GastbeitragGesellschaft muss Maßnahmen nachvollziehen können, um solidarisch zu sein

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Hohe Straße Köln Corona

Passanten auf der Kölner Hohe Straße – teilweise mit, teilweise ohne Maske.

  • Frauke Rostalski ist Direktorin des Instituts für Straf- und Strafprozessrecht der Uni Köln. Die Juristin und Philosophin ist neues Mitglied des Deutschen Ethikrats.
  • In ihrem Gastbeitrag schreibt sie über die Regeln während der Corona-Pandemie.
  • Ihre These: Nur wenn die Gesellschaft die von der Politik erlassen Maßnahmen auch nachvollziehen kann, kann es zu echter Solidarität kommen.

Köln – Mit seiner stark diskutierten Aussage, der Schutz des menschlichen Lebens werde nicht absolut gewährt, hat Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) in die Debatte eingegriffen, ob und in welchem Umfang Lockerungen der Corona-Maßnahmen zum jetzigen Zeitpunkt angemessen sind.

In einer freiheitlichen Demokratie ist der Diskurs wesentlicher Bestandteil unseres gesellschaftlichen Miteinanders. Die Pandemie betrifft uns alle in besonderer Weise. Nur durch das Gespräch über den Umgang damit kann letztlich auch die eindrucksvolle Solidarität, die in den letzten Wochen zu beobachten war, aufrechterhalten werden. Hörten wir auf, miteinander zu diskutieren, wäre dies nicht bloß das Ende des Gesprächs. Vielmehr ginge damit das Risiko einher, dass wir uns weiter voneinander entfernen, als dies wünschenswert ist. Nur wenn die Öffentlichkeit die Gründe für Corona-Maßnahmen nachvollziehen kann, ist überhaupt zu erwarten, dass sie sich solidarisch verhält.

Einen absoluten Lebensschutz garantiert das Grundgesetz nicht

Vor diesem Hintergrund ist auch Schäubles Aussage zu verstehen, der sich auch andere Politiker wie zum Beispiel NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) angeschlossen haben. Der Jurist Schäuble formuliert lediglich, was in jedem Grundgesetzkommentar nachzulesen ist: Einen absoluten Lebensschutz garantiert das Grundgesetz nicht. Vielmehr wird auch das Leben gegen andere Rechtsgüter abgewogen, wenngleich angesichts des hohen Werts dieses Grundrechts klar ist, dass die Abwägung zumeist zu seinen Gunsten ausfällt.

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Wäre es anders, würden wir etwa Organentnahmen an Toten auch gegen den zu Lebzeiten ausdrücklich erklärten Willen des Verstorbenen durchführen. Wir tun dies nicht, obwohl auf diese Weise Leben gerettet werden könnten – weil wir die Selbstbestimmungsfreiheit des Menschen auch über seinen Tod hinaus schützen und in dieser Konstellation also stärker gewichten als den Lebensschutz.

Übertragen auf die potenzielle Lockerung von Crona-Maßnahmen, heißt das: Wenn wir entscheiden, dass Kitas und Schulen weiter geschlossen bleiben oder aber Menschen ihre Reha-Maßnahmen (wieder) antreten dürfen, befinden wir uns schon mitten in der Abwägung. Denn durch mehr gesellschaftliches Miteinander steigt erneut das Risiko von Ansteckungen und damit auch die Gefahr, dass weitere Menschen sterben. 

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Wie diese Abwägung zu erfolgen hat, kann nicht pauschal beantwortet werden. Das Ergebnis ist vielmehr davon abhängig, wie hoch das Risiko einer erneuten erheblichen Ausbreitung des Virus und damit die Überlastung des Gesundheitssystems ist. Dass aber sämtliche anderen Interessen der Bürger dahinter pauschal zurückzustehen haben, ist rechtlich schlicht unrichtig. Aus den genannten Gründen halte ich es für zwingend notwendig, über die Bedeutung von Bildungschancen, die Angst vor drohendem Jobverlust, Einsamkeit und vieles mehr zu sprechen – und all dies in ein Verhältnis zur jeweils aktuell zu beurteilenden Gefahr durch das Virus zu setzen.

Wer an das „Wir“ appelliert, muss dies auf der Basis guter Gründe und damit unter Einbeziehung sämtlicher relevanter gesellschaftlicher Interessen tun. Denn Verständnis ist der einzige Weg zu Solidarität.

Zur Person

Die Autorin, geb. 1985, ist Direktorin des Instituts für Straf- und Strafprozessrecht der Uni Köln. Die Juristin und Philosophin ist neues Mitglied des Deutschen Ethikrats. (jff) 

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