Vierte Impfung für alleWürde uns das durch die Corona-Sommerwelle retten?

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Corona Impfung dpa 230622

Ein Arzt bereitet in einer Impfstation eine Spritze für eine Impfung gegen das Coronavirus vor (Archivbild)

Berlin/Köln – Die Corona-BA.5-Welle ist im Alltag angekommen – und macht Sommerpläne zunichte. Würde es helfen, sich jetzt die vierte Impfdosis abzuholen? Die Stiko empfiehlt die Auffrischimpfung zwar vorwiegend den Älteren. Ein gewisser Spielraum bleibe aber, macht der Deutsche Hausärzteverband deutlich. Wer entscheidet am Ende? Corona ist offensichtlich nicht vorbei. Jeder kennt gerade jemanden, der oder die sich mit dem Virus angesteckt hat. Würde die vierte Impfung für alle uns vor der Sommerwelle bewahren? Ein Überblick.

Selbst Sandra Maischberger läutet die Sommerpause ihrer ARD-Talkshow früher ein als geplant: Die Moderatorin fällt coronabedingt aus. Und auch vor dem Booster macht der Erreger nicht Halt. Dann stehen auch noch die Sommerferien an. Fachleute raten dazu, vor der großen Reise lieber Maske zu tragen und vorsichtiger durch den Alltag zu gehen. „Niemand will drei Tage vor dem Abflug coronapositiv sein“, sagte dem RND etwa der Immunologe Carsten Watzl. „Es macht also Sinn, zwei Wochen vor Reisebeginn die eigenen Kontakte zu begrenzen und größere Veranstaltungen zu meiden.“

Aber gäbe es nicht einen einfacheren Weg? Könnte man jetzt schon den Schutz vor dem Virus per vierter Impfdosis erhöhen? Um besser durch diesen Sommer zu kommen, das Ansteckungsrisiko möglichst zu minimieren? Um nicht krankheitsbedingt auszufallen, in Isolation zu müssen, womöglich an Long Covid zu erkranken? Schließlich haben zahlreiche Studien gezeigt, dass relevante Antikörper im Blut zwar spätestens drei Monate nach der letzten Boosterdosis wieder abnehmen, aber mit einer weiteren Auffrischdosis der bereits zugelassenen Impfstoffe wieder erhöht werden können. Auch bei Omikron.

Braucht es wirklich eine vierte Impfdosis für alle?

Nach allem, was man über die bisherigen Impfstoffe weiß, wäre der Effekt aber erneut nur von kurzer Dauer. Spätestens im Herbst wäre der Schutz vor Ansteckung erneut stark gesunken. Die bisherige Empfehlung der Ständigen Impfkommission (Stiko) sieht so eine Sommerstrategie zudem nicht vor. Eine vierte Dosis für alle ist im Land vorerst nicht vorgesehen. Auch Bund und Länder planen mit einer größer angelegten Impfkampagne erst für den Herbst, wenn womöglich besser an Omikron angepasste Impfstoffe zugelassen werden könnten.

Es gibt nur eine Ausnahme: Die Ständige Impfkommission (Stiko) empfiehlt den zweiten Booster seit Mitte Februar explizit nur den über 70-Jährigen und Menschen mit einer Immunschwäche – mit einem der bereits zugelassenen mRNA-Impfstoffe, also Biontech oder Moderna, und frühestens drei Monate nach der letzten verabreichten Dosis. Auch Beschäftigte in Pflegeheimen und medizinisches Personal sollten sich ein viertes Mal impfen lassen, frühestens aber sechs Monate nach der dritten Dosis.

Impfungen sollen helfen, das Schlimmste zu vermeiden

Und der Rest? Wer immungesund ist und unter 70, braucht die Auffrischung nach Auffassung von Experten und Expertinnen vorerst nicht. Das hat auch mit dem Impfziel zu tun, wie die Stiko selbst festhält: „Schwere Verläufe, Hospitalisierungen und Tod sowie Langzeitfolgen durch Covid-19 in der Bevölkerung Deutschlands so weit wie möglich zu reduzieren“. Die Impfungen sollen also zuallererst dabei helfen, das Schlimmste zu vermeiden, nicht unbedingt aber alle Ansteckungen sowie milde bis moderate Verläufe.

Über 70-Jährige und Menschen mit Immunschwäche haben zwar nach drei Corona-Impfungen ein geringeres Risiko als ganz ohne Impfung, schwer zu erkranken. Es ist aber in vielen Fällen immer noch relativ hoch, vor allem, wenn die letzte Impfung schon Monate zurückliegt.

Bei immungesunden jüngeren Menschen sieht das in der Regel anders aus. Auch ihr Risiko einer Ansteckung steigt, je länger die letzte Impfung zurückliegt, weil relevante Antikörper schwinden. Aber ihr Risiko für einen schweren Verlauf bleibt längerfristig gering, wenn sie dreifach geimpft sind, weil auch andere Bereiche des Immunsystems vor Covid-19 schützen. So die bisherige Erkenntnis von Immunologen und Immunologinnen, in Bezug auf bisherige Virusvarianten.

Auch bei der neuen Omikron-Linie BA.5 bleibt das so. Die Dreifachimpfung habe aufgrund ihrer „hohen Schutzwirkung vor einem schweren Verlauf“ auch bei Erkrankungen durch die Omikron-Variante nicht an Bedeutung verloren, betont das Robert Koch-Institut (RKI) in seinem Wochenbericht.

