„Wir lieben Plastik”Wie drei Kölner das Müll-Problem in Afrika lösen wollen

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Drei Kölner Start-up-Unternehmer: Thomas Chiang, Kalie Cheng und Abiye Dagnew vor den Müllzügen der AWB

Drei Kölner Start-up-Unternehmer: Thomas Chiang, Kalie Cheng und Abiye Dagnew vor den Müllzügen der AWB

  • Die Welt verändern statt sie zu verpesten: Das treibt die drei Kölner Kalie Cheng,Thomas Giang und Abiye Dagnew an.
  • Weil ihre Töchter im Agrippabad Schwimmflügel aus Plastik austauschten, lernten sich der Deutsch-Taiwanese Cheng und der Äthiopier Dagnew am Beckenrand kennen und stellten fest: Wir lieben Plastik.
  • Ohne Geld und ohne Ahnung von Unternehmertum haben sie zu dritt jetzt ein ehrgeiziges Projekt gestartet. Ihre Vision: den afrikanischen Kontinent vom Plastikmüll zu befreien – unter anderem im Tausch gegen Kaffee.

Köln – Manchmal muss einer weite Wege gehen, um sich am Ende selbst überflüssig zu machen: Von Köln über Äthiopien nach China. Aber der lange Weg scheint Kalie Cheng leichter zu fallen als der viel kürzere zur Kölner Müllverbrennungsanlage in Niehl.

Schweigend steht er hinter der Scheibe des 30 Meter tiefen AVG-Restmüllbunkers, wo unten ein Greifarm 20 Tonnen Abfall packt, der in die Öfen wandert. Und obwohl die gigantische graue Masse gut sortiert ist, liegt darin immer noch zu viel Plastik, und das, finden Kalie Cheng und seine Freunde Thomas Giang und Abiye Dagnew, das sei sehr schade: „Kunststoffe sind kein Abfall, sondern Wertstoffe“, sagt Kalie. Und für die drei Kölner Start-up-Unternehmer sind sie Grundlage ihres Geschäftsmodells und ihrer Vision von Umweltschutz und Nachhaltigkeit.

Die Müllberge von Addis Abeba: Das Plastik darin könnte für das rohstoffarme Land Äthiopien eine wertvolle Ressource sein.

Die Müllberge von Addis Abeba: Das Plastik darin könnte für das rohstoffarme Land Äthiopien eine wertvolle Ressource sein.

Angefangen hat es auch mit Plastik: mit Malins Schwimmflügeln, die sich der kleine Asaria mal ausleihen wollte. Und so machten sich die beiden Väter am Beckenrand des Agrippa-Bades miteinander bekannt und fanden heraus: „We love plastics.“ Kalie, Deutsch-Taiwanese, ist promovierter Polymer-Chemiker. Abi, gebürtiger Äthiopier, handelt mit Kunststoff verarbeitenden Maschinen. Beide sind fasziniert von Plastik. Beide sind frustriert über den Umgang mit ihm: Kunststoffe im Meer, auf Feldern, Halden, in Deutschland, in Äthiopien, weltweit. Beide bewegt die Frage: „Wie schaffen wir es, dass die Menschen Plastik nicht als Abfall, sondern als wertvolle Ressourcen behandeln?“

Wasserrohre für Äthiopien

„Auch in Äthiopien landet davon zu viel im Müll“, sagt Abi und betrachtet auf dem Monitor des Kölner Müllofens die Flammen im Kessel. „Dabei sind wir ein rohstoffarmes Land und könnten die weggeworfenen Kunststoffe gut gebrauchen. Doch wir können sie nicht recyceln, etwa um dringend benötigte Wasserrohre daraus zu fertigen.“ Das Problem hat System: Äthiopien hat kein Öl, also auch keine eigenen Rohstoffe für die stark wachsende Kunststoffindustrie, alles muss zu horrenden Preisen importiert werden. Hinzu kommt, dass das Land mit Exporten zu wenig Dollar oder Euro einnimmt, um dringend nötige Recycling-Technik aus dem Ausland bezahlen zu können.

Nicht gleich im Agrippa-Bad, aber doch zu Hause am Küchentisch wird in Köln spekuliert: Wenn es gelänge, bestimmte Kunststoffgranulate aus dem deutschen Recycling nach Äthiopien zu exportieren, so Abi, könne er mit relativ geringem Aufwand daraus Wasserrohre machen. Der Polymer-Chemiker Kalie schlägt Granulate vor, die aus Produktionsverschnitten gewonnen werden.

