Interview mit Grünem OB„Jedes Grad, das am Ende geringer ausfällt, bringt etwas“

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Uwe Schneidewind

Uwe Schneidewind (Die Grünen) ist Oberbürgermeister in Wuppertal

  • Uwe Schneidewind ist Wirtschaftswissenschaftler und seit September erster grüner Oberbürgermeister von Wuppertal.
  • Der gebürtige Kölner ist 54 Jahre alt, und findet die Klimaneutralität 2050 zwar gut, aber nicht weit genug gegriffen.
  • Das Gespräch führte Jennifer Wagner.

Herr Schneidewind, wie viel Klimaschutz verträgt die Wirtschaft? Uwe Schneidewind: Das hängt sehr stark von der Branche ab. Bei der Umstellung auf regenerative Energien gibt es zum Beispiel kaum noch Konflikte, das ist bereits absolut wirtschaftlich. Herausfordernd ist die Sanierung von Gebäuden. Da hängt viel davon ab, wie sich die Kosten umlegen lassen sowie von der erwarteten Wertsteigerung der Gebäude. 

Probleme ergeben sich da in schwachen Immobilienmärkten. Bei Mobilität und Verkehr ist weniger die Wirtschaftlichkeit das Thema, sondern eher die Bequemlichkeit. Die Mobilitätswende hat viel mit der Verschiebung vom Auto hin zum Fußgänger-, Rad- oder öffentlichen Nahverkehr zu tun. Da ist es sogar oft günstiger auf das Auto zu verzichten und die anderen Verkehrsmittel zu nutzen. Da scheitert es dann eher an der Bequemlichkeit. Deswegen kann man pauschal nicht sagen, dass sich Wirtschaft mit ökologischen Aspekten nicht verträgt.

Bei der Mobilitätswende sind ländliche Räume aber schon eher im Nachteil. Da hat die Nutzung eines eigenen Autos selten etwas mit bloßer Bequemlichkeit zu tun. Und ein E-Auto kostet immer noch mehr Geld als ein Verbrenner.

Alles zum Thema Henriette Reker

Im ländlicher Raum ist es sicher ein anderes Thema. Darum werden wir das Thema Verkehrswende auch erst in den Innenstädten angehen. Aus Sicht des Einzelnen haben Sie sicher Recht: Ein E-Auto kostet mehr Geld als ein Auto mit Verbrennungsmotor. Deshalb hängt viel an gesetzlichen Rahmenbedingungen, die Anreize setzen sollen, wenn sich ein Einzelner für ein E-Auto entscheiden soll.

Umbau zu erneuerbaren Energie bei den Versorgern in Gang

Wie viel Klimaschutz muss man denn großen Wirtschafts- oder Energieunternehmen zumuten? 

Das ist auch eine Frage des Standorts. Es gibt ja heute schon technologische Lösungen, um zum Beispiel die Stahlproduktion CO2-frei zu machen und zwar auf Basis von Wasserstoff. Das ist aber durch die dafür notwendigen Investitionen noch erheblich teurer als die konventionelle Methode. Da ist auch die Frage, wie der Staat die Unternehmen in dieser Frage begleitet, damit es nicht zu einem Standortnachteil für Deutschland oder ganz konkret für NRW kommt.

Bei den Energieversorgern ist der Umbau in vollem Gange. Dort zeigen die Unternehmen, dass man mit erneuerbarer Energie wirtschaftlich erfolgreich sein kann. Hier ist eher die Herausforderung, wie wir die fossilen Energien abwickeln. Aber da gibt es ja durch das Kohleausstiegsgesetz von der Politik ausreichend Kompensationen.

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Aber die Produktion von Wasserstoff bringt dem Klima nichts, wenn er nicht mit „grünem“ Strom produziert wird. Welche Stellschrauben braucht es noch, um das Thema ganzheitlicher anzugehen?

Hier braucht es für alle Akteure Erwartungssicherheit. Das beginnt auf EU-Ebene mit dem „Green Deal“ und geht auf Bundesebene weiter. Je klarer man sich für eine Klimaneutralität für spätestens 2050 entscheidet, desto eher wissen Städte, Autofahrer oder die Industrie, was auf sie zukommt und zwar: 2050 gibt es keine Mobilität oder Industrie mehr auf fossiler Basis.

Es braucht eine Politik, die klar macht, welche Bereiche künftig ausgebaut werden sollen - wie zum Beispiel die Wasserstofftechnik. Entscheidungen wie die aus dem Konjunkturpaket, in dem sieben Milliarden für eine solche Technologie vorgesehen sind, setzen klare Signale. Für die Unternehmen ist es das Schlimmste, wenn sich heute für Elektromobilität ausgesprochen wird und übermorgen wieder für andere Antriebe.

