Schüsse in DuisburgFehde unter Rockern und Clans erreicht traurigen Höhenpunkt

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Ein Einschussloch ist in einer Scheibe am Duisburger Marktplatz zu sehen.

Duisburg – Die Szenen auf dem Hamborner Altmarkt in Duisburg wirken gespenstisch: Gegen 20.40 Uhr am Mittwochabend hallen Schüsse über den Platz. Dutzende Männer laufen auseinander, laute Warnrufe meist in arabischer Sprache sind zu hören. Als die Polizei am Tatort eintrifft, liegen zwei verletzte Männer auf dem Boden. Bei einem der Getroffenen leisten die Beamten Erste Hilfe, binden sein Bein ab. Zwei weitere Angeschossene begeben sich später auf eigene Faust in ein Krankenhaus. Ein Großteil der beiden Konfliktparteien, die Polizei spricht später von zirka 100 Kombattanten, ist bereits geflüchtet.

15 Männer befinden sich mittlerweile in Polizeigewahrsam. Kriminaltechniker sammeln auf dem Platz 19 Patronenhülsen auf. Bei den Projektilen handelt es sich ausschließlich um Neun-Millimeter-Geschosse aus Pistolen. Noch in der Nacht stürmt ein Spezialeinsatzkommando die Wohnung eines 38-jährigen Tatverdächtigen. Von ihm wie auch den anderen mutmaßlichen Schützen fehlt bisher jede Spur. Es ist das vorläufige Ende einer blutigen Fehde im Rocker- und Clanmilieu.

Reul spricht von „schockierenden Bildern“

Über die Motivlage wollen Polizei und Staatsanwaltschaft tags darauf zunächst nicht mutmaßen. Am Nachmittag aber teilt NRW-Innenminister Herbert Reul mit, dass ein Zwist zwischen Hells Angels und dem türkisch-libanesischen Clan auf offener Straße eskalierte. Über die Gründe wird derzeit noch spekuliert. In diesen Kreisen redet man nur selten mit der Polizei. „Die Bilder“ bezeichnete Reul als „schockierend“.

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Bei den Schüssen auf offener Straße sind vier Menschen verletzt worden.

Von einer neuen Dimension der Gewalt wollte der CDU-Politiker allerdings nicht sprechen. „Der gestrige Abend führt uns vor Augen, wie wichtig es ist, bei diesem Problem am Ball zu bleiben“, so Reul weiter. „Clan-Kriminalität ist keine PR-Erfindung, sondern ein Riesenproblem, das die Menschen besonders im Ruhrgebiet in Angst und Schrecken versetzt. Totschweigen ist keine Lösung.“

Aussprache lief offenbar aus dem Ruder

Wie der „Kölner Stadt-Anzeiger“ aus Ermittlerkreisen erfährt, soll der Saadoo-Clan den Hells Angels-Boss Selo A. in der Ruhrmetropole herausgefordert haben. Die Ermittler mutmaßen, dass Clan-Größen, die ursprünglich zu den Duisburger Rockern gehörten, ausgeschlossen werden sollten. Eine zweite Theorie geht davon aus, dass Einnahmen aus gemeinsamen illegalen Geschäften in die eigene Tasche gewirtschaftet wurden. Beide Seiten vereinbarten den Nachforschungen zufolge eine Aussprache am Hamborner Altmarkt, die offenbar aus dem Ruder lief.  

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15 Menschen sind laut Polizei am Tag nach der Schießerei in Gewahrsam genommen worden.

Duisburg gilt laut dem Lagebild des Landeskriminalamts (LKA) NRW als Nummer Vier unter den Clan-Hotspots. Meist geht es um Raub, Diebstahl, Drogenhandel, Körperverletzung und Schutzgelderpressung. Allein in der Ruhrmetropole zählen die Sicherheitsbehörden 75 kurdisch-libanesische Großfamilien, deren kriminelle Zweige in der ein oder anderen Form mit oder gegen Rocker-Gruppen um die Reviere kämpfen. Schwerpunkt ist der Duisburger Norden.

Masche „falsche Polizisten“

Der Saadoo-Clan rangiert im LKA-Ranking auf Rang sechs unter den 112 registrierten Familiensyndikaten. Ableger der Großsippe zockten über türkische Callcenter mit der Masche „falsche Polizisten“ hunderte deutsche Rentner ab. Im Sommer 2019 lieferten sich Saadoos mit dem berühmt-berüchtigten Remmo-Clan in Essen eine gewaltsame Auseinandersetzung, weil sie einen Jugendlichen auf einem Pausenhof verprügelt haben sollen.

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Auch mit den Rocker-Gruppen geriet man mitunter über Kreuz. Vor sieben Jahren bereits stritten sich Clans nach Erkenntnissen der Polizei mit dem Duisburger Hells-Angels-Boss wegen Drogengeschäften. Seinerzeit wurde der Konflikt durch eine Art Friedensrichter geschlichtet. Dieses Mal aber fielen Schüsse.

Duisburgs neuer Polizeipräsident Alexander Dierselhuis beschwichtigte am Donnerstag. Von einer weiteren oder gar dauerhaften Eskalation geht er nicht aus: „Da spricht nach dem aktuellen Ermittlungsstand nichts dafür. Die Gewalt so auf die Straße zu tragen, ist für die Organisierte Kriminalität geschäftsschädigend.“

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