Arzt und Theologe Lütz zu Scholz„Offenbar hat es dem Kanzler die Sprache verschlagen“
3 min
Bundeskanzler Olaf Scholz.
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Manfred Lütz, Arzt, Theologe und Bestseller-Autor, darüber, dass Politiker im Krieg ganz besonders klug ihre Worte wägen müssen - und warum manches ungesagt bleiben sollte.
Denken Sie nicht an rosarote Elefanten! Alle guten Psychotherapeuten wissen, dass Sprache Macht hat, weil sie unvermeidlich Wirklichkeiten produziert, und sie werden deswegen sorgfältig vermeiden, unermüdlich die Defizite ihrer Patienten zur Sprache zu bringen. Nur so können sie diesen Defiziten die Macht über die Patienten nehmen und stattdessen die Aufmerksamkeit auf deren Ressourcen, ihre Kräfte und Fähigkeiten lenken. Psychotherapie ist eine kluge, professionelle Anwendung von Sprache.
Klare Sprache, überzeugende Gründe
Politik hat es ebenso im Wesentlichen mit Sprache zu tun. Demokratische Politiker müssen öffentlich in klarer Sprache überzeugende Gründe für ihre Entscheidungen nennen. Die Rede im Parlament, im Wahlkampf auf der Straße, in der Talkshow – sie ist der Vollzug der „res publica“, der „öffentlichen Angelegenheit“. Wer nicht vermag, sorgfältig mit seiner Sprache umzugehen, ist fürs politische Geschäft nicht geeignet.
Manfred Lütz beschäftigt sich mit der Psyche vieler extremer Persönlichkeiten.
Copyright: Max Grönert
Der Krieg in der Ukraine stellt in dieser Hinsicht plötzlich höchste Ansprüche an unsere politische Elite. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), der als kompetenter Finanzminister gegen die Unbilden der Pandemie noch kürzlich mit einem kecken Lächeln „die Bazooka“ ausgepackt hatte, soll auf einmal nicht nur reale Waffen liefern und Führung zeigen, sondern auch ein ganzes Volk darüber aufklären, dass es ab sofort keine Friedensdividende mehr gibt. Er soll kraftvoll und besonnen zugleich wirken. Dabei scheint es ihn sichtbar zu frösteln.
Scholz ist die Rhetorik entglitten
Und offenbar hat es dem Kanzler die Sprache verschlagen. Erst eine Woche nach der emotionalen Rede Wolodymyr Selenskyjs im Deutschen Bundestag fand Scholz zögerlich zu einer Antwort. Während der wichtigen Debatte über schwere Waffen weilte er in Japan. Aus Ärger über quengelige Abgeordnete entglitt ihm gänzlich die Rhetorik. Er redete von Parlamentariern despektierlich als „Jungs und Mädels“.
Nun kann die Unterschätzung sprachlicher Wirkungen in einer politischen Krisensituation fatal sein. Der Deutsch-Französische Krieg von 1870/71 wurde durch die berühmte „Emser Depesche“ ausgelöst, die Otto von Bismarck in wohlkalkulierter Sprache abgefasst und auch an die Presse gegeben hatte. In der heutigen Situation ist es zwar unwahrscheinlich, dass Wladimir Putin sich mit seinen imperialistischen Absichten von absichtlichen Formeln oder unfreiwilligen Sprachunfällen aus dem Westen beeinflussen lässt. Allerdings sind Putins ursprüngliche Pläne in der Ukraine fürs Erste so gründlich gescheitert, dass man sprachliche Provokationen dennoch besonders sorgfältig vermeiden sollte.
Wenn tatsächlich entscheidend ist, dass weder die Nato noch Deutschland Kriegspartei werden, dann müssen Politiker sich ihrer besonderen Rolle bewusst sein und nicht – wie jüngst geschehen – davon sprechen, dass man zwar nicht juristisch, aber doch de facto „Kriegspartei“ sei. Und wenn der Kanzler sein Zögern bei wichtigen Entscheidungen in seiner Not damit begründet, dass es keinen „dritten Weltkrieg“ und auch keinen „Atomkrieg“ geben dürfe, stellt er unbeabsichtigt den rosaroten Elefanten, von dem tunlichst nicht die Rede sein sollte, umso unüberhörbarer und damit gefährlicher in den Raum.
Wer verständlicherweise Angst vor einem Atomkrieg hat, sollte ihn immer im Kopf haben, aber nicht leichtfertig im Munde führen.