Radio-PropagandaGehirnwäsche per Lautsprecher

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Der „Volksempfänger“ - das Sprachrohr des Regimes in jeder Wohnung. (BILD: ARCHIV)

Der „Volksempfänger“ - das Sprachrohr des Regimes in jeder Wohnung. (BILD: ARCHIV)

Berlin, 18. August 1933. Die Funkausstellung wird mit großen Feierlichkeiten eröffnet. Ihr Star ist ein unscheinbarer, etwa 40 Zentimeter hoher dunkler Kasten: der VE 301. Das ist die offizielle Bezeichnung für den „Volksempfänger“, mit dem Joseph Goebbels den Rundfunk und damit die nationalsozialistische Propaganda „in jedes Haus“ bringen will. Die Ziffer 301 ist keine technische Typennummer, sondern eine symbolgeladene Zahl für die Nationalsozialisten. Sie bezieht sich auf den 30. Januar 1933, den Tag der Machtergreifung.

Die Nazis und besonders ihr Propagandaminister Goebbels hatten schon länger die Entwicklung des Rundfunks in Deutschland beobachtet und sahen in ihm ein gutes Instrument, die Bevölkerung an das Regime zu binden. „Der politische Kampf begann im Radio“, erklärt Heribert Wüstenberg vom Radiomuseum Köln. Nach den Wahlen im Mai 1933 betonte Goebbels in einer Rede die Bedeutung des Rundfunks für die Nationalsozialisten: „Der Rundfunk muss der Regierung die fehlenden 48 Prozent zusammentrommeln, und haben wir sie dann, muss der Rundfunk die 100 Prozent halten, muss sie so innerlich durchtränken mit den geistigen Inhalten unserer Zeit, dass niemand mehr ausbrechen kann.“ Hinzu kam, dass sich das Propagandaministerium zum Großteil aus den Einnahmen der Rundfunkgebühren finanzierte. Diese betrugen monatlich zwei Reichsmark. Auch deshalb galt es als Priorität, die Zahl der Rundfunkteilnehmer zu vermehren.

Für Arbeiter zu teuer

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Das Problem bei dem Vorhaben war jedoch, dass die bisher hergestellten Radios zu einem Preis ab 300 Reichsmark zu teuer für das breite Publikum waren, zumal für die Arbeiter, die von den Nationalsozialisten besonders umworben wurden. Deshalb gaben die Nationalsozialisten die Entwicklung eines günstigen Empfängers in Auftrag. Vom 18. August 1933 an wurde der Volksempfänger zu einem Preis ab 76 Reichsmark, je nach Ausführung, angeboten.

Die deutschen Gerätehersteller wurden vertraglich verpflichtet, den günstigen Volksempfänger zu entwickeln und zu bauen. Die ersten 100.000 Geräte wurden tatsächlich alle auf der Berliner Funkausstellung verkauft. Vorausgegangen war eine Kampagne der Nationalsozialisten, die den Volksempfänger anpries und sogar Freifahrten zur Funkausstellung organisierte. Busse brachten ganze NSDAP-Ortsvereine gesammelt auf das Messegelände, und sogar der „Führer“ Adolf Hitler schenkte dem Volksempfänger bei seinem Rundgang besondere Beachtung.

Der vollendeten Inszenierung folgte eine Verkaufswelle bis 1937. Freilich stammten die meisten Käufer aus der Mittelschicht, nicht - wie angestrebt - aus der Arbeiterschaft. „Wir hatten auch nur ein Radio, weil wir eine kinderreiche Familie waren: Es gab mal eine Aktion vom Parteiortsverein, dass Familien mit vielen Kindern ein Radio geschenkt bekamen. Wir hätten uns das nie leisten können“, berichtet Zeitzeuge Edmund Thielen aus Altenahr, heute 83 Jahre alt, der damals noch zur Schule ging.

Unterhaltung als Mantel für NS-Propaganda

Das ausgestrahlte Radioprogramm war zunächst ideologisch aufgeladen. „Das Ganze war immer ein Aufhetzen. Da mussten wir Kinder von der Schule auf den Dorfplatz ziehen, weil es dort in der Nähe ein Radio gab, und uns die Reden anhören“, erinnert sich Thielen. Schnell fiel den Nazi-Rundfunkbeauftragten auf, dass viele Hörer bei zu viel politischer Erziehung lieber abschalteten. Deshalb wurde das Unterhaltungsprogramm ausgebaut. So versuchten „Die drei lustigen Gesellen vom Reichssender Köln mit dem Herrmännchen“ oder der Bauchredner Ludwig Lommel mit „Paul und Pauline aus Runxendorf“ für zufriedene Hörer zu sorgen. Nur so konnte man das Volk am Radio halten und verhindern, dass die Hörer zu ausländischen Sendern abwanderten.

Mit dem ersten Kriegsjahr 1939 wurde das Hören von „Feindsendern“ mit hohen Haftstrafen und sogar mit dem Tod bestraft. Dass der Volksempfänger so gebaut worden sei, dass ein Empfang von ausländischen Sendern unmöglich gewesen wäre, ist eine Legende, die sich bis heute hält. Wahr ist, dass der Empfänger mit seiner Billigbauweise es dem Hörer nicht einfach machte, alle Frequenzen richtig einzustellen. „Der Volksempfänger war nur mit dem technisch Nötigsten ausgerüstet. Die Geräte mussten ja auch alle baugleich sein“, erklärt Heribert Wüstenberg.

Außerdem war die Empfangsqualität im damaligen Reich von vielen Faktoren abhängig - so zum Beispiel von Tag- oder Nachtzeit und den geographischen Gegebenheiten. „Man konnte sehen, wer alles Radio hatte. Ich hatte eine 20 Meter hohe Stange im Garten, daran war die Antenne befestigt. Und dann haben wir mit der Familie ganz nah am Radio gesessen, um was zu hören. Einmal ist unser Lehrer bei uns im Garten rumgeschlichen, um zu lauschen, ob wir Feindsender hören“, weiß Edmund Thielen noch.

Mit dem Ende des Krieges und dem Untergang des Nationalsozialismus war auch die große Zeit des Volksempfängers vorbei. Was blieb, war die Begeisterung für den Rundfunk. Der Volksempfänger hatte die Hörgewohnheiten der Menschen geprägt und Rundfunkgeschichte geschrieben. Als Sammlerstück ist der VE 301 bis heute gefragt.

Dieser Beitrag zu unserer Serie entstand in Kooperation mit dem Historischen Seminar der Universität zu Köln.

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