Corona-Impfung: Der abweichende Rat der Politik

Auch angesichts rasant zunehmender Ansteckungen weicht die Stiko von ihrem Kurs vorerst nicht ab, wie der Vorsitzende Thomas Mertens Ende Juni deutlich machte. Hinter einer allgemeinen Empfehlung zu einer weiteren Auffrischimpfung müsse – wie bei jeder medizinischen Maßnahme – eine begründete medizinische Indikation stehen. Die Annahme „Viel hilft viel“ könne hierbei nicht der Leitsatz sein. Es fehlten auch ausreichend belastbare Daten, um eine Auffrischung für alle mit den bisherigen Impfstoffen zu begründen. Der Fokus solle jetzt auf den stark Gefährdeten liegen, gerade auch, weil sich bisher deutlich zu wenige von ihnen zu einer vierten Impfung entschlossen haben, teilte dem RND auf Anfrage auch der Deutsche Hausärzteverband mit.

Widersprüchliche Signale kommen da aus der Politik. Olaf Scholz (SPD) rief Anfang Juli beispielsweise – entgegen der Stiko-Empfehlung – alle Menschen ab 60 Jahren zu einer vierten Impfung gegen Corona auf. Der 64-Jährige verriet, dass er selbst auch zu den 7 Prozent der Menschen in Deutschland zählt, die eine zweite Auffrischungsimpfung nach den beiden Impfungen für die Grundimmunisierung erhalten haben. Es wäre eine „gute Sache“, wenn alle Menschen über 60 das auch tun würden, „weil das hilft“, so der Bundeskanzler. In der Tat gibt es große Impflücken: Erst rund 20 Prozent der Älteren haben sich ihren zweiten Booster bisher abgeholt, wie aus RKI-Daten hervorgeht.

Hausärzte impfen nicht streng erst ab 70 Jahren

Aber impfen Hausärzte und Hausärztinnen überhaupt, wenn die Stiko eine vierte Impfung erst ab 70 Jahren empfiehlt? Da gibt es offensichtlich Spielraum. Die Stiko-Empfehlung ist dem Deutschen Hausärzteverband zufolge zwar ein Rahmen, aber nicht in Stein gemeißelt. „Die Impfung ist am Ende des Tages eine Entscheidung zwischen Patient und Arzt“, sagte dem RND ein Sprecher. „Dabei muss immer die individuelle Situation des einzelnen Patienten betrachtet werden.“

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Das heißt: Ob jemand 69 oder 70 sei, werde nicht die alles entscheidende Frage sein. Ein Mitte 60-Jähriger mit Vorerkrankungen könne unter Umständen gefährdeter sein als ein 70-Jähriger, der topfit ist. Daher sei es wichtig, dass sich die Patientinnen und Patienten an jemanden wenden, der sie und ihre Krankheitsgeschichte kennt. „Wer Fragen hat oder unsicher ist, sollte sich an seine Hausärztin oder seinen Hausarzt wenden“, empfiehlt der Verband und betont, dass Millionen von Menschen zudem noch erste Impfungen fehlen. „Wir brauchen daher eine positive Impfkampagne – nicht nur für die vierte Impfung, sondern auch um die Impflücken bei der ersten und der dritten Impfung zu schließen“, so der Sprecher.

Auch die Impfzentren lassen nach ärztlicher Abklärung einen gewissen Spielraum zu – was sich aber von Bundesland zu Bundesland unterscheidet. „Für wen eine vierte Impfung infrage kommt, ist immer eine ärztliche Entscheidung und kann durch das Land nicht vorgegeben werden“, heißt es etwa auf der Homepage der niedersächsischen Landesregierung. Die meisten Expertinnen und Experten seien sich aber einig, dass eine zweite Auffrischungsimpfung für alle, die von der Stiko-Empfehlung nicht eingeschlossen sind, „derzeit nicht notwendig ist“. Anders etwa in Bremen. „Ab sofort“ sei allen volljährigen Personen auch ohne explizite Empfehlung der Zugang zu einer zweiten Auffrischimpfung sechs Monate nach der ersten Auffrischimpfung möglich.

Was also tun, wenn man als jüngerer Mensch trotz fehlender Empfehlung eine vierte Impfdosis haben möchte, um gut geschützt durch den Sommer zu kommen? Im Zweifel lohnt ein Anruf oder Ansurfen der Homepage beim Hausarzt, der Hausärztin, Impfzentrum- oder Station. Und im ärztlichen Gespräch kann man dann die eigenen Möglichkeiten ausloten.

So viel ist sicher: Das Immunsystem wird mit einem erneuten Booster nicht übersättigt. „Mit der vierten Dosis wird der Schutz vor Infektion und Erkrankung wiederhergestellt, den man nach der dritten Dosis hatte“, erklärt Immunologe Watzl. Gleichzeitig ist klar: Eine zweite Auffrischung bietet nur einen temporären Effekt, gerade, was den Schutz vor Ansteckung betrifft.

Viele, vor allem mit Risikofaktoren, würden sich wahrscheinlich ein fünftes Mal impfen lassen müssen. „Das schadet immunologisch gesehen aber nicht“, betont der Experte. Man riskiere mit einer vierten Impfung nichts für den Herbst – sollte dann ein neuer, wirksamer Impfstoff kommen.

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