Familien werden oft bedrohtTausende Frauen in NRW zur Prostitution gezwungen

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CDU-Ministerin Ina Scharrenbach (CDU) startet eine Kampagne gegen Zwangsprostitution.

Düsseldorf – Die Zahlen stehen in einem krassen Missverhältnis. 3450 Opfer von Zwangsprostitution und Menschenhandel haben sich von Januar 2017 bis September 2020 hilfesuchend an eine der acht Beratungsstellen des Landes gewandt. Konsequenzen für mögliche Täter hat das jedoch selten. Laut Landeskriminalamt kam es in den Jahren 2017 und 2018 gerade mal zu 203 Strafverfahren. Neuere Zahlen liegen nicht vor. 284 Tatverdächtige habe man identifiziert, darunter seien 40 Frauen.

Auch aus diesem Grund hat die Landesregierung am Montag unter dem Titel „ EXIT.NRW“ eine Aufklärungskampagne gestartet. Mit rund 2000 Großflächenplakaten in zehn Großstädten und Informationsangeboten, die über die Beratungsstellen verteilt werden, sollen möglicherweise betroffene Frauen erfahren, dass und welche Ausstiegsmöglichkeiten es gibt. „Die Opfer müssen Zugang zu den Beratungsstellen finden“, sagte NRW-Gleichstellungsministerin Ina Scharrenbach (CDU) am Montag. „In der Öffentlichkeit ist Menschenhandel fast nicht präsent, dabei findet er tagtäglich auch in Nordrhein-Westfalen statt. Wir müssen das Thema aus der Tabu-Ecke unserer Gesellschaft holen.“

Zwangsprostitution: „Ein großer Teil kommt aus Westafrika“

Auch Andrea Hitzke ist dafür jedes Mittel recht. Die Leiterin der Dortmunder Mitternachtsmission sprach von 460 betroffenen Frauen allein in ihrem Einzugsgebiet, darunter 40 Minderjährige. „Ein großer Teil kommt aus Westafrika, vor allem aus Gambia, Kenia und Nigeria.“ Immer noch zählten Frauen aus Albanien, Rumänien und Bulgarien zu den Opfern. Aber auch deutsche Frauen würden etwa von sogenannten Loverboys zur Prostitution gezwungen.

Viele Betroffene seien durch die Schließung von Bordellen wegen der Corona-Pandemie in die Illegalität getrieben worden. „Die meisten Frauen erstatten keine Anzeige und haben dafür auch gute Gründe. Sie fürchten, dass ihren Familien in der Heimat schlimme Dinge angetan werden, wenn sie in Deutschland zur Polizei gehen“, sagte Hitzke. Das seien keine leeren Drohungen, „das passiert auch“.

In den seltenen Fällen, in denen es zu einer Strafanzeige komme, sei fraglich, ob die überhaupt zu einem Ermittlungsverfahren führe, weil die Beweisführung oft sehr schwierig sei. Den Opfern sei häufig nicht einmal klar, dass sie ausgebeutet werden. „Nach unseren Erfahrungen gelingt aber auch einigen der Frauen die Flucht“, sagt Hitzke. Es sei gar nicht so selten, dass Freier auf anonymen Wegen den Kontakt zur Polizei oder den Beratungsstellen herstellen. „Die finden uns über die sozialen Netzwerke und hoffentlich auch über diese neue Kampagne.“

Trotz all dieser Probleme ist Ina Scharrenbach weiterhin gegen ein generelles Prostitutionsverbot nach schwedischem Vorbild. „Das verschlechtert die Situation, zwingt die Frauen wieder komplett in das Dunkelfeld“, sagte die Ministerin. Allerdings müsse das seit 2017 geltende deutsche Prostituiertenschutzgesetz nachgeschärft werden, forderte Scharrenbach.

Es habe nicht dazu beigetragen, nur einen einzigen Fall „moderner Sklaverei“ in dem Gewerbe zu verhindern oder aufzudecken. Dringend nötig sei ein nationaler Aktionsplan und die Einrichtung einer nationalen Berichterstatter-Stelle. Die Bundesregierung müsse hier aktiv werden. „Wir brauchen ein koordiniertes Vorgehen“, so Scharrenbach. „Darauf warten wir schon viel zu lange.“

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