Hebammen haben in der Gesellschaft einen guten Stand. Strukturell kämpfen sie aber auch mit vielen Hürden.
Kölner Hebamme„Medizin kann Sicherheit geben, aber auch verunsichern“

Friederike Hoffmann arbeitet seit 14 Jahren als Hebamme im Kölner Geburtshaus.
Copyright: Philipp Buron
Friederike Hoffmann ist Vorstandsvorsitzende des Kölner Geburtshauses und arbeitet dort seit 14 Jahren in der Schwangerenvorsorge sowie in der Wochenbettbetreuung. Sie berät auch Familien, die die Geburt ihres Kindes als traumatisch erlebt haben.
Frau Hoffmann, Sie arbeiten seit mehr als 20 Jahren als Hebamme. Was hat sich in dieser Zeit für Sie am meisten verändert?
Die Geburt als Prozess ist natürlich immer noch die gleiche. Kinder werden geboren wie eh und je. Aber was sich verändert hat, ist alles drumherum: die Kommunikation mit den Familien und der mediale Einfluss. Als ich anfing, hatte man zwar schon ein Handy mit SMS-Funktion. Aber ich musste nicht immer erreichbar sein. Heute schreiben Frauen noch abends um zehn Uhr Nachrichten, weil sie etwas wissen wollen. Natürlich hilft schnelle Kommunikation oft, Situationen zu beruhigen. Manche Frauen sind auch in Not, ganz viele aber auch nicht. Früher hätten viele Frauen auch ihre Eltern oder Freunde gefragt oder einfach gewartet.
Haben Sie den Eindruck, dass Frauen heute unsicherer sind?
Viele, die mit Social Media aufgewachsen sind, lassen sich tatsächlich einerseits durch ungefilterte Informationen verunsichern. Was im Internet gepostet wird, sieht ja häufig viel schöner und einfacher aus als es in Wirklichkeit ist. Es gibt andererseits aber auch Frauen, die verlassen sich inzwischen lieber auf Apps anstatt auf ihr eigenes Bauchgefühl. Wenn eine Frau ziemlich spät zur Geburt kommt und dann meint: „Meine Wehen-App hat mir noch nicht gesagt, dass ich fahren soll“, bin ich schon erstaunt. Das ist nicht der Regelfall, aber sowas kommt schon vor.
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Wie reagieren Sie darauf?
Ich versuche, die Frauen darin zu bestärken, ihrer Intuition zu vertrauen. Wir im Kölner Geburtshaus bieten auch viele Kurse an, damit die Frauen auch bei unterschiedlichen Fragen einfach eine kompetente Anlaufstelle haben. Das ist nämlich am Ende doch ein großer Wunsch vieler Frauen und Familien, nicht der Informationsflut im Internet ausgeliefert zu sein, sondern sich auf eine gute, persönliche Begleitung zu verlassen.
Wie haben sich die Erwartungen an Sie genau verändert?
Sie haben sich geändert, weil sich auch die Erwartungen an die Frauen geändert haben. Eine zusätzliche Herausforderung für Frauen sind die vielen vorgeburtlichen Untersuchungen und Interventionen, die es heute gibt. Die sind Fluch und Segen zugleich. Medizin kann Sicherheit geben, aber auch verunsichern. Viele Familien glauben: Wenn ich alles überwachen lasse, kann nichts schiefgehen. Und dann wird so schnell und so viel wie möglich abgeklärt. Manchmal habe ich den Eindruck, dass sich viele Frauen zu wenig Zeit lassen, um in der Schwangerschaft überhaupt anzukommen.
Was bedeutet der Wunsch nach ständiger Absicherung für Sie und Ihre Kolleginnen?
Wir sind entsprechend früher in der Schwangerschaft gefragt. Es gibt einfach einen großen Informationsbedarf. Junge Eltern wollten alles richtig machen und dabei nicht allein gelassen werden. Das ist ja verständlich. Aber ich finde, es gibt nicht mehr so viele Familien, die Dinge auch einfach mal so hinnehmen können. Eine Geburt ist nicht nur romantisch. Und ein Baby bringt Veränderungen. Es wird viele schlechte und durchwachte Nächte geben. Dinge, die man nicht versteht. Aber jeder, der Kinder hat, weiß auch: auf einige Fragen gibt es schlicht keine Antworten. Das ist so. Und das muss man einfach aushalten. Hebammen versuchen natürlich, so gut wie möglich, alle Fragen zu beantworten und dabei zu helfen im Familienleben gut anzukommen.
Welche Rolle spielen die Väter dabei?
