Selenskyj im PorträtDer Präsident braucht „Munition, keine Mitfahrgelegenheit“

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Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine.

Die Hauptstadt der Ukraine hatte eine Nacht mit krachendem Bombenbeschuss hinter sich. Doch am Sonnabendmorgen wagte sich Präsident Wolodymyr Selenskyj auf die Straße. Er schlug zurück, auf seine Art: mit einem 40 Sekunden langen Video. Der erste Satz, den er in die Handykamera spricht, besteht nur aus drei Wörtern. Aber schon die hatten es in sich. „Ich bin hier“, sagt der 44-Jährige.

Selenskyjs Sprache ist ruhig und klar. „Wir werden die Waffen nicht niederlegen“, sagt er. „Wir werden unseren Staat verteidigen.“ Eigentlich sollte Selenskyj längst von der Bildfläche verschwunden sein. So jedenfalls hatte es sich Russlands Präsident Wladimir Putin vorgestellt. Selenskyj zu beseitigen ist das wichtigste Ziel der russischen Militärmaschinerie. Wenn noch mehr Tage vergehen ohne ein sichtbares Zeichen des gewaltsamen Umsturzes, könnten auf russischer Seite Zweifel wachsen an der Weisheit des eigenen Vorgehens.

Ukrainische Regierung für Putin „Drogenabhängige und Neonazis“

In seiner jüngsten Wutrede bezeichnete Putin die ukrainische Regierung als „eine Bande von Drogenabhängigen und Neonazis“. In Wirklichkeit liegt Selenskyj quer zu allen Klischees, die die Kreml-Propaganda verbreitet. Antirussisch soll er sein? Selenskyj ist im russischsprachigen Süden der Ukraine aufgewachsen und hat Ukrainisch erst als zweite Sprache gelernt. Allen Russen schickte er am Abend vor dem von Putin befohlenen Einmarsch eine berührende Botschaft, in der er zum Frieden zwischen den viel zitierten Brudervölkern aufruft.

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Ein Neonazi? Eine böse, orwellianische Verdrehung. Selenskyj kommt aus einer jüdischen Familie aus dem Süden der Ukraine, der Vater war Kybernetikprofessor, die Mutter Ingenieurin. Selenskyi studierte Jura in Kiew, fand dann aber mehr Gefallen an Satire als am Rechtswesen, jahrelang ging er als Komiker auf Tournee.

Selenskyj beweist Dickfelligkeit und Nervenstärke

Als 190 000 russische Soldaten rund um die Grenzen der Ukraine versammelt waren, verstanden die Westeuropäer Selenskyjs Dickfelligkeit nicht und seine Appelle an seine Landsleute, Ruhe zu bewahren. Dabei lag der Mann aus Kiew erneut richtig: Er vermied eine gefährliche Panik in einer Phase, in der andere Länder längst die Nerven verloren hätten.

Wegen der zunehmenden Gefahr in Kiew, nicht zuletzt für Selenskyj persönlich, haben US-Geheimdienste den ukrainischen Präsidenten gefragt, ob sie ihn in Sicherheit bringen sollen. Selenskyj lehnte nach einem Bericht von Associated Press das Angebot ab mit den Worten: „Ich brauche Munition für Panzerabwehrwaffen, keine Mitfahrgelegenheit.“

Niemand weiß, wie lange Kiew noch Strom hat und mobile Netze. Diese ersten Kriegstage aber haben aus der Handykamera in Selenskyjs Hand eine Wunderwaffe gemacht, mit globaler Reichweite. (RND)

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