Putins DesinformationskriegMoskau „demütigt“ Scholz – und spricht von weiteren Leaks

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Wladimir Putin überreicht der „Rossiya Segodnya“- und „RT“-Chefredakteurin Margarita Simonjan Blumen. (Archivbild)

Wladimir Putin überreicht der „Rossiya Segodnya“- und „RT“-Chefredakteurin Margarita Simonjan Blumen. (Archivbild)

Während AfD und BSW nach dem Luftwaffen-Leak Putins Narrativ übernehmen, droht Moskau mit neuen Störfeuern – und der Druck auf Scholz wächst.

Die russische Propagandistin Margarita Simonjan verfügt nach eigenen Angaben derzeit nicht über weitere Mitschnitte von abgehörten Gesprächen deutscher Offiziere. Simonjan erklärte sich jedoch bereit, weiteres Material zu veröffentlichen, sobald es ihr zur Verfügung gestellt werde. Derzeit sei bei ihrer Quelle jedoch „nicht mehr zu erfahren“, führte die kremltreue RT-Journalistin in ihrem Telegram-Kanal aus. „Wenn sie mir mehr geben, werde ich mehr veröffentlichen – warten Sie es ab“, hieß es weiter. In Deutschland wächst nach dem Leak bei der Bundeswehr unterdessen innenpolitisch der Druck auf Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD).

Simonjan hatte am Freitag einen Mitschnitt eines Gesprächs deutscher Bundeswehroffiziere veröffentlicht, in dem über Einsatzmöglichkeiten deutscher Marschflugkörper im Ukraine-Krieg gesprochen wurde. Auch ob mit Taurus die strategisch wichtige Krimbrücke angegriffen werden könnte, wurde von den Offizieren besprochen. Das deutsche Verteidigungsministerium hat die Echtheit der Aufnahmen mittlerweile eingeräumt, der Militärische Abschirmdienst (MAD) ermittelt.

Bundeswehr-Leak: Pistorius warnt vor Putins „Informationskrieg“

Verteidigungsminister Boris Pistorius äußerte sich am Sonntag erstmals zu dem von Russland abgehörten Gespräch. „Es ist Teil eines Informationskriegs, den Putin führt“, sagte der SPD-Politiker in Berlin. „Es geht um Spaltung. Es geht darum, unsere Geschlossenheit zu untergraben. Und dementsprechend sollten wir besonders besonnen darauf reagieren, aber nicht weniger entschlossen.“

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Es gehe jetzt auch darum, „Putin nicht auf den Leim zu gehen“, betonte Pistorius. Dem Kreml gehe es darum, „unsere Innenpolitik auseinanderzutreiben“, erklärte Pistorius. Er hoffe sehr, dass Putin dies nicht gelinge, fügte der SPD-Politiker an. Erkenntnisse über weitere Leaks lägen derzeit nicht vor, versicherte Pistorius. Die Ergebnisse der internen Prüfung des Vorgangs würden in den ersten Tagen der neuen Woche erwartet, erklärte der Minister – dabei gehe unter anderem darum, ob die richtige Plattform für die in dem Gespräch besprochenen Inhalte gewählt wurde.

„Ich finde, die Offiziere haben das getan, wofür sie da sind“

Pistorius verteidigte unterdessen den Inhalt des Gesprächs. „Ich finde, die Offiziere haben das getan, wofür sie da sind. Sie haben sich Gedanken gemacht über verschiedene Szenarien, ohne in irgendwelcher Weise irgendetwas zu planen“, stellte Pistorius klar. Sie hätten in ihren Gesprächen auch keinen Zweifel daran gelassen, dass es weder von Pistorius, noch von Kanzler Olaf Scholz grünes Licht zu einem Taurus-Einsatz gibt.

Das aufgezeichnete Gespräch soll Berichten zufolge bereits Mitte Februar stattgefunden haben. Scholz hatte sich erst in der letzten Woche erneut öffentlich gegen eine Lieferung des Taurus an die Ukraine ausgesprochen – und war dafür auch in den Reihen der eigenen Regierungskoalition in die Kritik geraten. Kurz darauf wurde der Mitschnitt öffentlich.

Putin will Scholz „maximal schaden und ihn demütigen“

Der Zeitpunkt der Veröffentlichung wird nicht nur von Pistorius als russisches Manöver innerhalb eines „Informationskrieges“ gegen Deutschland gewertet. Das Leak zeige, „dass Russland sämtliche diplomatische Brücken zu einer demokratischen Regierung in Deutschland abbrechen will“, erklärte der Historiker und Russland-Experte Matthäus Wehowski bei X (vormals Twitter).

Das Ziel Moskaus sei dabei, Scholz „maximal zu schaden und ihn zu demütigen“. Der Kreml wolle in Deutschland einen „Systemwechsel“ zu einer „autokratisch-nationalistischen Regierung“ herbeiführen, so Wehowski. Diese könne etwa aus AfD und BSW zusammengesetzt sein.

AfD und BSW übernehmen „absurdes Märchen“ des Kremls

Russische Desinformationskampagnen hätten bereits „seit Jahren und auf allen Felder“ das von Pistorius benannte Ziel, die deutsche „Innenpolitik auseinanderzutreiben“, erklärte auch Sicherheitsexperte Carlo Masala bei X. „Viel zu viele Leute“ würden „willig darauf anspringen“, führte der Politikwissenschaftler aus – sowohl „unbeabsichtigt“ als auch „absichtlich“.

