Wegen der Besetzungsaffäre beim Oberverwaltungsgericht fordert die Opposition den Rücktritt von NRW-Justizminister Benjamin Limbach. Beim Treffen mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ erzählt der Grünen-Politiker, wie ihn sein Elternhaus geprägt hat - und warum Aufgeben keine Option für ihn ist.
So tickt Minister LimbachEr liest Comics, macht die Wäsche – und geht zu Fuß

Minister Benjamin Limbach kennt man im Job nur im akkuraten Anzug. Am Wochenende führt er Tibet-Terrier „Nelly“ (nicht im Bild) im Bonner Hofgarten aus.
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Die Leute am Nebentisch beachten ihn nicht. Der Mann am Fenster, der sich gerade eine Tasse Tee bestellt hat, wird in der Öffentlichkeit nur selten erkannt. Benjamin Limbach, im akkuraten, dunkelblauen Anzug, fühlt sich wohl in dem Ecklokal in der Bonner Südstadt. „Hier hatten wir früher unseren Assistentenstammtisch“, sagt er lächelnd.
In den 90er Jahren hieß die Kneipe „Pathos“, die Getränke waren günstig und man bestellte Pizza. Mittlerweile beherbergt das Lokal ein Gourmet-Restaurant. Die Verwandlung passt zum früheren Stammgast. Damals Jura-Student, heute NRW-Justizminister. Und die Hauptfigur in einem „Justiz-Krimi“, der verfilmt werden könnte.
Mutter Jutta war Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts
Limbach geht seit seiner Kindheit leidenschaftlich gern ins Kino. „Ich war oft zusammen mit meinem Vater im Bonner Rex-Kino, denn unsere Mutter war in der Woche nicht zu Hause“, erzählt er. Jutta Limbach war als Top-Juristin bundesweit bekannt – zunächst als Justizsenatorin von Berlin, später als Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts. Sie blickte auf eine stolze SPD-Familiengeschichte zurück – schon die Großmutter war im Berlin der zwanziger Jahre SPD-Reichstagsabgeordnete. „Wenn wir Kinder gefüttert wurden, sagte meine Mutter oft ironisch: Ein Löffel für Herbert, ein Löffel für Willy, ein Löffel für Helmut.“
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Vater Peter Limbach, ein hoher Beamter im Bundesinnenministerium, betreut die drei Kinder viele Jahre fast alleine. Während die Mutter sich als streitbare „Jutta Courage“ einen Namen macht, vermittelt er ihnen, dass Bildung, Disziplin und Zielstrebigkeit im Leben wichtig sind. Einen Fernseher im Haushalt gibt es nicht. Während andere Kinder „Wetten, dass..?“ gucken, schmökern die Limbachs in ihren Büchern. Im Sommer geht es nach Spanien, aber nicht an die Küste. „Wir waren mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs, sind übers Land gereist. Mein Vater hatte immer das aktuelle Kursbuch dabei. In Andalusien kannte ich gefühlt jedes Museum und jede Kirche.“
Freie Rede und Rhetorik von kleinauf gelernt
Limbach erzählt gerne von dieser Zeit. Man ahnt, dass die Kinder unter einem gewissen Druck gestanden haben, einen Weg zu gehen, der den hohen Ansprüchen der Eltern gerecht werden konnte. Über Laufbahngruppen, Besoldungsstufen und das Bedeutungsranking der Bundesministerien wurde bisweilen auch beim Frühstück diskutiert, erinnert sich Limbach. So selbstverständlich wie andere Kinder schwimmen üben, wenn sie mit ihren Eltern baden gehen, lernten er und die Geschwister freie Rede und Rhetorik. „Da bin ich nicht stolz drauf, das war eben so“, sagt der 55-Jährige. Um zu verstehen, wie Limbach heute tickt, ist der Prolog über die Kindheit jedenfalls hilfreich.
Als Benjamin Limbach 2022 zum NRW-Justizminister ernannt wurde, hatte er es – auch gemessen an den hohen familiären Maßstäben – geschafft. Zuvor war er Präsident der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung in Brühl gewesen. Der Karrieresprung ins NRW-Kabinett begünstigten zwei Faktoren, die so nicht vorhersehbar waren.