Ja, die Väter sind natürlich viel mehr eingebunden als früher – was ich toll finde. Aber es bedeutet auch mehr Fragen, mehr Gespräche, mehr emotionale Begleitung.
Ich habe selbst in meinem klinischen Alltag erlebt, dass der Arzt der Frau auf den Oberschenkel gehauen hat, damit sie mal locker lässt.
Jede Frau hat einen gesetzlichen Anspruch auf Hilfe, aber es gibt seit jeher viel zu wenige Hebammen. Wie erleben Sie den Mangel?
Das sorgt einfach für noch mehr Druck bei den Frauen. Ich habe jetzt eine Anfrage für eine Wochenbett-Betreuung für 2026. Früher kamen die Anfragen im 6. oder 7. Monat. Heute denken viele: Wenn ich nicht sofort eine Hebamme finde, stehe ich allein da. Viele haben heute noch keinen Mutterpass, wenn ich das Vorgespräch führe. Manchmal wissen noch nicht mal die künftigen Großeltern, dass ihr Kind schwanger ist.
Wer zu spät ist, geht ja auch leer aus, oder?
Wir versuchen, alles möglich zu machen. Wir dürfen auch die Frauen nicht vergessen, die keine guten Deutschkenntnisse haben, aber natürlich auch das gleiche Recht auf eine Hebamme. Sie wissen häufig nicht, wo und wie sie sich informieren sollen und kommen manchmal sehr spät zu uns. Ich bekomme also jetzt noch Anfragen für Juli und August. Grundsätzlich ist Köln in vielen Stadtteilen relativ gut abgedeckt, zumindest in den meisten Zeiten im Jahr, in ländlicheren Gegenden oder anderen Bundesländern sieht das häufig anders aus.
Sie haben sich zur traumasensiblen Hebamme weitergebildet. Wie begegnet Ihnen das Thema Gewalt in der Geburtshilfe?
Es ist sehr präsent. Das liegt auch daran, dass es immer mehr Frauen gibt, die über ihre Erfahrungen sprechen, was gut und wichtig ist! Man muss immer wieder sagen, dass es dabei nicht nur um körperliche Gewalt geht. Das kann auch ein abfälliger Blick sein oder so ein Satz wie „Stellen Sie sich nicht so an“. Das kann traumatisieren. Vor allem, wenn eine Frau schon zuvor in ihrem Leben Gewalterfahrungen gemacht hat. Und das trifft statistisch gesehen leider auf jede dritte Frau in Deutschland zu. Ich habe selbst in meinem klinischen Alltag erlebt, dass der Arzt der Frau auf den Oberschenkel gehauen hat, damit sie mal locker lässt. Da zuckt man erstmal zusammen. Ich kann letztlich nicht ausschließen, dass auch ich unwissentlich Gewalt ausgeübt habe. Man muss sich deshalb immer wieder vor Augen führen, dass die Geburt auch ein Moment großer Verletzlichkeit sein kann. Es braucht immer Empathie, viel Zeit und Respekt. Das sind natürlich Faktoren, die die Gesundheitspolitik mit Kosten verbindet. In einem Arbeitsalltag kann man dem Anspruch manchmal aufgrund der hohen Belastung deshalb nicht immer gerecht werden, obwohl sich alle Kolleginnen so sehr bemühen.

Mittlerweile werden ein Drittel der Geburten in Deutschland mit Kaiserschnitt durchgeführt.
Copyright: Maria Berentzen/dpa
Ist das der Grund, warum Sie im Kölner Geburtshaus arbeiten?
Ja, weil dort eine garantierte 1:1-Betreuung möglich ist. Man kennt sich vorher, hat Vertrauen aufgebaut. In der Klinik weiß man oft nicht, wer einem begegnet, wenn es losgeht. Natürlich machen Klinikhebammen einen super tollen Job und sie sind auch hervorragend darin geschult, sofort zu sehen, was eine Frau gerade braucht, aber es ist ein anderes Setting. Im Geburtshaus kann man individueller begleiten – das war mir immer wichtig. Aber auch das Geburtshaus ist nicht für alle Familien der richtige Ort für eine Geburt.
Tatsächlich entscheiden sich in Deutschland nur knapp zwei Prozent der Frauen für eine außerklinische Geburt.
Das ist ja völlig in Ordnung. Jede Familie muss ihren Ort finden, der zu ihr passt. Das kann ein Perinatalzentrum sein, in dem 24 Stunden Kinderarzt und Gynäkologe und alles Mögliche vor Ort verfügbar sind und es kann das eigene Zuhause sein. Deswegen würde ich jeder Schwangeren empfehlen, sich mit Ruhe und Sorgfalt zu informieren. Es gibt da kein Falsch und kein Richtig oder kein Besser und kein Schlechter, sondern nur das, was jeder und jede braucht.
