Streit der WocheSollte Prostitution auch nach der Corona-Krise verboten werden?

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Prostitution Symbol

Sollte Prostitution auch nach der Corona-Krise verboten werden?

  • Seit Einführung der Corona-Maßnahmen ist die Prostitution in Deutschland verboten.
  • Nun gibt es Stimmen, die auch nach der Krise ein Verbot der Sexarbeit fordern. Unsere Redakteurinnen haben darüber diskutiert.
  • Nadja Lissok, Redakteurin für „wir helfen“ und im NRW-Ressort, fordert ein Verbot der Prostitution. Sie sagt: „Prostitution ist ein Verbrechen an Frauen, die keine Lobby haben.“
  • Tanja Wessendorf, Redakteurin im Ressort Freizeit und Ratgeber, findet, dass es Frauen erlaubt sein sollte, diesem Beruf freiwillig nachzugehen. Sie sagt: „Ein Verbot macht die Situation der Frauen nur noch schlechter.“

In Deutschland ist die Prostitution seit Einführung der Corona-Maßnahmen verboten – sollte das auch für die Zeit danach festgeschrieben werden? Unsere Redakteurinnen Nadja Lissok und Tanja Wessendorf diskutieren darüber.

Pro: Prostitution ist ein Verbrechen an Frauen, die keine Lobby haben

Von Nadja Lissok

Der deutsche Markt mit käuflichem Sex bietet für Kriminelle ideale Bedingungen. Die Nachfrage ist hoch, weil Geschlechtsverkehr gegen Geld legal ist und im Land relativer Wohlstand herrscht. Täglich gehen rund 1,2 Millionen Männer hierzulande zu Prostituierten. Auf der anderen Seite steht das Angebot junger Frauen, die sich aus der Armut durch falsche Versprechen in den Sehnsuchtsstaat Deutschland locken lassen. Das macht uns zum Marktführer. Wir sind das Bordell Europas. Vor Corona bei Sex-Touristen aus der ganzen Welt beliebt.

Alles zum Thema Karl Lauterbach

Weil Deutschland ein sehr liberales Prostitutionsgesetz hat. 2002 initiiert, um die Arbeitsbedingungen in der Branche zu verbessern. Krankenkasse, Urlaubsanspruch und Steuererklärung – seit gut 20 Jahren auch für Sexarbeiterinnen. Also für manche. Die Lobbyverbände, die das Gesetz mitgeschrieben haben, vertreten nur einen kleinen Teil der Frauen, die in Deutschland mit Sex Geld verdienen. Der Bundesverband Sexuelle Dienstleistungen hat etwa 50 Mitglieder. Auf die trifft sicher zu, was Sprecherinnen behaupten: Diese Prostituierten sind selbstbestimmte Frauen, die Spaß an Sex haben – und damit freiwillig ihren Lebensunterhalt verdienen.

Eindeutig die Ausnahme. Neun von zehn Prostituierten werden gezwungen, sagen Kriminologen. Von – konservativ geschätzt – 400 .00 Sexarbeiterinnen in Deutschland sind gerade einmal 35.000 amtlich registriert. Studien zeigen: Der Menschenhandel floriert besonders dort, wo Prostitution erlaubt ist. Angebot und Nachfrage eben. Die Zahlen steigen in Deutschland laut Polizeistatistiken seit Jahren. Die Opfer sind nahezu alle weiblich, aus dem Ausland. Durchschnittsalter: 23.

In Schweden hingegen ist der Kauf von Sex für Freier seit über 20 Jahren strafbar. Nach dem „nordischen Modell“ werden die Kunden bestraft, die Prostituierten bleiben unbehelligt. Die Straßenprostitution ist seitdem um die Hälfte zurückgegangen, Schweden verzeichnet deutlich weniger Fälle von Menschenhandel als vergleichbare Länder. Das Gesetz hat auch den gesellschaftlichen Blick gewandelt. Zu Beginn waren 70 Prozent dagegen, heute sind 70 bis 80 Prozent der Schweden dafür.

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Weg vom „ältesten Gewerbe der Welt“, das es immer gab und immer geben wird. Hin zur Realität. Nämlich einem System, in dem Menschen missbraucht und gequält werden. Traumaforscher vergleichen die psychischen Schäden von Prostituierten mit denen von Soldaten und Folteropfern. Die Lebenserwartung ist deutlich geringer als die durchschnittlicher Frauen, das Risiko ermordet zu werden 18-mal höher. Der Beruf ist lebensgefährlich, oft wird die Angst mit Drogen und Alkohol betäubt.

