Wilde VergangenheitDas sind die Lieblingserinnerungen und Bilder unserer Leser
10 min
Elli Moll während der Punk-Ära: Cool und top gestylt für die Londoner Clubs
Copyright: Elli Moll
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Viele Leserinnen und Leser sind unserem Aufruf gefolgt
Sie haben Bilder geschickt und überraschende Geschichten geschrieben
Reisen und Abenteuer gehören zusammen
Aber Spannendes fand auch in Köln und Umgebung statt!
Köln – Wenn unsere Leserinnen und Leser wilde Erinnerungen hervorkramen, geht es oft ums Reisen. Per Anhalter Richtung Nordafrika, mit der Landkarte Kabul im Blick, Freiheit auf einem Segelboot erleben. Wir dürfen mitkommen auf weite Weltreisen und kurze Köln-Touren mit besonderen Begegnungen und Erleuchtungen.
Ab nach London!
Wann immer ich es in damaliger Zeit einrichten konnte, war ich in London – das Herz des Punk; da mein Freund damals in London als Friseur arbeitete, war ich natürlich ganz nah dran am Styling dieser Bewegung: Sicherheitsnadeln, die Kleidungsfetzen zusammenhielten, waren eine meiner ausgesprochenen Lieblingslooks.
Leider fielen bei mir die Irokesenfrisuren recht schnell zusammen - trotz fachmännischer Bearbeitung mit Tonnen von Haarspray. Mein Haar war einfach zu fein, was für ein Ärgernis!
In London gab es damals unzählige Mini-Clubs, vorwiegend in muffigen kalten Kellern. Dort traten Bands auf, deren Namen sich niemand merkte, weil sie wahrscheinlich eh nur einmal zusammen auf die Bühne kamen. Hauptsache laut und schrill, und mit einem Text, den ich meistens nicht verstand. Auch zwischen meinem Schulenglisch und dem Londoner Slang Cockney lagen Welten.
Noch heute mit fast 70 Jahren habe ich eine ausgesprochene Vorliebe für ausgefranste Nähte, verkehrt herum getragene Jacken und Kleidungsstücke mit Nieten – vorwiegend zu Blumenkleidern kombiniert. Und ich liebe Batikshirts und Patchworkhosen aus meiner zweiten großen Lieblingsära: der großen Zeit der Hippiebewegung.
Elli Moll aus Mosbach
Was Fritz Walter mit einem Seifenkistenrennen zu tun hat
Natürlich war ich nicht begeistert, als am Morgen des 4.7.1954 mein Gruppenleiter anrief und mich kurzfristig als Streckenposten für das am Nachmittag stattfindende Seifenkistenrennen auf der Romaneyer Straße einteilte.denn eigentlich wollte ich mir das Endspiel um die Fußball-WM zwischen Deutschland und Ungarn anschauen, das zeitgleich übertragen wurde. Aber Pflichtbewusstsein ging damals noch vor Vergnügen.
Walther von Donat: "Ich dachte an Fritz Walter und an die ungarische Wunderelf."
Copyright: Walther von Donat
Ich war 17 und Mitglied im Jugendrotkreuz. Ich stand also gegen 14 Uhr in kurzer Lederhose, Rotkreuzbinde am linken Oberarm, einsam und allein in der langgezogenen Rechtskurve, etwa 200 Meter vorm Ziel, die Kisten surrten an mir vorbei, und ich dachte an Fritz Walter, Werner Liebrich, und an die ungarische Wunderelf, die uns in der Vorrunde mit 8:3 geschlagen hatte. Die Ungarn galten als unschlagbar. Ich hoffte nur, dass die Niederlage heute im Endspiel nicht ganz so hoch ausfallen würde.
Als das Rennen zu Ende war – es hatte keine Crashs gegeben , ich war nicht zum Einsatz gekommen – , lief ich so schnell ich konnte in die Stadt und in die Kneipe gleich neben der Gnadenkirche, wo das Spiel in schwarz-weiß übertragen wurde. Eine dichte Atmosphäre von Qualm, Bierdunst und Lärm schwappte mir entgegen, als ich das Lokal betrat. Der Raum war voll von Menschen. Alles nur Männer über 30, keine Frauen. Ich war bestimmt der einzige Jugendliche.
