Rasant steigende Infektions-ZahlenAmerika sucht die Corona-Notbremse

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Joe Biden 060521

US-Präsident Joe Biden

Washington – Anthony Fauci machte aus seiner Frustration keinen Hehl: „Wir bewegen uns in die falsche Richtung“,  klagte der führende Immunologe der USA am Wochenende in einem Fernsehinterview. Tatsächlich ist Amerika innerhalb weniger Wochen vom Impf-Vorbild zum Problemfall der Corona-Pandemie mutiert: Während die Delta-Variante wütet, kommt die Immunisierungskampagne nur noch schleppend voran. Mit einer vollständigen Impfquote von 50,2 Prozent hat inzwischen selbst Deutschland die USA (49,1 Prozent) überholt. Die Zahl der Neu-Infektionen in Amerika liegt fast 40 Mal so hoch wie hierzulande.

Hektisch suchen die politisch Verantwortlichen nach einer Notbremse. Mit Kalifornien und New York verhängen nun der bevölkerungsreichste Bundesstaat und die größte Stadt des Landes eine Impfpflicht für ihre Beschäftigte. Obwohl Präsident Joe Biden angesichts des massiven Widerstands im konservativen Teil der Bevölkerung einen Zwang zur Immunisierung bislang ablehnt, erließ auch das Veteranenministerium eine entsprechende Anweisung für sein medizinisches Personal. Gleichzeitig warnt die US-Regierung ihre Bürger vor Reisen nach Großbritannien, Portugal und Spanien. Mit der unbefristeten Verlängerung der Einreisesperre für Europäer enttäuscht sie Hoffnungen auf eine Öffnung der seit mehr als 16 Monaten bestehenden transatlantischen Mauer.

Beunruhigende Entwicklung im Land

Die Entwicklung im Land ist in der Tat beunruhigend. Erst vor drei Wochen hatte Biden beim Nationalfeiertag die Rückkehr seines Landes zur Normalität verkündet. Befreit und ohne Masken feierten mehr als 1000 geladene Gäste im Garten des Weißen Hauses. Seither hat sich die Zahl der täglichen Neuinfektionen auf rund 57.000 verfünffacht. Mehr als 80 Prozent der Ansteckungen gehen auf die aggressive Delta-Variante zurück. Biden spricht nun von einer „Pandemie der Ungeimpften“, denn das Virus grassiert vor allem in republikanischen Bundesstaaten wie Alabama und Arkansas mit einer hohen Zahl von Vakzin-Verweigerern.

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Von einer Rückkehr zur Maskenpflicht im öffentlichen Raum über eine Auffrischungsimpfung für Menschen mit geschwächtem Immunsystem bis zu Impfgeboten werden im Weißen Haus nun zahlreiche Gegenmaßnahmen diskutiert. Die Regierung in Washington befindet sich in einer schwierigen Lage, da republikanische Bundesstaaten wie Florida striktere Regelungen kaum umsetzen dürften. Umgekehrt gehen nun demokratisch regierte Körperschaften in die Offensive und verpflichten Hunderttausende Beschäftigte im öffentlichen Dienst zur Immunisierung.

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„Wir sind erschöpft von der Politisierung der Pandemie“, kritisierte Gavin Newsom, der Gouverneur von Kalifornien, die Flut von Verschwörungslegenden und Falschinformationen in rechten Online-Medien. Er erließ für Ende August eine Impfpflicht für die 246.000 Männer und Frauen im Landesdienst sowie für alle zwei Millionen Beschäftigten im Gesundheitswesen des Landes. Mehrere medizinische Verbände in den USA haben sich inzwischen für eine bundesweite Impfpflicht ausgesprochen. In New York gilt diese Vorgabe nun vom 13. September an für alle städtischen Beschäftigten vom Krankenhauspersonal über Lehrer bis zu Polizisten. 

Als erste Bundesbehörde hat das Veteranenministerium nun ebenfalls eine Impfpflicht eingeführt. Alle 115.000 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Krankenhäuser für Ex-Soldaten müssen sich nun innerhalb der nächsten acht Wochen eine Spritze setzen lassen. Ansonsten droht ihnen der Rauswurf. Dies sei der beste Weg, um „die Sicherheit der Veteranen zu garantieren“, sagte Minister Denis McDonough. 

Einreisesperre für Europäer bleibt

Derweil erklärte Bidens Sprecherin Jen Psaki, die US-Regierung werde „wegen der Delta-Variante“ auf unbestimmte Zeit an den Einreisesperren für Reisende aus Europa festhalten. Nach massiven Protesten unter anderem der deutschen Wirtschaft hatte Biden beim Besuch von Kanzlerin Angela Merkel eine Überprüfung in Aussicht gestellt. Deren Ergebnis fällt nun negativ aus.

Psaki begründet die Entscheidung mit dem Rat der Wissenschaft. Beobachter halten das für wenig glaubhaft, da die Impfquoten in Europa deutlich höher sind als in vielen Bundesstaaten der USA.  Auch bemängeln Kritiker seit langem, dass der Travel Ban völlig unsystematisch ist. Er gilt für die Länder des Schengen-Raums, für den Iran und China – aber nicht für die Türkei, Saudi-Arabien, Marokko oder Mexiko. Mit einem zweiwöchigen Zwischenstopp in einem dieser Länder können Europäer das Einreiseverbot umgehen.

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