Kommentar zum NRW-CheckWüst braucht einen klaren Vorsprung

Lesezeit 4 Minuten
Wahl Symbolbild

Symbolbild Wahl

  • Ein Kommentar

Köln – Das Spannende an Wahlen ist, dass rechnerische Kleinigkeiten politisch gewaltige Konsequenzen haben können – für die politisch Handelnden, vor allem aber für die Bürgerinnen und Bürger. Vom Wahlergebnis hängt ab, wer künftig regiert und damit die Politik bestimmt. Und das ist laut dem jüngsten „NRW-Check“ des „Kölner Stadt-Anzeiger“ und weiterer Tageszeitungen knapp zwei Wochen vor der Wahl keineswegs ausgemacht.

Im Gegenteil: Selten zuvor zeichneten sich für unser Bundesland so viele mögliche Konstellationen für die Regierungsbildung ab wie diesmal. Wobei das Einzige, was schon heute ziemlich sicher zu sein scheint, auch schon ein politisches Statement der Menschen in Nordrhein-Westfalen ist: Für die schwarz-gelbe Koalition in Düsseldorf dürfte es keine Neuauflage geben.

Düsseldorfer Koalition: Wunder Punkt Schulpolitik

Die Gründe dafür sind vielfältig. Ein wunder Punkt ist sicher die Schulpolitik. Hier hat die amtierende Regierung bei Weitem nicht das geliefert, was sie 2017 versprochen hatte. Fast ist es, als wiederholte sich die Geschichte unter umgekehrten Vorzeichen: Vor fünf Jahren war die Unzufriedenheit mit der Gymnasialreform und der Situation an den Schulen insgesamt ein Hebel für das Oppositionsgespann Armin Laschet (CDU) und Christian Lindner (FDP), das rot-grüne Duo Hannelore Kraft/Sylvia Löhrmann aus dem Amt zu hieven.

Alles zum Thema Hendrik Wüst

Laschet und Lindner sind in NRW selbst schon wieder Vergangenheit – aus unterschiedlichen Gründen. Ihren Nachfolgern Hendrik Wüst und Joachim Stamp drohen die Früchte des politischen Siegs von 2017 zu entgleiten.

Kutschaty noch bis 2021 ohne große Strahlkraft

Der SPD-Herausforderer Thomas Kutschaty, von dem noch bis weit ins vorige Jahr kaum Strahlkraft und noch weniger Glanz ausgingen, hat heute gute Chancen, selbst von der Position des Zweitplatzierten aus Ministerpräsident zu werden. Dass seine Partei durch den Ukraine-Krieg in Turbulenzen geraten ist, hat Kutschaty erkannt und dagegen diverse Stabilisatoren installiert.

So ist seine jüngste Forderung, die Historie des Verhältnisses der SPD zur Sowjetunion und zu Putins Russland aufzuarbeiten, vor allem dem Bemühen geschuldet, aus einem verbreiteten Unbehagen oder – insbesondere mit Blick auf Ex-Kanzler Gerhard Schröder – großen Unverständnis keinen Stimmungsumschwung zulasten der SPD werden zu lassen. Zugleich gibt Kutschaty mit Parolen wie „lieber Kohlekraftwerke als Stromausfall bei der Medikamentenproduktion“ den pragmatischen Kümmerer.

Kohlenutzung kein Stimmungstöter für SPD und Grüne

Wäre das offene Sinnieren über eine verlängerte Nutzung des Klimakillers Kohle noch vor Monaten auch ein Stimmungstöter im Verhältnis zu den Grünen als Wunschpartner der SPD gewesen, sieht sich die Öko-Partei aufgrund des Ukraine-Kriegs selbst in der Pflicht, den Klimaschutz als prioritäres Ziel in Einklang zu bringen mit der Herausforderung einer gesicherten Energieversorgung für die Menschen.

Deshalb taugen Unterschiede in der Positionierung zur Kohleverstromung oder gar Atomkraft nicht, einen Keil zwischen SPD und Grüne zu treiben. Erreichen sie in der Wahl gemeinsam eine stabile Mehrheit, dürfte eine Neuauflage von Rot-Grün in NRW gesetzt sein. Für den Fall, dass die beiden Parteien einen dritten Partner brauchen sollten, steht die FDP bereit. Die Liberalen werden den Lagerwechsel weg von der Union relativ umstandslos mit dem Vorbild der Ampel in Berlin begründen können.

Schwere Zeiten für Hendrik Wüst

Schwere Zeiten also für Hendrik Wüst, den amtierenden Ministerpräsidenten von der CDU. Strategisch hat der Laschet-Nachfolger, der in einem halben Jahr als Regierungschef allenfalls einen kleinen Amtsbonus sammeln konnte, lediglich eine Top-Option: Schwarz-Grün.

Mit einem satten Vorsprung vor der SPD und einer komfortablen Mehrheit könnte Wüst die Grünen womöglich locken, zumal ein gutes Harmonieren auf der menschlichen Ebene die größere programmatische Nähe der Grünen zur SPD ein Stück weit ausgleicht. Man sollte im Übrigen nicht vergessen, dass Schwarz-Grün für beide Parteien im Bund vor gerade einmal einem Jahr so etwas war wie die Koalition der Herzen. Sowohl Unionskanzlerkandidat Armin Laschet als auch das Grünen-Tandem Annalena Baerbock/Robert Habeck rechneten mehr oder weniger unverhohlen damit, dass es im September für sie zusammen reichen würde. Wüst muss die Chance eines Revivals dieses schwarz-grünen Liebäugelns auf Landesebene suchen.

Größte Fallhöhe für einen Politiker in Deutschland

Für ihn ist die politische Fallhöhe derzeit so groß wie für keinen anderen Politiker in Deutschland. Kann er sich als Ministerpräsident behaupten, ist er der Hoffnungsträger seiner Partei über die Wahl am 15. Mai hinaus. Es wird nicht lange dauern, bis dann auch das Wort „Kanzlerkandidat“ fällt. Wenn Wüst hingegen verliert, landet er in den Chroniken als Winterkönig von Düsseldorf, dem die Macht dort nur zufiel, weil Laschet sich von ihr losgesagt hatte.

Das könnte Sie auch interessieren:

Eine Hoffnung, den Bedeutungsverlust abzuwenden, kann Wüst paradoxerweise auf die „Mallorca-Affäre“ gründen, die der CDU in der heißen Phase des Wahlkampfs denkbar ungelegen kam. Weil Wüsts schärfste innerparteiliche Rivalin, Bauministerin Ina Scharrenbach, selbst in die Vorgänge um Politiker-Aufenthalte auf Balearen-Insel kurz nach Flutkatastrophe im Juli 2021 verwickelt war, könnte sie auch einem Wahlverlierer Wüst nicht gefährlich werden. Aber noch muss Wüst auf Sieg setzen – und auf Hochspannung bis zum 15. Mai. Genau wie die Konkurrenz.  

KStA abonnieren