Und dann war da noch Aenni, die schöne Bardame
Leider sah ich fast nichts. Ich musste weiter nach vorn, ich hörte nur die aufgeregte Stimme von Herbert Zimmermann. Ich quetschte und schlängelte mich durch die Reihen. Unterwegs erfuhr ich, dass es 2:2 stand, 10 Minuten vor Schluss. 2:2? Gegen die Ungarn? Unfassbar! Ich drückte weiter nach vorn, und als ich wieder hochblickte, sah ich gerade noch, wie Helmut Rahn von halbrechts kam, den Ball eng am Fuß in die Mitte kurvte und mit links abzog – flach und unhaltbar. Totenstille. Ein, zwei Sekunden. Dann ein Aufschrei – Tor, Tor, Tor, Tor. Herbert Zimmermann schrie „Tor, Tor, Tor für Deutschland. Deutschland führt 3:2 – noch acht Minuten.”
Diese acht Minuten dauerten eine Ewigkeit. Verzweifelt berannten die Ungarn das deutsche Tor. Aber Puskas kam nicht an Horst Eckel vorbei. Hidegkuti köpfte nochmal aus kurzer Distanz, doch Toni Turek lenkte den Ball mit den Fingerspitzen über die Latte. Dann war Schluss. „Aus, aus”, schrie Herbert Zimmermann. „Das Spiel ist aus, Deutschland ist Weltmeister!” Unbeschreiblicher Jubel. Auch ich war stolz und gerührt. Ich warf noch einen kurzen Blick auf Aenni, die schöne Bardame, und ging nach Hause.
Walther von Donat aus Odenthal
Rosenmontag im Juni und ohne Kostüme?
Wenn ich heute, gerade 70 geworden, meinen älteren Enkeln das erzähle, stellt sich ein erstaunter Gesichtsausdruck ein. Ähnlich dem von mir, wenn man mir vom Ende des 19. Jahrhunderts oder aus der Soldatenzeit in den Weltkriegen berichtete.
Am 23. Juni 1963 war ich mit meinem Freund Norbert - wir beide waren elf Jahre alt - von unserem Wohnort in Nippes zu einem ausgiebigen Sonntagsvormittagsspaziergang aufgebrochen. Wir beide hatten ein Jahr zuvor die Volksschule in Nippes verlassen, unser neuer Schulweg führte ins Kunibertsviertel, da gingen wir lang. Je näher wir dem Ebertplatz kamen, umso mehr fühlten wir uns einem ungewohnten, ständig zunehmenden Strom in Richtung Dom einverleibt.
Wir wurden unruhig und neugierig. Wenn da etwas wichtiges sich ankündigte oder passieren sollte, wollten wir es nicht verpassen. Damals verlief noch eine ganz normale Straße zwischen Bahnhofsvorplatz und Dom und am Straßenrand standen überall Menschen – eine Menge. Rosenmontag im Juni und ohne Kostüme?
„Loss die Kinder no Fürre", hörten wir. Schnell waren wir ganz vorne und kaum dort angekommen schwoll das Stimmengewirr in unserer Umgebung an und wurde zum Jubelgeschrei. Da erkannten wir angeführt von Polizeigeleit unseren Bundeskanzler Konrad Adenauer und neben ihm den amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy - im offenen Wagen stehend. Beide Politiker wirkten freundlich und entspannt und winkten der Menge zu.
Zufallsbegegnung mit großen Politikern der Zeit: John F. Kennedy und Konrad Adenauer vor dem Dom.
Copyright: Getty Images
Ich erinnere mich zwar, dass ich froh darüber gewesen bin, dabei gewesen zu sein. Dass ich in gewisser Weise ein Zeitzeuge einer außergewöhnlichen Person gewesen bin, begann mir erstmals bewusst zu werden, als ein halbes Jahr später J.F.K. in Dallas ermordet wurde.
Georg Odenhausen aus Köln
Segeltörn vor den Inseln Dubrovniks
Das war 1986 auf eine Reise durch Jugoslawien und Griechenland. Mit einem alten Opel Kadett sind wir bis zum Fuße des Olymp gefahren. Unterwegs legten wir eine Woche Segeltörn vor den Inseln Dubrovniks ein – das war ein Gefühl von unendlicher Freiheit!
Freiheit pur bei einer Reise 1986
Copyright: Christiane Röger-Fröhlich
Alles war super und unkompliziert. Wir hatten wenig Geld, doch wir hatten das Gefühl, uns gehöre die ganze Welt! Unbeschreiblich schöne Erinnerungen sind das und in der jetzigen Zeit auch ein bisschen schmerzlich.