In Deutschland sollte die Legalisierung die Prostituierten von ihrem Stigma befreien. Ist das gelungen? Natürlich nicht. Jeder Mensch hat das Recht auf Sexualität, aber es gibt kein Recht auf Sex mit einem anderen Menschen. Auch nicht für Männer. Ein gesetzliches Verbot wird den Sexkauf zwar nicht beenden. Aber es kennzeichnet ihn endlich als das, was er in den allermeisten Fälle ist: ein Verbrechen an Frauen, die keine Lobby haben. Jede von ihnen ist eine zu viel.

Contra: Ein Verbot macht die Situation der Frauen nur noch schlechter

Von Tanja Wessendorf

Seit dem Corona-Lockdown am 16. März sind in Deutschland alle Bordelle geschlossen. Eine gute Sache, finden nun einige und überlegen laut, ob man nicht die Gelegenheit nutzen sollte, Prostitution komplett zu verbieten. Vor kurzem haben sich 16 Bundestagsabgeordnete – darunter der SPD-Mann Karl Lauterbach – dafür ausgesprochen, den Stopp bei der Prostitution beizubehalten und in Deutschland ein generelles Sexkaufverbot einzuführen. Ich halte diesen Ansatz für falsch.

Um Missverständnissen vorzubeugen, sage ich direkt: Natürlich ist es eine Schande und nicht hinnehmbar, wie sehr manche Frauen in dieser Branche ausgebeutet werden. Karl Lauterbach hat recht, wenn er sagt, dass die Arbeit mancher Prostituierten menschenunwürdig, zerstörerisch und frauenfeindlich ist. Doch es gibt auch Frauen, die den Beruf der Hure freiwillig ausüben. Ebenfalls gibt es Bordelle, in denen diese Frauen sicher arbeiten können. Was ist mit diesen Sex-Arbeiterinnen, die seit mehr als drei Monaten auf ihre Einnahmen verzichten müssen und nun in Aussicht gestellt bekommen, womöglich nie mehr arbeiten zu dürfen?

Der Bundesverband Sexuelle Dienstleistungen fordert, die Bordelle wieder zu öffnen, ein Verbot der Prostitution sei durch nichts zu rechtfertigen. Man habe, wie andere Branchen auch, dazu ein entsprechendes Hygienekonzept erarbeitet und der Politik vorgelegt, heißt es in einem offenen Brief an die 16 Abgeordneten, die das Sexkaufverbot fordern.

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Dabei funktioniert die Methode: „Wir verbieten es einfach, dann ist das Problem nicht mehr da“, nicht. Dazu muss man nur auf die Zeit der Prohibition von 1920 bis 1933 in den USA schauen, als es im ganzen Land verboten war, Alkohol zu verkaufen oder zu transportieren. Genutzt hat das gar nichts, im Gegenteil: Weil zu wenig ordentlich gebrannter Alkohol zur Verfügung stand, griffen die Menschen auf Selbstgebrautes oder Schmuggelware zurück, es gab schätzungsweise 10.000 Todesfälle durch Vergiftung. Auch das eigentliche Ziel der Prohibition, das Senken der Kriminalitätsrate, wurde nicht erreicht.

Natürlich kann man den Kampf gegen den Alkohol nicht mit der sexuellen Ausbeutung von Frauen vergleichen. Aber das Prinzip ist das gleiche: Ein Verbot wird nichts bringen. Im schlimmsten Fall erreicht man eher das Gegenteil damit, und die Situation der Frauen wird noch schlechter.

Nehmen wir an, Prostitution wäre verboten. Die Sexarbeiterinnen verlören ihren Job und verdienten kein Geld mehr. Weil viele keine Ausbildung haben und auf die Einnahmen angewiesen sind, würden sie ihren Körper trotzdem verkaufen. Nun aber nicht mehr in einem geschützten Bereich, sondern sich selbst überlassen auf der Straße. Anonym, ohne Schutz, ohne Krankenversicherung. Soll das etwa besser sein?

Statt eines Verbotes sollte man jetzt die Zeit nutzen, die Umstände für Sexarbeiterinnen zu verbessern, damit sie ihren Beruf wie jeden anderen ausüben können. Denn machen wir uns nichts vor: Die Nachfrage nach käuflichem Sex wird es immer geben. Nicht ohne Grund ist es das älteste Gewerbe der Welt. Der Handel Sex gegen Geld wird sich nicht verbieten lassen, aber er muss in vernünftige Bahnen gelenkt werden

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