Der heutige Aktionstag dient ja dazu, grundsätzlich auf Ihren Berufsstand aufmerksam zu machen. Was findet Ihrer Meinung nach zu wenig Beachtung?
Grundsätzlich haben wir in der Gesellschaft eigentlich einen schönen Stand. Von den Familien selbst erhalten wir immer große Wertschätzung. Allerdings spielen wir in ihrem Leben ja nur für einen bestimmten Zeitraum eine Rolle, wie zum Beispiel die Erzieherinnen in der Kita. Auch dort engagieren sich Eltern eben, solange die Kinder im Kindergarten sind. Sind sie raus, sieht man die Probleme nicht mehr. Wir sind nun mal eine sehr kleine Berufsgruppe, treten nur kurz in Erscheinung und werden am Ende zumindest politisch nicht genügend beachtet. Dabei ist der gute Start ins Familienleben so elementar.
Wir Hebammen sind an eine Gebührenverordnung gebunden, haben keine freie Preisgestaltung und dürfen keine Zusatzkosten berechnen
Sie sprechen die strukturellen Hürden an.
Ja, eine zentrale Schwierigkeit ist nach wie vor die unzureichende Vergütung. Wir Hebammen sind an eine Gebührenverordnung gebunden, haben keine freie Preisgestaltung und dürfen keine Zusatzkosten berechnen – und das bei steigenden Lebenshaltungskosten, besonders seit der Inflation nach Corona. Viele Kolleginnen hören deshalb auf. Die Akademisierung des Berufs ist ein wichtiger Schritt und ich finde es großartig, dass Hebammen heute auch promovieren können. Aber das ändert zumindest leider bisher nichts an der Bezahlung oder den Rahmenbedingungen im Alltag.
Ein weiteres großes Thema ist nach wie vor die Berufshaftpflichtversicherung?
Ja, für die außerklinische Geburtshilfe. Zwar gibt es inzwischen einen Sicherungszuschlag, den man rückwirkend beantragen kann, aber die finanzielle Belastung bleibt erst mal hoch – man muss die volle Summe vorstrecken, lange auf Rückerstattung warten, während schon das nächste Versicherungsjahr beginnt.
Haben Sie schon mal daran gedacht, den Beruf dranzugeben?
Nein. Ich kann mir keinen besseren denken. Man kommt mit so vielen tollen Menschen in Kontakt aus so vielen unterschiedlichen Kulturen. Man lernt so viel über Menschen und begleitet sie natürlich in einer, wie ich schon finde, sehr besonderen Lebenszeit. Mir macht es sehr großen Spaß und ich freue mich, wenn ich ein paar Jahre später die Kinder auf dem Fahrrädchen sehe mit ihren Eltern, die mich dann noch erkennen und mich grüßen.
In Deutschland wurde die Hebammenausbildung 2020 akademisiert. Seitdem ist ein duales Bachelorstudium verpflichtend. Die neue Ausbildung zielt darauf ab, die Qualität der Hebammenausbildung zu verbessern, den Beruf international vergleichbarer zu machen und die Forschung voranzubringen. Seit 2021 bietet die Universität zu Köln einen dualen Bachelorstudiengang in Hebammenwissenschaft und ab diesem Wintersemester einen Masterstudigengang an. Im März 2024 schloss der erste Jahrgang das Bachelor-Studium ab. Trotz weniger Praxiszeit im Vergleich zur früheren dreijährigen Ausbildung seien die Absolventinnen „genauso fit“, sagt Mona Klaes, Hebamme an der Uniklinik Köln. Klaes wurde für die Begleitung der Studierenden in der Praxis extra freigestellt. Rund 300 Bewerberinnen kommen jährlich auf 25 Studienplätze. Etwa die Hälfte der Ausbildung findet in der Praxis statt, das heißt, es müssen immer ausreichend Kapazitäten und qualifiziertes Personal zur Verfügung stehen, was viele Einrichtungen vor Herausforderungen stellt. Klaes hofft, dass die Akademisierung langfristig die Arbeitsbedingungen verbessert. Die Vergütung – besonders in der Freiberuflichkeit – gilt weiterhin als unzureichend. „Angesichts der Verantwortung auch für zwei Leben ist die Bezahlung nicht angemessen“, betont die Praxisanleiterin. Die neue Ausbildung schafft immerhin Perspektiven: etwa für ein weiterführendes Masterstudium, Forschung oder Lehrtätigkeit.