Christane Röger-Fröhlich , Leverkusen
Trampen rund ums Mittelmeer
Irgendwann standen mein Kumpel Georg und ich während unserer Anhalter-Reise rund ums Mittelmeer 1964 im Norden Marokkos an der Straße von Tetouan Richtung Osten, an den Ausläufern des Rif-Gebirges. Wir hatten draußen übernachtet und ahnten nicht, dass uns das schönste Erlebnis der Reise bevorstand. Es war ganz früh, aber wir sahen ungewöhnlich viele Menschen, alle festlich gekleidet.
Plötzlich preschten zwei Armeejeeps an uns vorbei, hielten, setzten zurück. Man fragte uns, wohin wir wollten. Wir sagten Kairo, das war noch 6.000 km entfernt. Die Militärs nahmen uns mit und wir erzählten von unserer Reise. Einer der Offiziere fragte, ob wir denn Lust hätten, echt „arabien food“ zu essen. Was für eine Frage!
Festmahl bei den Berbern
Man sagte uns, dass die Berber in der Nähe ein Fest feiern würden, das unserem Weihnachten sehr ähnlich wäre. Dieses Fest hieß Bab Berret. In einem winzigen Dorf hielten wir. Tausende Menschen waren versammelt. Überall brannten Feuer, an denen Tiere am Spieß brieten. Ein unglaubliches Bild. Wir betraten ein Zelt, das mit Orient-Teppichen ausgelegt war und wir trauten unseren Augen nicht.
Stammesfürsten saßen dort in prächtigen Kleidern. Erst wurde Tee gereicht, dann gab es ein Festmahl. Vier Köche brachten Schüsseln voll Hammel, Gemüse und Brot. Es gab kein Besteck und auch keine Servietten. Das Hammelfleisch schmeckte traumhaft. Die Reste wurden nach jedem Gang an die Menschenmenge vor dem Zelt verteilt. Weiter Platten mit Geflügel kamen, dann edle Fleischstücke, auch Hoden, was gar nicht unser Geschmack war – wir kamen uns vor wie im Märchen.
Hans Peter Eberle mit palästinenschen Freunden
Copyright: Hans Peter Eberle
Alle waren freundlich zu uns, die Sprachbarriere war hoch. Aber das genügte um zu spüren, dass wir dort gern gesehen waren. Schließlich organisierten die Offiziere für uns eine Mitfahrgelegenheit. Mit einer Ermahnung an den LKW-Fahrer, uns kein Geld abzunehmen, nahmen wir Abschied - und unsere Reise ging weiter.
Hans Peter Eberle, Pulheim
In Irland lernen
Im Herbst 1999 verbrachte ich zwei Monate in Dublin. Ich war 29 Jahre alt und bei einer Gastfamilie untergebracht. Für meinen Job wollte ich meine Englischkenntnisse verbessern.Nebenbei lernte ich die Feier- und Trinkfreude der Iren schätzen. Mit meinen internationalen Schulkollegen*innen verbrachten wir einige feucht-fröhliche Abende in irischen Pubs, dabei durfte Guinness natürlich nicht fehlen.
Englisch lernen und ausgelassen feiern in Dublin
Copyright: Maria Sarafidou
Auch wenn man es bezweifeln könnte: Dem Lernerfolg hat diese „wilde“ Zeit in Irland absolut nicht geschadet. Nach meiner Rückkehr nach Deutschland habe ich den Abschluss für Wirtschaftsenglisch der Universität Cambridge erworben.
Maria Sarafidou aus Frechen
Mit dem Postschiff übers Schwarze Meer
Mit zwei Freunden machte ich mich im Sommer 1970 per Zug und Jugendreisedienst zunächst auf nach Istanbul. Nur bis dahin hatten wir Tickets. Wir wollten auf dem Landwege nach Osaka zur Weltausstellung. Die Reise planten wir mit Landkarten von Stadt zu Stadt und gelangten so schließlich per Bus und Bahn über Teheran bis an die afghanische Grenze, auf der wir auf einem kleinen Wiesenstück übernachteten. Inzwischen waren wir zu fünft, ein Duisburger und ein Schweizer hatten sich uns angeschlossen.
An der Grenze überraschten uns zahlreiche gelbe Citroens, die die Rallye Paris - Kabul fuhren. Wir gelangten dann mit dem Bus über Herat nach Kabul, wobei der Duft von Haschisch in der Luft hing, was uns Fünf - allesamt Nichtraucher - nicht unbedingt angenehm war. Einige Mitreisende empfanden das anders, waren sie doch gerade wegen des Rauschgifts zu der Zeit auf der Route unterwegs.
