Wieder rechtsextreme Chats bei der PolizeiAcht SEK-Beamte aus Münster suspendiert

Lesezeit 4 Minuten
Razzia Essen Polizei

Polizeiwache in Essen: In vielen NRW-Behörden wurden rechtsextreme Chatgruppen bekannt.

Münster – Die Polizei NRW wird erneut von einem Rechtsextremismus-Skandal erschüttert. Im Mittelpunkt stehen derzeit 20 SEK-Beamte des Polizeipräsidiums Münster. Sie sollen in einem Chat rechtsextremistische, fremdenfeindliche, gewaltverherrlichende und pornografische Inhalte geteilt haben. Das gab die Polizei Münster bei einer Pressekonferenz am Freitagvormittag bekannt. Gegen acht von ihnen sind demnach strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet worden, sie wurden am Freitagmorgen zusammengetrommelt.

Es habe eine Ansprache gegeben, anschließend seien sie vom Dienst suspendiert worden. Einer von ihnen arbeite inzwischen bei einer anderen Dienststelle. Auch gegen die übrigen zwölf Beamten werde weiter ermittelt.

Tausende Nachrichten, Bilder und Videos

Die acht Tatverdächtigen sind zwischen 39 und 56 Jahre alt. Die Auswertung mehrerer Handys hatte nach Angaben der Polizei mehrere Tausend Nachrichten, Bilder und Videos aus dem Zeitraum 2013 bis 2018 zutage befördert. „Wir haben ein Ergebnis, das uns alle erschüttert und das uns auch über alle Ebenen hinweg wütend macht“, sagte Polizeipräsidentin Alexandra Dorndorf, die erst seit Mai im Amt ist. Es sei ihr schleierhaft, warum keiner der Beamten den Mut gehabt habe, sich zu offenbaren.

Alles zum Thema Herbert Reul

Auf den Chat waren die Ermittler durch ein anderes Verfahren gestoßen, das bereits seit vergangenem November läuft. Dabei geht es um einen 38 Jahren alten SEK-Beamten ebenfalls aus Münster. Auch er steht unter Rechtsextremismus-Verdacht. Bei ihm wurden drei Handys beschlagnahmt, die die Polizei nun auf die neue Spur brachten. Allerdings wurde bislang offenbar erst eines dieser Mobiltelefone vollständig ausgewertet. In diesem fand sich der besagte Chatverlauf, der 2018 endet. Danach habe der Beamte das Handy gewechselt. Die darauf befindlichen Daten müssten noch genau ausgewertet werden, hieß es.

Gegen Kollegen läuft internes Disziplinarverfahren

Schon jetzt aber sei klar, dass der Chat bis mindestens 2021 fortgesetzt worden sei. Angeblich aber, sagte Polizeipräsidentin Dorndorf, sei die Kommunikation hinsichtlich des Teilens strafrechtlich relevanter Inhalte abgeebbt. Die staatsanwaltlichen Ermittlungen gegen den Beamten seien im April eingestellt worden. Gegen ihn laufe aber weiterhin ein internes Disziplinarverfahren. Auch er wurde des Dienstes enthoben.

Der neue Vorfall reiht sich ein in eine ganze Serie von Skandalen um mutmaßlich rechtsextreme Polizeibeamte in NRW. Im Februar 2020 wurde ein Verwaltungsbeamter des Polizeipräsidiums Hamm wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer rechtsterroristischen Vereinigung in Haft genommen. Wenige Monate später nur war die Polizei in Essen und Mülheim an der Ruhr gleich auf mehrere einschlägige Chat-Gruppen in den eigenen Reihen gestoßen. 

In Communities kursierten Chats mit Hakenkreuzen

In den geschlossenen Communities mit den Namen „Alphateam“ und „Kunta Kinte“ kursierten etwa Posts mit Hakenkreuzen, Hitler-Bildern oder montierte Aufnahmen von Flüchtlingen in einer Gaskammer des Nazi-Regimes. Es wurden Fotos sichergestellt, auf denen Weihnachtskugeln mit SS-Runen und „Sieg Heil“-Schriftzug zu sehen waren. Ein Polizist hatte den „Hitlergruß“ gezeigt und stand dabei auf zwei Streifenwagen. Seit 2017 waren 275 Verdachtsfälle gemeldet worden. Bei 53 davon hatte sich der Verdacht bestätigt.  Sechs Kommissaranwärter waren entlassen worden, es gab zwei Kündigungen und drei Abmahnungen.

Die meisten der Beschuldigten in Essen sind heute wieder im Dienst. Weil die Chatgruppen nicht öffentlich sind, konnten die Beamten nicht wegen Volksverhetzung strafrechtlich belangt werden. 

Innenminister Herbert Reul kündigte als Reaktion auf Anfrage „Null-Toleranz auch nach Innen“ an: „Wer Gewalt verherrlicht, sich rassistisch oder rechtsextremistisch äußert – gegen den ermitteln wir mit aller Konsequenz.“ Schon in der Vergangenheit hatte er betont, eine harte Linie gegen rechtsextreme Polizeibeamte zu fahren. Damals, im September 2020, sprach er von einer „Schande für die Polizei“. Von Einzelfällen könne nicht mehr die Rede sein. Und doch waren ihm die Vorfälle „zu wenig, um von einem strukturellen Problem sprechen zu können“. Eine wissenschaftliche Studie zu Rassismus in der Polizei hatte der Minister abgelehnt.  Um das Problem in den Griff zu bekommen, hatte Reul im Mai 2020 als Ansprechpartner bei der Polizei Extremismusbeauftragte installiert. Im August 2021 legte schließlich die „Stabsstelle Rechtsextremistische Tendenzen in der Polizei NRW“ ihren Abschlussbericht mit 18 Handlungsempfehlungen vor, darunter die Einführung und Entwicklung eines gemeinsamen „Werte- und Verhaltenskodex“ samt Controlling.

Das könnte Sie auch interessieren:

In Münster war die Polizei angeblich auf einem guten Weg. Zumindest, betonte Polizeipräsidentin Dorndorf am Freitag, habe das Projekt „Haltung. Macht. Sinn“, das als Reaktion auf die Vorfälle in Essen ins Leben gerufen wurde, zu einem lebendigen und positiven Diskurs über Verfassungstreue und Wertekanon unter den Polizistinnen und Polizisten geführt. Im Foyer des Präsidiums wurden großformatige Plakate aufgehängt, in den Büros Sticker, Flyer und Postkarten verteilt. Erreicht hat die Kampagne offenbar nicht jeden. 

KStA abonnieren