Kommentar zur politischen LageIn Deutschland braut sich was zusammen

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Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD, m.) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sind immer wieder stark in der Kritik – auch von Oppositionsführer Friedrich Merz. Die politische Stimmung ist aufgeheizt. (Archivbild)

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD, m.) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sind immer wieder stark in der Kritik – auch von Oppositionsführer Friedrich Merz. Die politische Stimmung ist aufgeheizt. (Archivbild)

Wenn die Ampel nicht aus ihrem Tief kommt, wird das politische System zunehmend erschüttert. Tadel an der Regierung kommt von höchster Stelle.

Es ist, als hätte sich die Ampel im Matsch festgefahren. Gehetzt und unreflektiert versucht sie, den Karren aus dem Dreck zu bringen und gräbt sich nur noch tiefer ein. Nun kommt Tadel selbst von höchster Stelle: Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nennt als Grund für den Mangel an Glaubwürdigkeit der Regierung mitunter deren mangelnde Fähigkeit, die Politik zu erklären und nach außen ein geschlossenes Bild abzugeben.

Jede Regierung kann sich mal verhauen, aber dass ihr die anfangs katastrophale Kommunikation über das Heizungsgesetz keine Lehre war, ist schwer zu verstehen. Zum Vertrauensverlust vieler Hausbesitzerinnen und -besitzer ist nach der überfallartig angekündigten Kürzung der Agrarsubventionen die Wut der Bauernschaft hinzugekommen. Teile des Handwerks und der Logistikbranche solidarisieren sich. Und viele Menschen haben Verständnis dafür. Das kann eine gefährliche Dynamik annehmen.

Die in so gut wie allen gesellschaftlichen Schichten anzutreffende Stimmungslage, dass nichts mehr funktioniere und es mit Deutschland bergab gehe, ist von der Ampel nicht ohne Masterplan wieder einzufangen. Dafür wäre der Kanzler zuständig. Aber er hat den Moment verpasst, sich vor allem bei Finanzminister Christian Lindner (FDP) den nötigen Respekt für eine kompromissorientierte, gemeinsame rot-grün-gelbe Politik zu verschaffen. So bekommen immer mehr Menschen den Eindruck, dass tragende Säulen in Deutschland brüchig werden - von Autobahnbrücken bis zu den politischen Institutionen.

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Die Union profitiert aber von dem Unmut nicht in dem Maße wie das Gefühl wächst, dass es die Regierung von Olaf Scholz nicht kann. Das traditionelle Parteiensystem droht zu zerfasern - vor allem die SPD schrumpft in Umfragen -, die AfD gewinnt neue Mitglieder, Rechtsextreme rotten sich zusammen und machen Bürgerinnen und Bürgern Angst mit Fantasien über die Deportation von Migrantinnen und Migranten.

Es gibt sie, die Defizite im Alltag. Dass es in Deutschland einmal an Fiebersäften und Antibiotika fehlen könnte, ist für eine Gesellschaft, deren Wohlstand kontinuierlich gewachsen ist, beunruhigend. So gut wie jeder Bahnreisende macht die Erfahrung, dass Pünktlichkeit oft nur ein leeres Versprechen ist. Kaum jemand dürfte behaupten, dass die Bürokratie weniger geworden ist.

Wir sind nicht mürbe und traumatisiert durch einen Weltkrieg, wir haben keine Massenarbeitslosigkeit
Kristina Dunz

Deutschland hat aber auch dies: das höchste Bruttoinlandsprodukt, mit die niedrigste Inflationsrate in der Europäischen Union und im Verbund der sieben großen Industrienationen mit großem Abstand die niedrigste Staatsschuldenquote. Um unser Sozialsystem beneiden uns Menschen in aller Welt.

Auch wenn es durch die Umtriebe der Rechtsradikalen erschreckende Parallelen zwischen den Anfängen der 2020er Jahre mit der Entwicklung der 1920er Jahre gibt - die Zeiten sind andere. Wir sind nicht mürbe und traumatisiert durch einen Weltkrieg, wir haben keine Massenarbeitslosigkeit und die meisten Menschen wissen, was Freiheit wert ist.

Es ist zu leicht, der Regierung von außen einfach eine gute Politik zu empfehlen, damit der große Unmut im Land wieder weichen möge. Es ist auch nicht so, dass die Ampel bisher nichts abgeliefert hätte. Dass nach Russlands Überfall auf die Ukraine die Wohnungen in Deutschland warm und die Energiepreise bezahlbar blieben, war das Ergebnis eines Kraftakts dieser Regierung.

Sie wirkt nur oft wie auf einem hohen Ross. Der Kanzler, die Minister, die Parteivorsitzenden und Parlamentarier müssen den Menschen ihre Politik, ihre Zwänge und Pläne besser, früher und verständlicher nahebringen und deren Nöte und Sorgen anhören. Die Erfahrung ist doch, dass nur in seltenen Fällen eine ausgestreckte Hand aus- und die Tür vor der Nase zugeschlagen wird.

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