Der Kölner Medienrechts-Anwalt und Juraprofessor Elmar Schuhmacher spricht über das Ermittlungsverfahren gegen Kardinal Rainer Woelki.
Woelkis Brief nach Rom„Was ist das für eine Führungskraft?“
Die Kölner Staatsanwaltschaft geht dem Verdacht einer Falschaussage unter Eid nach. Dabei spielt ein Brief Woelkis an die Glaubenskongregation in Rom aus dem Jahr 2018 über Missbrauchsvorwürfe gegen einen Priester eine Rolle. Woelkis Schreiben enthält eine konkrete Anschuldigung, zu der Woelki im März vor Gericht erklärte, er sei bis heute darüber nicht informiert worden. Den von ihm unterzeichneten Brief nach Rom will Woelki nicht gelesen haben. Den Vorwurf des Meineids bestreitet er.
Herr Professor Schuhmacher, im Ermittlungsverfahren gegen Kardinal Rainer Woelki wegen des Verdachts auf einen Meineid geht es unter anderem um einen Brief an den Präfekten der Glaubenskongregation in Rom, den der Kardinal nach eigenem Bekunden zwar unterschrieben, aber nicht gelesen haben will. Was ist davon zu halten?
Wer unter Eid aussagt oder etwas an Eides statt versichert, muss seine geistigen Kräfte voll anspannen, damit das Gesagte zutreffend und vollständig ist. Anders gesagt: Vor Gericht wird erwartet, dass man alles dafür getan hat, sich korrekt zu erinnern. Sonst handelt man zumindest fahrlässig.
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Unter Eid hat Woelki gesagt, er sei über einen bestimmten Missbrauchsvorwurf bis März 2023 „nicht informiert worden“. In dem Brief nach Rom ist dieser Missbrauchsvorwurf aber enthalten. Jetzt lässt der Kardinal mitteilen, er könne sich daran nicht erinnern.
Das ist genau das Problem. Man wird ihm vorhalten können: „Hätten Sie sich vernünftig angestrengt, dann hätten Sie sich erinnern müssen.“ Mangelnde Erinnerung ist in diesem Fall ein Indiz für fehlende Sorgfalt.
Ist es ein Unterschied, ob ein unterschriebener, aber nicht gelesener Brief an einen x-beliebigen Empfänger geht oder aber – wie hier – an einen höherrangigen Adressaten?
Grundsätzlich ist es egal, an wen sich ein solches Schreiben richtet. Für die Beweiswürdigung im konkreten Fall ist das aber sehr wohl von Belang: An einen so wichtigen Brief wie diesen hätte sich der Kardinal doch viel eher erinnern müssen als an eine – sagen wir – Gratulation zum Dienstjubiläum eines Pfarrers.
Wie rechtsverbindlich ist eine Unterschrift denn überhaupt?
Stellen Sie sich vor, Sie kaufen etwas. Wenn Sie anschließend sagen, Sie hätten den Kaufvertrag zwar unterschrieben, aber überhaupt nicht gelesen, kommen Sie aus dieser Nummer nicht mehr heraus. Da ist die Rechtslage sehr eindeutig. Sie können dann auch nicht geltend machen, Sie hätten sich geirrt oder den Vertragsinhalt falsch verstanden.
Aber Woelki hat bei seinem Mitbruder im Kardinalskollegium ja nichts gekauft, sondern ihm Informationen geliefert. Und er sagt, er habe sich von der zuständigen Fachabteilung zuarbeiten lassen und sich auf deren Zuverlässigkeit verlassen. Muss er nicht tatsächlich darauf vertrauen dürfen?
Natürlich. Aber in kaum einem Unternehmen oder in einer staatlichen Behörde könnte sich ein Verantwortlicher mit Unkenntnis herausreden über das, was er unterschrieben hat. Sein Verhalten würde immer als schuldhaftes Verhalten gewertet, weil es zu den völlig normalen Sorgfaltspflichten gehört, nicht blind etwas zu unterschreiben.
Desinteresse ist nicht justiziabel.