„Es war mit Sicherheit abgestimmt und choreografiert und soll das Märchen, soll die Legende verstärken, wir würden an einem Krieg gegen Russland arbeiten, was völlig absurd ist“, warnte auch Pistorius – und könnte dabei auch vorherige Wortmeldungen aus den Reihen der Opposition gemeint haben.

Höcke klingt wie Medwedew: „Vorbereitung eines Angriffskrieges“

So hatte der faschistische AfD-Politiker Björn Höcke am Wochenende den geleakten Gesprächsinhalt als Verstoß gegen das Verbot zur „Vorbereitung eines Angriffskrieges“ bezeichnet. Linken-Politiker Dietmar Bartsch hatte von „Planspielen“ gesprochen, die „strafbewehrt“ seien, und BSW-Politikerin Sevim Dağdelen von „Angriffsplanungen führender Bundeswehroffiziere“, die mit dem Grundgesetz „nicht vereinbar“ seien.

Auch aus Moskau kamen am Sonntag derartige Töne: „Deutschland bereitet sich auf einen Krieg mit Russland vor“, erklärte Ex-Präsident Dmitri Medwedew. Berlin versuche nun mit „böswilligen Lügen“ die Gesprächsinhalte zu „beschönigen, um die Empörung der Öffentlichkeit über das Gerede der Luftwaffenoffiziere zu mildern“, behauptete der enge Vertraute von Kremlchef Putin bei Telegram.

Das nächste Kapitel des russischen Desinformationsdrehbuchs

Der jetzige Vizechef des russischen Sicherheitsrats ging sogar noch weiter – und unterstellte der Bundeswehr, Kanzler Scholz verschwörerisch in eine Kriegsbeteiligung hinein tricksen zu wollen. Die Geschichte kenne „viele Beispiele, in denen Militärs dazu in der Lage waren“, orakelte Medwedew, der Deutschland nach dem Leak bereits zum „erneuten Erzfeind Russlands“ erklärt hatte. Das nächste Kapitel des russischen Desinformationsdrehbuchs scheint also bereits offenkundig zu sein.

Während lediglich AfD, BSW und Linke das russische Narrativ der Kriegsvorbereitung übernahmen, erhöhte nicht nur die CDU in anderen Fragen den Druck auf Kanzler Scholz. Das Leak „widerspricht Aussagen des Kanzlers“, kritisiert Norbert Röttgen am Sonntag. „Es muss klargestellt werden, ob das, was die Offiziere in dem Gespräch zu Einsatzmöglichkeiten von Taurus ohne deutsche Soldaten festgestellt haben, zutrifft“, forderte der CDU-Politiker Aufklärung von der Bundesregierung.

Leak beflügelt Taurus-Debatte: Ungemütliche Zeiten für den Kanzler

Tatsächlich hatte Scholz seine Ablehnung einer Taurus-Lieferung in der vergangenen Woche damit begründet, dass der Einsatz deutscher Soldaten für Angriffe mit dem Marschflugkörper notwendig sei. Die Beteiligung deutscher Soldaten an ukrainischen Angriffen würde Deutschland jedoch zur Kriegspartei machen, daher komme eine Lieferung der Marschflugkörper nicht infrage. Das abgehörte Gespräch der Luftwaffenoffiziere legt hingegen nahe, dass Taurus auch ohne deutsche Beteiligung eingesetzt werden könnte.

Die für Scholz ungemütliche Debatte um Taurus dürfte nach dem Leak nicht aufhören. „Für mich bleibt es dabei. Eine Lieferung der Taurus an die Ukraine wäre richtig“, erklärte am Sonntag auch die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grüne Agnieszka Brugger dem ZDF. Die Lieferung sei „absolut möglich, ohne Kriegspartei zu werden“, erklärte die Grünen-Politikerin – und widersprach damit der Darstellung des Kanzlers.

Putins Plan geht auf – Simonjan verspottet Scholz

Der von Pistorius vermutete Plan Russlands, für Unruhe in Deutschland zu sorgen, scheint also vorerst aufzugehen – so oder so. Unklar bleibt zu Wochenbeginn unterdessen, wie das Gespräch der Bundeswehroffiziere von Russland abgehört werden konnte.

Laut Roderich Kiesewetter gibt es Hinweise, dass Moskau in den Besitz der Zugangsdaten der Telefonkonferenz gekommen sei – und dann schlichtweg unbemerkt von den Offizieren daran teilgenommen habe. Eine konkrete Quelle für diese Angaben nannte der CDU-Politiker in der ARD am Sonntag allerdings nicht.

Für die beginnende Spurensuche in Deutschland hatte man in Moskau derweil am Wochenende nur Hohn übrig. „Kontaktieren Sie uns, wir helfen Ihnen, es herauszufinden“, spottete Propagandistin Simonjan über Scholz‘ Forderung, den Abhörskandal bei der Bundeswehr zügig aufzuklären.

Dass man in Moskau plant, auch in den kommenden Tagen für Wirbel in Deutschland zu sorgen, unterstrich der Kreml prompt noch einmal am Montagmorgen – und bestellte laut der Staatsagentur Ria angeblich den deutschen Botschafter ein. Wenig später widersprach das Auswärtige Amt dieser Meldung aus Russland allerdings. Botschafter Alexander Graf Lambsdorff sei nicht einbestellt worden, hieß es. (mit dpa)

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