Im Stich gelassenEltern eines Kölners bangen in Kabul um ihr Leben

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Der Dokumentarfilmer Mohammad Musa Radmanish hat auch für die Bundeswehr gearbeitet.

Köln – Der 27. September soll ein Feiertag im Leben von Sulaiman Radmanish (36) werden. Der Tag, an dem er in Köln die deutsche Staatsbürgerschaft annehmen wird. Sieben Jahre nachdem er Kabul Hals über Kopf verlassen musste, weil er ins Visier der Taliban geraten war. 

Doch auch als Deutscher wird er wenige Chancen haben, seinen Eltern zu einem Leben in Freiheit und Sicherheit zu verhelfen. Sie müssen sich in Kabul seit Wochen verstecken. Vor allem der Vater, Dokumentarfilmer und Film-Wissenschaftler an der Uni in Kabul, fürchtet die Rache der Taliban.

Bis zu seiner Flucht arbeitet Radmanish als Mediengestalter für die Nato in Kabul. Seit 2005 produziert er als  Local Afghan Hire, so werden die Ortskräfte bezeichnet, für die Bundeswehr und die Nato TV-Beiträge, die  auch über den öffentlich-rechtlichen Fernsehsender Radio Television Afghanistan (RTA), ausgestrahlt werden.

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Von Taliban geschlagen und verletzt

Die Combined Joint Psychological Operations Task Force (CJPOTF) ist eine multinationale Truppe im Rahmen der International Security and Assistance Force (ISAF), die sich aus Soldaten und Zivilisten aller 22 Nationen zusammensetzt, die damals am Afghanistan-Einsatz beteiligt sind. Die Aufgabe dieser Truppe ist es, den ISAF-Kommandanten mit Hilfe der Medien in der Einsatzführung zu unterstützen, also auch ein Propaganda-Instrument.

„Ich habe abends einen Fernsehbeitrag geschnitten und plötzlich einen Anruf bekommen. Meine Mutter hat nur kurz gesagt, ich solle nicht mehr nach Hause kommen. Dann ist das Gespräch abgebrochen“, sagt Radmanish. Erst später erfährt er, dass seine Eltern von den Taliban in ihrem Haus geschlagen und die Mutter am Knie schwer verletzt worden sei. „Man hat ihnen gesagt, wenn wir Ihren Sohn finden, werden wir ihn köpfen.“

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Sulaiman Radmanish bangt um das Leben seiner Eltern.

Sulaiman Radmanish kommt mit dem Leben davon. Die Familie kratzt ihr Erspartes zusammen. 20.000 Euro kostet die Flucht. Mit  gefälschten Papieren gelingt es Sulaiman, nach Deutschland zu gelangen. „Bevor wir gelandet sind, wusste ich  nicht, in welches Land die Reise geht. Wir sind durch die Passkontrolle und dort hat der Fluchthelfer gesagt »Du bist jetzt in Europa. Jetzt musst Du Dir selbst helfen«.“

Schritt an die Öffentlichkeit

Mit Unterstützung mehrerer Bundeswehr-Offiziere, deutscher Journalisten und durch den  Einsatz eines ehemaligen deutschen Außenministers gelingt es Radmanish, nach sechs Monaten als Asylbewerber anerkannt zu werden. Auch seine Familie kann ein Jahr später ausreisen. Die Eltern und die Schwester bleiben in Kabul zurück.

Wir treffen Sulaiman an seinem Arbeitsplatz, einer Videoproduktionsfirma in Köln. Er habe lange überlegt, ob er den Schritt an die Öffentlichkeit wagen soll, sieht aber keine andere Möglichkeit mehr. Die Angst um die Eltern, die er in Kabul zurücklassen musste, ist zu groß.

Und sie ist durchaus berechtigt. Der Vater (70), Filmwissenschaftler an der Uni  Kabul und Dokumentarfilmer, ist kein Unbekannter. Mohammad Musa Radmanish hat viele Jahre als leitender Redakteur beim TV-Sender RTA gearbeitet, die Bundeswehr und die Nato bei zahlreichen Filmprojekten unterstützt und ist  im Fernsehen immer wieder als  Vermittler zwischen der Nato und der afghanischen Regierung aufgetreten.

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„Meine Eltern verstecken sich irgendwo in Kabul. Sie wagen sich nicht mehr auf die Straße“, sagt Sulaiman. „Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Taliban ihn finden.“  Die Eltern mussten mit der gesamten Familie schon einmal  fliehen. Das war 1991, als die Mudschaheddin in Kabul die Macht übernahmen. „Wir sind nach Pakistan geflohen. Damals war auf meinen Vater ein Kopfgeld ausgesetzt.“

Im Exil gründet der Vater  mit der BBC einen Radiosender für Afghanistan. Die Themen: Menschenrechte, Frauenrechte, Kinderrechte. „Er hätte damals  ausreisen können. Nach Australien oder Kanada. Aber wir sind in Pakistan geblieben. Mein Vater hat immer gesagt: »Von hier aus kann ich mein Land noch riechen«.“ Nach dem 11. September 2001 und dem Einmarsch der Amerikaner kehrt die Familie nach Kabul zurück. Dort bangen die Eltern jetzt um ihr Leben.

Sulaiman will für seine Eltern aufkommen

Sulaiman hat auch schon vor der Machtübernahme der Taliban Dutzende E-Mails an politische Amtsträger, Behörden und Ministerien geschrieben. Er hat sich ans Auswärtige Amt gewandt, an die Bundeskanzlerin und an Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker. Er werde in Deutschland für seine Eltern aufkommen, so dass sie niemandem zur Last fallen.

„Stets bekomme ich Hinweise, wie unter Einhaltung bestehender Vorschriften meine Eltern nach Deutschland gelangen könnten“, sagt er. „Aber nie nimmt jemand die Dinge in die Hand und sagt: Ich kümmere mich um Ihre Angelegenheit!“

Den Vater zu bitten, über die Homepage der deutschen Botschaft in Kabul einen Termin an den Vertretungen in Islamabad oder Delhi zu vereinbaren, „verkennt vollkommen die Situation in meiner Heimat.“ Ebenso unbeholfen verhalte sich  Außenminister Heiko Maas mit seinen Gesprächen in den afghanischen Anrainerstaaten. „Er wahrt sein Gesicht, mehr nicht. Immerhin tut er etwas, aber ich bezweifle, dass es gefährdeten Menschen wie meinen Eltern helfen wird. Sie waren während der Luftbrücke zwei Mal am Flughafen und wurden nicht durchgelassen.“

Pure Verzweiflung

Sulaiman Radmanish hat die Ausweisdokumente seiner Eltern ans Auswärtige Amt, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und das Innenministerium geschickt. Mit der Bitte, sie wenigstens auf die Liste der Menschen zu setzen, die herausgeholt werden müssen. Er habe einen Anspruch darauf, seine Eltern im Rahmen der Familienzusammenführung nach Deutschland zu holen.

Aus dem Brief an die Kölns Oberbürgermeisterin spricht die pure Verzweiflung. „Bitte antworten Sie mit konkreter Hilfe, nicht mit  Verweisen auf langwierige Verfahren“, schreibt Sulaiman. „Mein Leben in Deutschland schulde ich einigen wenigen, die sich für mich eingesetzt  haben. Sie haben  sich nicht hinter dem Satz verschanzt: »Mir sind die Hände gebunden!« Sie haben mutig und entschlossen gehandelt. Die Hände sind denjenigen gebunden, die in afghanischen Gefängnissen zum Schafott geführt werden.“

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