Im Jahr 2022 hatte es Benjamin Limbach - auch gemessen an den hohen Erwartungen in der Familie - geschafft. Er wurde Justizminister in NRW.
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2018 wechselt Limbach von der SPD zu den Grünen. Womöglich war der Schritt auch eine späte Emanzipation vom Elternhaus - der Minister erklärt den Vorgang weniger psychologisch. „Ich habe gemerkt, dass die Grünen besser zu meinen Überzeugungen und zu meiner Lebenswelt passen.“
2022 erhält er dann einen Anruf von Mona Neubaur, der Frontfrau der NRW-Grünen im Landtagswahlkampf. Nachdem sich die Partei mit der CDU auf eine Koalition verständigt hatten, musste Neubaur vier Ministerposten besetzten. Wohl auch, um den unbequemen Kölner Arndt Klocke auszubooten, der das Verkehrsressort im Blick hatte, macht Neubaur einen unerwarteten Schachzug. Sie baut ein Großministerium aus Verkehr und Umwelt, das sie ihrem Vertrauten Oliver Krischer überträgt, und greift nach dem Justizressort. Juristen sind bei den NRW-Grünen rar gesät. Niemand hätte aus seiner Rolle heraus einen Anspruch auf den Ministerposten erheben können. Neubaur konnte jemanden aus dem Hut zaubern: Benjamin Limbach erscheint auf der Bühne der Landespolitik.
Limbach über sich selbst: Ein „grauenhafter Autofahrer“
„Der Neue“ wird in der Fraktion naturgemäß kritisch beäugt. Nicht jedem gefällt, dass er „eher wie einer aus der CDU“ auftritt. Aber Limbach hält eine gute Antrittsrede, bei der er glaubhaft machen kann, dass er ein „echter“ Grüner ist. Er geht am liebsten zu Fuß, überlässt seiner Frau das Steuer, weil er ein „grauenhafter Autofahrer“ ist. Dass auch die NRW-Grünen seit Jahren den Anschluss ans bürgerliche Lager gesucht haben, ist für Limbachs Akzeptanz nicht hinderlich. Was die Staatsgläubigkeit angeht, sind Konservative und Grüne ohnehin oft aus dem gleichen Holz geschnitzt.
Wie sich im Nachhinein herausstellen wird, beginnt der Plot des „Justiz-Krimis“ just in diesen Anfangswochen. Limbach genießt das neue Amt, und es passt dazu, dass er die Zeit findet, sich mit einer ehemaligen Richterkollegin zum gemeinsamen Abendessen in Bonn zu verabreden. Ein Termin, der ihn in höchste Schwierigkeiten bringen wird.
Denn während man beim Italiener tafelt, signalisiert Katharina J., dass sie gerne Präsidentin des Oberverwaltungsgerichts in NRW werden würde und fragt, ob eine Bewerbung noch Sinn macht. „Es war ein Fehler von mir, das Thema an der Stelle nicht sofort zu beenden. Das ist eine dienstliche Frage, die wir in meinem Büro hätten klären müssen“, sagt Limbach heute.
Duz-Freundin des Ministers geriet plötzlich auf die Überholspur
Aus diesem „Anfängerfehler“ erwuchs der Untersuchungsausschuss zur „OVG-Besetzung“. Die Vorgänge waren ans Licht gekommen, nachdem Mitbewerber um den Top-Posten rechtlich gegen die Besetzung vorgegangen waren. Denn nachdem sie sich beworben hatte, geriet Katharina J. plötzlich auf die Überholspur und bekam den Zuschlag. Wurde das Prinzip der Bestenauslese durch politischen Klüngel ausgehebelt? Die Staatskanzlei kam in Erklärungsnot. Die Opposition fordert seit Monaten Limbachs Rücktritt.

Aus einem „Anfängerfehler“ erwuchs der Untersuchungsausschuss zur „OVG-Besetzung“. Hier Limbach bei einer Sitzung des Ausschusses im Landtag im März.
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Der schüttelt den Kopf, wenn er über die Details der Abläufe spricht. Die Vorgänge würden ihn an eine „griechische Tragödie“ erinnern, sagt er etwas pathetisch. Nur bislang ohne die reinigende Katharsis. Der Justizminister beharrt darauf, dass es bei der Postenvergabe keine Mauschelei gegeben habe. Er verliert kein schlechtes Wort über J., sieht sich durch ihr Ansinnen beim Abendessen nicht „gelinkt“. „Ich hatte nicht den Eindruck, dass sie Einfluss nehmen wollte.“
Keine Beweise, aber Limbachs Image ist beschädigt
Bislang konnte die Opposition keinen schriftlichen Beweis für die These beibringen, dass es geheime Absprachen gab. Aber Limbachs Image ist beschädigt. Kein grüner Minister habe in den vielen Jahren, seit Grüne in NRW mitregieren, so viele schlechte Schlagzeilen und politischen Gegenwind produziert, kritisiert eine ehemalige Spitzengrüne. Das Fass sei voll. Wie der Minister damit umgeht?
Ein freiwilliger Rücktritt? Da ist er anders gestrickt. Auch seine Mutter sei in ihrer Zeit als Justizsenatorin wiederholt zum Rückzug aufgefordert worden. „Man darf sich von seinen Gegnern nicht bange machen lassen“, sei ihr Credo gewesen. Wer Verantwortung trage, könne nicht einfach weglaufen. Standhaft zu bleiben, das rät auch der Vater, der kürzlich 90 Jahre alt geworden ist. Anfeindungen begegnen die Limbachs mit einem selbstbewussten Auftritt, der auf Kritiker bisweilen überheblich wirkt.
Am Wochenende geht Limbach, Vater zweier Kinder, oft mit dem Hund der Familie, dem Tibet-Terrier „Nelly“, im Bonner Hofgarten spazieren. Dann sieht man ihn in Jeans und Poloshirt. Bügeln ist viel Arbeit, das weiß der Minister. Er ist in der Familie seit jeher für die Wäsche zuständig.
Limbach liebt Comics, er ist ein großer Fan von Asterix. Auch die Gallier werden ständig bedroht, aber sie sind schlau und setzen sich oft listig zur Wehr. Limbach muss sich ohne Zaubertrank aus seiner Lage befreien. Ob es gelingt, wird sich zeigen. Die Willenskraft jedenfalls steckt in seinen Genen.