Doch womit könnte Äthiopien die bezahlen? Man bräuchte eine Art devisenlosen Tauschhandel. Kaffee! Wie wäre es mit Kaffee? Das war die Geburtsstunde von „Plastic2Beans“ im Frühjahr 2018 . „Ich hatte immer die Vision, als Chemiker etwas Nachhaltiges zu tun“, erzählt Kalie. „Wenn mich meine Tochter Malin mal fragt, was ich an den »Fridays for Future« gemacht habe, dann möchte ich nicht sagen: Da habe ich gerade mit einer Chemiefabrik die Welt verpestet.“

Kaffee als Bezahlung

Da wären jedoch einige Probleme: Kein Geld. Nie ein Geschäft gegründet. Und keine Ahnung vom Geschäft mit Kaffee. Aber da ist Thomas, Teamkollege vom Beachvolleyball. „Ich liebe Kaffee. Und ich wollte immer etwas machen, das etwas Positives bewirkt.“

Im Juni 2018 ziehen Kalie Cheng und Thomas Giang in ein Büro von Gateway ein, das Gründungscenter der Uni Köln. Ein kleines, aber kostenfreies Büro. Dazu kommt auch ein NRW-Gründungsstipendium. Also auf nach Äthiopien, ins Ursprungsland des Kaffees, auf der Suche nach Fair Trade- und biozertifizierten Kooperativen. Die Männer aus Köln treffen auf Kleinbauern, die den Kaffee nicht auf Plantagen züchten, sondern per Hand im Dschungel pflücken. Thomas ist begeistert: „Ausgewogene Säure und Aromen von Vanille und Kardamom. Nirgendwo sonst liegt der Kaffee in solch natürlicher Diversität vor.“

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Sie gewinnen Mondo Del Café, einen Röster aus Luxemburg, der ökologisch und sozial nachhaltige Geschäftsbeziehungen pflegt. „Die importieren und rösten den Kaffee für uns. Das lohnt sich für die Bauern.“

Kunststoff aus NRW

Nun braucht es nur noch Plastik. Das scheint das geringste Problem. „Nordrhein-Westfalen ist das Zentrum der deutschen Recyclingbranche“, so Kalie Cheng. Da ist Interseroh in Köln-Porz, Herta Görgens in Lohmar, das Duale System Deutschland, die NRW-Kunststoffindustrie, in der Produktionsverschnitte aus PVC anfallen. „Reines Material. Prima für Rohre.“ Recyceltes Plastik war lange Zeit verpönt, heute werben Unternehmen damit, dass ihre Produkte auch aus recyceltem Material bestehen.“

Recyclate sind die Zukunft, sagt Kalie. „Wir müssen eine Kreislaufwirtschaft aufbauen, weil wir sonst unsere natürlichen Ressourcen vergeuden und den Planeten vermüllen.“ Und Plastik sollte nicht verbrannt werden. Das sagt auch Tilo Dumuscheit, Sprecher der Abfallentsorgungs- und Verwertungsgesellschaft Köln. „Wir kriegen das Plastik aber nicht aus dem Restmüll. Das müssen die Konsumenten tun.“

Interesse vom Bund

Die Plastic2Beans-Idee ist überzeugend. Die Deutsche Investitions- und Entwicklungsgesellschaft (DEG) des Bundes ist interessiert. Die Bundesregierung legt gerade ihr Programm „Campact with Africa“ auf, darunter ein Fonds für Darlehen, die Unternehmen zu Investitionen in Afrika ermutigen sollen. Abiye Dagnew sagt: Äthiopien könnte mit überschaubarer Technik seine Rohstoff- und Abfallprobleme lösen. Rund vier Millionen Euro kostet eine Anlage, die Recyclat herstellt, verarbeitet, Know-how und Arbeitsplätze schafft.

Stand der Dinge im Juli 2019: Suche nach Feinschmeckern. Versicherungen, Banken, Läden, Kantinen – plastic2beans bietet hochwertigen Kaffee. „Unser Ziel muss sein, große Mengen zu importieren, denn wir brauchen Geld für die Kunststoff-Recyclate.“ Kalie hat China im Visier. Das alte Teeland entdeckt gerade den Kaffee. „Die Chinesen wollen immer alles in riesigen Mengen. Dazu sind wir noch nicht in der Lage.“

Öko-engagierte Start-ups

Ohemaa Green Housing will Plastikmüll zu feuerresistenten Bausteinen verarbeitet. Aus denen sollen Kleinhäuser für Geringverdiener in Ghana entstehen. Ziel: die Verringerung des globalen Plastikaufkommens und die Lösung des Wohnproblems armer Menschen in Afrika.

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NOMOO stellt Speiseeis aus nachwachsenden, natürlichen Zutaten her, ohne Konservierungsstoffe, Geschmacksverstärker, künstlichen Farbstoffe und in plastikfreier Verpackung. Aus den Erlösen unterstützt NOMOO unter anderem das Jacundá Waldschutzprojekt in Brasilien.

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Es braucht einen langen Atem, den Plastik-Kaffee-Kreislauf zu schließen. Die Vision ist: Gemeinsam mit äthiopischen Unternehmern den Kunststoff, der vor Ort anfällt, auch vor Ort zu recyceln. Damit würde der Recyclat-Transport aus Deutschland wegfallen.

„Wir machen uns selbst überflüssig“, sagt Kalie. Erstmal nur in Äthiopien. Aber viele arme Länder haben ein Plastikmüll-Problem. „Wenn die keinen Kaffee zum Tauschen haben, dann finden wir eben etwas anderes.“

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