielzahl an relevanten Fächern

Viertens kommt die Vielzahl an Fächern ins Spiel, die hier bisher nicht genannt sind: Neben den Stimmen der Medizin brachten auch solche aus der Ethik, Psychologie, Wirtschafts-, Rechts-, Sozial- oder Geschichtswissenschaft ihre Expertise ein. Hier zu übergreifenden Schlüssen zu kommen ist eine komplexe Aufgabe, die wiederum wissenschaftlicher Methoden bedarf. Politik und Medien allein können diese Aufgabe nicht erfüllen.

Es ist die Stunde des interdisziplinären Arbeitens, das über Jahre in Forschungsverbünden eingeübt wurde. In vielen globalen Problemlagen zeigen sich ethische, wirtschaftliche, politische, rechtliche und soziale Fragen als so verwoben, dass ein Fach allein sie nicht beantworten kann. Ein fächerübergreifendes Herangehen, auch epochen- und kulturübergreifend, weitet den Horizont aktueller Debatten. Die Geisteswissenschaften, spezialisiert auf die Analyse menschlichen Denkens, Handelns und Hervorbringens in Geschichte und Gegenwart, können hier auch eine strukturierende und priorisierende Rolle einnehmen. Verschiedene Forschergruppen haben der Politik fachübergreifend entwickelte Handlungsempfehlungen übergeben, die über den Tag hinausgehen. Solch interdisziplinärer Rat wird noch vielfach nötig sein. Medien und Politik sollten dieses Orientierungswissen als Grundlage demokratischer Entscheidungsfindung in der Wissenschaft nachfragen.

Zur Person

Viola van Melis, geboren 1971, leitet seit 2009 das Zentrum für Wissenschaftskommunikation am Exzellenzcluster „Religion und Politik“ der Universität Münster und war 2016 an der überinstitutionellen Erarbeitung von „Leitlinien zur guten Wissenschafts-PR“ beteiligt. Zuvor arbeitete sie gut zehn Jahre als Fach- und Nachrichtenjournalistin für Themen aus Politik, Kultur und Wissenschaft. (jf)

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