Wuppertal soll bis 2035 klimaneutral werden

Sie sprechen das Konjunkturpaket an. Hat die Bundesregierung bisher genug getan, um klare Signale zu senden?

Zumindest sind im Konjunkturpaket einige wichtige Bausteine enthalten gewesen. Für Klimaneutralität bis 2050 reicht das noch nicht, aber es weist schon einmal in die richtige Richtung.

In Ihrem Wahlkampf sprachen Sie von Ihrer Vision, dass alle Menschen in Würde leben können, obwohl der Planet ökologische Grenzen hat. Was braucht es, damit Sie Ihre Vision umsetzen können?

Das ist ein globaler Maßstab. Jetzt bin ich auf lokaler Ebene unterwegs. Die Kommunen sind wichtig, weil sich hier zeigen lässt, was wirklich geht. Kommunen können mutige Wege gehen und damit als Impulsgeber für Bundespolitik fungieren. Ich bin damit angetreten, dass Wuppertal bis 2035 klimaneutral wird, Henriette Reker hat das für Köln ebenfalls ausgesprochen.

In enger Zusammenarbeit können wir jetzt Strategien entwickeln, die zeigen, wie das erreichbar ist. Daraus lässt sich ableiten, welche Unterstützung und Gesetze wir von Landes- und Bundesebene brauchen. Am Ende baucht es klare Zielvorgaben von nationalen Regierungen und idealerweise auch von der Europäischen Union, damit es in den einzelnen Städten konkret werden kann.

Grüner Wahlerfolg nicht ohne Grund in Großstädten

Wie könnte das konkret aussehen?

Ich kann jetzt ein Klimaschutzprogramm für 2035 entwickeln. Dann sehe ich, welche Anreizprogramme ich brauche, damit das auch umgesetzt werden kann. Welchen Anteil hat die Gebäudesanierung? Was brauche ich, um eine Stadt komplett auf E-Mobilität umzustellen? Was können davon die Energieversorger selbst leisten und wo braucht es Unterstützung von der Landesregierung? Je konkreter wir das in der Kommune machen, umso eher kann man hochrechnen, welche Unterstützung wir von anderer Ebene brauchen.

Braucht es für diese Schritte mehr Klimaexperten in der Politik?

Das glaube ich nicht unbedingt. Wir haben eine sehr gute Landschaft an Forschungseinrichtungen und viel Expertise. Jetzt geht es mehr um das politische Wollen, Klimaschutz auch umzusetzen. Eine Konstellation wie bei mir kann für die Übersetzung hilfreich sein, ist aber nicht unbedingt notwendig. Jeder OB, der nicht selber Klimaexperte, hat genügend Wissen im Zugriff, um Klimaschutz umzusetzen.

Ist das denn in den vergangenen Jahren bereits genug gemacht worden?

Fridays for Future hat Gewaltiges bewirkt und den Druck auf politische Prozesse, jetzt wirklich etwas zu tun, erheblich erhöht. Es ist wohl nicht ohne Grund so, dass wir jetzt in vier Großstädten in NRW grüne oder von Grünen unterstützte OBs haben. Damit wird deutlich, dass sich die Bevölkerung wünscht, dass mehr passiert - das hat sich generell in den Kommunalwahlen gezeigt.

Fridays for Future fordert schnelle Klimaneutralität

Fridays for Future bringt aber immer noch viel Kritik an der aktuellen Politik an. Sind sie im Recht? Reicht das, was bisher angestoßen wurde?

Wir müssen konsequenter werden. Es gibt zwar viele verlautbare Ziele, dass man bis 2035 oder 2040 klimaneutral werden will. Das muss jetzt aber in belastbare Strategien umgesetzt werden. Da ist noch erheblicher Nachholbedarf. Fridays for Future weist zurecht darauf hin, dass wenn wir das 1,5 Grad-Ziel ins Auge fassen, dann müsste man vermutlich noch sehr viel früher zu einer Klimaneutralität kommen.

Fridays for Future fordert deshalb das Jahr 2030 anzupeilen. Und da müssen wir dann abwägen: Wie sind die Anpassungszeiträume? Selbst wenn man sehr ehrgeizig rangeht, was ist tatsächlich machbar? Deshalb haben wir am Wuppertal-Institut sehr deutlich das Jahr 2035 herausgearbeitet, was durchaus eine gute Chance gibt, zumindest das 2 Grad-Ziel einzuhalten und auch ökonomisch funktioniert.

Jetzt plant die Politik mit Klimaneutralität 2050. Bringt das dann überhaupt etwas?

Jedes Grad, das am Ende geringer ausfällt, bringt etwas. Klimaneutralität 2050 ist auf jeden Fall besser als eine im Jahr 2070 oder 2080. Aber um eine realistische Chance zu haben unter den 2 Grad globalen Erwärmung zu bleiben, brauchen wir ambitionierte Ziele.

Das Gespräch führte Jennifer Wagner.

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