Aber das stellt sich sofort anders dar, wenn es zum Beispiel im Job zu meinen Pflichten zählt, mich für bestimmte Sachverhalte einfach „interessieren“ zu müssen. Dann wird aus einem Desinteresse auch sehr schnell eine Pflichtverletzung – mit allen sich daraus ergebenden Konsequenzen. Je nachdem, um was es geht, kann ein Desinteresse aber auch die Untauglichkeit für eine Führungsaufgabe dokumentieren. Was ist das für eine Führungskraft, die sich zu Briefen, die sie unterschrieben hat, darauf beruft, ihren Inhalt nicht gelesen zu haben? Fehlen ihr dann nicht der Wille und die Bereitschaft, der eigenen Position entsprechend, auch Verantwortung zu übernehmen? Ich kann mich nur sehr wundern, dass für die Führung in der katholischen Kirche völlig andere Maßstäbe zu gelten scheinen.
In einer eidesstattlichen Versicherung Woelkis vom Dezember 2022 ist auf einer knappen Seite zweimal vom „Erzbistum“ Dresden-Meißen die Rede. Es gibt aber nur das Bistum Dresden-Meißen.
Was jedenfalls diejenigen wissen, die sich mit der katholischen Kirche in Deutschland auch nur ein bisschen besser auskennen. Für mich ergibt sich daraus der Verdacht, dass der Kardinal seine eigene eidesstattliche Versicherung nicht gelesen oder sich für den Inhalt nicht interessiert hat. Sonst wäre ihm ein solcher Stockfehler sicherlich ins Auge gesprungen, und er hätte ihn korrigiert. In der Praxis werden solche Dokumente regelmäßig von Anwälten vorbereitet. Bevor sie unterschrieben und dem Gericht vorgelegt werden, erhält sie derjenige, der etwas eidesstattlich erklären soll, aber erst einmal zur genauen inhaltlichen Prüfung. 99 von 100 Anwälten würden sich vergewissern, dass ihre Mandantschaft den Text vor der Unterschrift aufs Sorgfältigste gelesen hat, damit am Ende auch wirklich alles korrekt wiedergegeben ist. Andernfalls haben nämlich alle Beteiligten ein dickes Problem.
Welche juristische Bedeutung hat in diesem Fall die falsche Angabe?
Auch wenn die Verwechslung Erzbistum/Bistum an sich nicht gravierend ist, wird ein Richter den Wert einer solchen eidesstattlichen Versicherung insgesamt anzuzweifeln haben. Aus strafrechtlicher Sicht wird man sich dann die Frage zu stellen haben, ob nicht auch andere – bedeutsame – Teile der Angaben unzutreffend sind. Dann steht der Vorwurf einer falschen eidesstattlichen Versicherung im Raum, die ja schon strafbar ist, wenn sie fahrlässig abgegeben wurde. Und mit Blick auf das Zivilverfahren kommt auch ein Betrug oder ein versuchter Betrug in Betracht, denn die falsche eidesstattliche Versicherung hat ja möglicherweise Einfluss auf den Prozessausgang und damit auch auf die Kosten des Verfahrens.
Im Presserechts-Streit mit der „Bild“-Zeitung hat Woelki vor Gericht vorgetragen, er habe den streitigen Artikel „mehr oder weniger zur Kenntnis genommen“ und sich „darüber geärgert“.
Das ist haarsträubend. Wer gegen einen Pressebericht klage, dokumentiert damit, dass er oder sie sich vom Inhalt höchstpersönlich angegriffen und betroffen fühlt. Man sollte daher erwarten dürfen, dass ein Kläger den Artikel dann auch sehr genau – ich würde fast sagen, Wort für Wort – darauf durchgeht, was ganz konkret darin aus seiner Sicht zu beanstanden ist, also beispielsweise unwahr ist. Und auch wenn er das Verfahren vor Gericht durch einen Anwalt führen lässt, wird er sich auch selbst mit den einzelnen Fakten auseinanderzusetzen haben. Andernfalls geht der Kläger das Risiko ein, dass zu diesen Fakten nicht korrekt vorgetragen wird und dann ein Prozessbetrug im Raum steht.
Zur Person
Elmar Schuhmacher ist Rechtsanwalt und Partner der Kölner Anwaltskanzlei LST Schuhmacher & Partner, Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht sowie für Handels- und Gesellschaftsrecht. Der promovierte Jurist hat eine Professur an der Rheinischen Fachhochschule Köln und ist Autor im Wirtschaftsrecht. (jf)