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Mordpfleger
Durchsuchung in Klinik – Tötete Ulrich S. auch Patienten in Köln?

6 min
Der ehemalige Krankenpfleger, der wegen zehnfachen Mordes und 27-fachen Mordversuchs zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt wurde, verbirgt sein Gesicht hinter einem Aktenordner, als er in den Verhandlungssaal am Landgericht Aachen geführt wird. Foto: Detlef Schmalenberg

Der ehemalige Krankenpfleger, der wegen zehnfachen Mordes und 27-fachen Mordversuchs zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt wurde, verbirgt sein Gesicht hinter einem Aktenordner, als er in den Verhandlungssaal am Landgericht Aachen geführt wird. 

Wegen Mordes und versuchten Mordes ist Ulrich S. in Aachen zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Jetzt besteht der Verdacht, dass er auch in Köln gemordet haben könnte. 

Er sei narzisstisch und zwanghaft, glaube, alles besser zu wissen, sei respektlos zu seinen Patienten gewesen, überheblich zu Kollegen, skrupellos und unfähig, Empathie für andere Menschen zu empfinden. Markus Vogt, Vorsitzender der Schwurgerichtskammer am Landgericht Aachen, nahm kein Blatt vor den Mund, als er den Krankenpfleger Ulrich S. am Mittwoch vergangener Woche wegen zehnfachen Mordes und 27-fachen Mordversuchs zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilte.

Begangen wurden die in Rede stehenden Taten zwischen Dezember 2023 und Mai 2024 auf der Palliativstation des Rhein-Maas-Klinikums Würselen. Im Nachtdienst des Krankenhauses hat er nach Überzeugung des Gerichts eigenmächtig überhöhte Mengen an Beruhigungsmitteln verabreicht, teils in Kombination mit Schmerzmitteln, und teilweise auch mehrfach.

„Das Lebensrecht der Patienten war ihm gleichgültig“

„Er wollte, dass es ruhig ist während seiner Schicht, darum ging es ihm. Er konnte den Zustand der Patienten nicht ertragen, ihr Lebensrecht war ihm gleichgültig“, urteilte Vogt über den 44-Jährigen, der den zweieinhalbstündigen Richterspruch überraschend regungslos entgegengenommen hat. Zuvor, an einem der 29 Verhandlungstage in den letzten sieben Monaten, hatte er seine Wut gelegentlich nur mühsam bändigen können. 

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Selbst die Wächter im Gefängnis soll er wüst beschimpft und bedroht haben. Die Welt, eine einzige große Verschwörung, ließ er im Gerichtssaal durchblicken. „Viele Leute wollen ihre Schuld jetzt auf mich schieben“, hatte der Krankenpfleger in den Saal gerufen, gegen den längst auch schon in Köln ermittelt wird. Denn vor seiner Beschäftigung am Rhein-Maas-Klinikum hatte Ulrich S. als Krankenpfleger im städtischen Krankenhaus im Kölner Stadtteil Merheim gearbeitet. Dem Vernehmen nach zunächst zwischen April 2010 und Januar 2011. Und dann noch einmal, nach Anstellungen am Marienhospital sowie der Uniklinik in Aachen, zwischen Februar 2014 und September 2020.

Etwa sieben Jahre am Klinikum Köln-Merheim gearbeitet

Nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ hat es im Juli eine Hausdurchsuchung im Klinikum Merheim gegeben. Oberstaatsanwalt Ulrich Bremer äußerte sich zwar nicht dazu, welches Krankenhaus durchsucht wurde. Er bestätigte aber grundsätzlich „Durchsuchungen im Juli 2025 in einem rechtsrheinischen Krankenhaus, in der städtischen Zentralverwaltung der Kölner Kliniken und in den Geschäftsräumen eines IT-Dienstleisters in Münster“. Dabei hätten die Ermittler „umfangreich Datenträger und Dokumente sichergestellt“.

Das Beweismaterial werde jetzt „gemeinsam von Kriminalpolizei Köln und Staatsanwaltschaft ausgewertet, um weitere mögliche Straftaten des ehemaligen Krankenpflegers in Köln aufzuklären“, so Bremer: „Der Beschuldigte steht im Verdacht, auch in Köln eigenmächtig Beruhigungs- und/oder Schmerzmittel an Patienten verabreicht zu haben.“

Unterlagen im Klinikum Köln-Merheim beschlagnahmt

Das Material, mit dem sich die Ermittler beschäftigen, stammt sicherlich auch aus Merheim. „Natürlich benötigt die Staatsanwaltschaft im Rahmen ihrer Ermittlungen auch Daten und Unterlagen aus unserem Hause“, bestätigte René Hartmann, Sprecher der Kölner Kliniken, auf Nachfrage: „Natürlich müssen etwa auch Patientenunterlagen sichergestellt und ausgewertet werden.“ Diese hätte das Klinikum „von Beginn an selbstverständlich zu jeder Zeit herausgegeben, um eine lückenlose Aufklärung des Sachverhalts durch die Staatsanwaltschaft bestmöglich zu ermöglichen“.

Der verurteilte Mordpfleger hat die Stationen in Kölner Klinik mehrfach gewechselt

Nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ hat Ulrich S. die Stationen, auf denen er gearbeitet hat, während seiner Kölner Zeit mehrfach gewechselt. Unterlagen der Ermittler zufolge wurde er zunächst auf der Inneren und in der Neurologie eingesetzt, wechselte dann in die Neurochirurgie, arbeitete anschließend in der Neuro-/ Viszeral- und Gefäßchirurgie, um ab November 2019 wieder in der Neurochirurgie zu landen.