Entspannte Tage in Kabul
In Kabul verbrachten wir einige abwechslungsreiche, entspannte Tage, was man sich, wenn man heute Bilder aus dieser Stadt sieht, nicht mehr vorstellen kann. In der kleinen Gasse der Edelsteinhändler kauften wir - ohne Kenntnis - die verschiedensten Steine wie Topase, Moonstone, Lapislazuli, weil wir irrtümlich glaubten, diese zu Hause gewinnbringend verkaufen zu können. Natürlich ließen wir uns auch Fellwesten anfertigen.
Nach Überquerung des Khyberpasses erreichten wir Peshawar, durchquerten Pakistan und kamen schließlich an die indische Grenze, von wo wir mit dem Zug nach Delhi in Indien fahren wollten. Die dortige Wartezeit überbrückte ich unglücklicherweise mit dem Genuss einer Portion Eis. Die Folge war, dass ich die Zugfahrt und die Zeit in Delhi meist auf der Toilette verbrachte. Doch Kohletabletten und der auf unserem kleinen Gaskocher produzierte Kamillentee sorgten nach einigen Tagen für Beruhigung.
Helmut Ritte mit Freunden vor dem Taj Mahal in Agra
Copyright: Helmut Ritter
So habe ich letztlich von Delhi zwar nicht viel gesehen, konnte mich aber danach am Taj Mahal in Agra erfreuen und auch mit Erstaunen die Toten-Rituale und die dabei „badenden" Inder im Ganges bei Benares erleben.
Das war aber schon die letzte Station. Das drohende Ende der Semesterferien erforderte die umgehende Rückkehr, die wir auf der fast gleichen Strecke antraten,wobei ein abschließendes Highlight die Fahrt über das Schwarze Meer mit dem Postschiff von Trabzon nach Istanbul war. Bis Osaka sind wir zwar nicht gekommen, aber die Tour war trotzdem toll.
Helmut Ritter aus Köln
Vorsicht war etwas für Langweiler
Mit 18 machte ich den lang ersehnten Führerschein, das Originalbild von 1971 sehen Sie hier. Damals hatte Auto-Fahren-Können eine übergroße Bedeutung: Freiheit, Selbstständigkeit, Anerkennung bei Freuden*innen. Ich fuhr, wann immer es ging und so schnell es ging.
Braves Führerscheinbild von 1971, gefährlicher Fahrstil
Copyright: Helmut Peuker
Geschwindigkeitsbegrenzung, Überholverbot, Vorsichtiges auf kurvenreichen Strecken? Alles etwas für Langweiler – das war meine Auto-Weltanschauung. Ich animierte sogar einen Freund zu einem Rennen von Langenfeld nach Leverkusen. Wie dumm wir waren! Wir hatten Freundinnen auf dem Beifahrersitz; keine unterband unsere Testosteron-Aktion. Dass wir nicht gecrasht sind, war Riesenglück. In der Rückschau ist es mir klar: Es ging um Anerkennung; dabei hielten die Beifahrer*innen vor Angst die Luft an.
Horror in Monheim
Eines Tages, ich war wohl 23, fuhr ich mit meinem Freund Karl-Heinz und seiner schwangeren Freundin durch Monheim. Ich fuhr von der Straße am Rhein in die kleine City von Monheim eine Kurve. Absolut harmlos. Aber Karl-Heinz erlebte in diesen Sekunden einen Horrortrip. Er schrie mir angstvoll ins Ohr: „Helmut – fahr langsam! Dafür bekommst du keine Anerkennung!“
Ich erschrak, verringerte meine vermeintlich akzeptable Geschwindigkeit und brachte die beiden sicher nach Hause. Schon auf dem Rückweg dachte ich über den Ausruf des zukünftigen Vaters nach: Keine Anerkennung für meinen Fahrstil. Hm!?
Karl-Heinz hat mir höchstwahrscheinlich das Autofahrer-Leben gerettet. Bereits am nächsten Tag sowie in den vielen weiteren Jahren bis heute – ich bin jetzt 68 – bewegte ich mich im Straßenverkehr vorsichtig, vorausschauend, entspannt. Die bemerkenswerte Folge: „Der Helmut fährt ja einen wirklich guten und umsichtigen Reifen!“ – um nur einen anerkennenden Ausspruch zu zitieren.