Im Klinikum Köln-Merheim wurde durchsucht.

Im Klinikum Köln-Merheim wurde durchsucht.

Bei der Auswertung der im Klinikum Merheim beschlagnahmten Unterlagen haben sich die Ermittler wohl zunächst auf die Dienstpläne und Medikamentenlisten aus diesen Jahren konzentriert. In Würselen war S. letztlich aufgefallen, weil in seinen Nachtschichten überraschend viele Patienten gestorben waren. Zudem hatte während seiner Zeit der Gebrauch des Narkosemittels Midazolam extrem zugenommen. Wurden auf der dortigen Palliativstation im Jahr 2022 noch lediglich 50, überwiegend kleine Ampullen (5 mg) bestellt, waren es den Recherchen eines Gutachters zufolge 2023 etwa 180 und 2024 bis Pfingsten bereits 230 – darunter zahlreiche große 15-Milligramm-Ampullen.

Auch in Merheim soll der Pfleger ohne ärztliche Erlaubnis Schlafmittel verabreicht habe

Im Mordprozess vor dem Landgericht Aachen wurden in den vergangenen Monaten auch ehemalige Arbeitskolleginnen des Angeklagten aus Köln-Merheim befragt. Ulrich S. sei bereits damals bisweilen menschenverachtend gewesen, berichtete eine Pflegerin laut Presseberichten. Eine weitere Zeugin habe den Ex-Kollegen, der auch in Köln häufig Schlafmittel verabreicht hätte, obwohl das mit keinem Arzt abgesprochen gewesen sei, wie folgt zitiert: „Dann gibt man denen etwas zum Abschießen, dann klingeln die nicht so oft.“

Vom Verhalten des schwierigen Mitarbeiters hat die Merheimer Pflegedienstleitung damals womöglich aber erst durch ein anonymes Schreiben erfahren. Darin hatte, wie sich später herausstellte, eine damalige Pflegeschülerin besorgniserregende Beobachtungen gemeldet. Der heute 44-Jährige habe sich im Nachtdienst „abwertend und ekelhaft überheblich“ über Patienten geäußert, habe sie damals mitgeteilt. Das berichtete die junge Frau vor Kurzem in einem Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“.

Im Juni 2020 einen Auflösungsvertrag unterschrieben

Manchen Patienten habe S. sogar den Tod gewünscht, nur weil sie „vor Schmerzen häufig geschrien, geklingelt oder sonst wie um Hilfe gebeten“ hätten. Zudem habe sie beispielsweise gesehen, wie sich der oft aufbrausende und herrische Kollege „reichlich Medikamente in die Hosentasche gestopft hat“, so die ehemalige Pflegeschülerin. Als dieser dann wiederum bemerkt habe, dass er beobachtet wurde, habe er sich ruhig umgedreht und gesagt: „Wenn du was brauchst, kannst du es dir hier ruhig nehmen. Interessiert sowieso niemanden, aber lass dich nicht erwischen.“

Die Nachricht der damaligen Auszubildenen zeigte Wirkung. Die Pflegedienstleiterin bat S. zum Gespräch und konfrontierte ihn mit den Vorwürfen. Im Juni 2020 unterzeichnete der Pfleger einen Auflösungsvertrag.

Anstatt vor ihm zu warnen, stellte die Klinik ihm zum Abschied noch ein wohlwollendes Arbeitszeugnis aus, hieß es vor einigen Monaten vor dem Landgericht Aachen. Das Dokument wurde teilweise vorgelesen, um es in den Mordprozess einzuführen. Der Ex-Mitarbeiter verfüge über „große Einsatzfreude“, eine „schnelle Auffassungsgabe“ und sei „in hohem Maße zuverlässig“, habe demnach in dem Papier gestanden.

Wohlwollendes Arbeitszeugnis für den besorgniserregend agierenden Mitarbeiter

Ein Entgegenkommen, damit Ulrich S. den Auflösungsvertrag unterschreibt? Da es sich um ein laufendes Ermittlungsverfahren handelt, könne er, in Abstimmung mit der Staatsanwaltschaft, über das bereits Gesagte „hinaus keine weiteren Auskünfte erteilen“, so Kliniksprecher Hartmann.

Von Köln jedenfalls wechselte S. dann zur Palliativstation des Rhein-Maas-Klinikums in Würselen, wo die Ermittlungen auch nach dem Urteilsspruch weiter laufen. Die Sonderkommission der Polizei Aachen sucht nach verdächtigen Todesfällen, die sich vor dem bisher angeklagten Zeitraum ab Dezember 2023 ereignet haben. Dabei ist sie offenbar auf monströs viele Fälle gestoßen. Nach Informationen der „Aachener Zeitung“ jedenfalls hat es in diesem Zusammenhang bereits 20 weitere Exhumierungen gegeben - zehn davon auf Kölner Stadtgebiet. 

Immer wieder sorgen ähnliche Fälle in Deutschland für Schlagzeilen. In Berlin läuft derzeit ein Prozess gegen einen Palliativmediziner, der mindestens 15 Patienten getötet haben soll. Als bislang größte Mordserie der deutschen Nachkriegsgeschichte gilt ein Fall aus Niedersachsen: Der Ex-Pfleger Niels Högel wurde 2019 wegen 85 Morden zu lebenslanger Haft verurteilt.