Fleischlose ErnährungErster veganer Supermarkt eröffnet

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Von der Backmischung bis zum Hundefutter - auf 95 Quadratmetern bekommen Veganer alles, was ihr Tierschützer-Herz begehrt. (Bild: dpa)

Von der Backmischung bis zum Hundefutter - auf 95 Quadratmetern bekommen Veganer alles, was ihr Tierschützer-Herz begehrt. (Bild: dpa)

Der biologisch abbaubare Allesreiniger ohne Petrochemie liegt neben Kochbüchern zur fleischfreien Nahrungszubereitung, daneben glänzen die bunten gelatinefreien Gummibärchen. Im Schaufenster des „Vegilicious“ werden vegane Lebensmittel präsentiert wie Einzelstücke in einer Kleidungsboutique. Der Supermarkt in einer Einkaufspassage der Dortmunder Innenstadt zeigt eben, was er hat, denn er ist das einzige vegane Lebensmittelgeschäft in Deutschland.

Inhaberin Kim Kalkowski macht vor allem mit dem kleinen Wort „ohne“ ihren Umsatz, denn alle 1800 Produkte sind ohne Fleisch, Ei, Milch und Gelatine, sowie ohne Tierversuche hergestellt.Der Blick in das Schaufenster gibt einen kleinen Vorgeschmack auf das umfangreiche Sortiment, das sich in den letzten Jahren rund um die Fleischmuffel etabliert hat.

Wer den Laden betritt, dem weht der aus Bioläden bekannte Geruch von Gewürzen um die Nase. Die Regale stehen auf weißem Kachelboden, auf den ersten Blick erinnert das Geschäft eher an eine Drogerie als an einen Lebensmittelmarkt, denn Kalkowski verkauft kein offenes Gemüse oder Obst, sondern in Plastik verpackte Fertiggerichte. „Die Produkte sind Ergänzungen zum veganen Angebot in normalen Supermärkten“, erklärt sie. Auf 95 Quadratmetern eröffnet sich eine Welt des bewussten Essens, die jenseits von Sonderangeboten allein auf einer ethischer Überzeugung basiert. „Ich habe vor zweieinhalb Jahren in meiner Heimatstadt Mannheim einen Vortrag einer Tierrechtsgruppe gehört und mich für die vegane Lebensweise entschieden“, erzählt einer der vier Verkäufer im Supermarkt. Markus Honetzok ist 22 Jahre alt und eigentlich Maler und Lackierer. Jetzt ist er extra von Süddeutschland nach Dortmund gezogen, um im „Vegilicious“ zu arbeiten. „Wenn man der einzige Veganer im Freundeskreis ist, kommt man schnell als Nerd rüber, zum Essen wird man auch nicht mehr eingeladen, das ist den Leuten zu stressig, für mich zu kochen.“

In Dortmund fand er viele Freunde und auch gleich einen neuen Partner, der die vegane Lebensweise teilt. Nun ist er nicht mehr der Außenseiter, sondern einer von vielen. Seine Chefin Kalkowski lebt seit acht Jahren vegan. Sie trägt großflächige Tattoos auf dem Arm, ein Nasenpiercing und hat schwarze Strähnen in ihre blonden Haare gefärbt. 2006 eröffnete sie einen Versandhandel für pflanzliche Produkte. „Das Verlangen nach guter Beratung wurde größer, außerdem wollten viele Kunden einfach im Sortiment stöbern und Neues ausprobieren“, erzählt die 26-Jährige. Seither brummt der Laden, und von morgens bis abends stehen die Kunden an der Kasse in einer Schlange.

Als der vegane Markt Ende Februar auf der Brückstraße eröffnete, hob er eine einst belächelte Öko-Bewegung wie selbstverständlich hinein in das Stadtbild zwischen Cafés und Klamottengeschäften.

Ein Streifzug durch die Regalgassen macht auch überzeugten Fleischessern deutlich, dass der gesamte Alltag ohne tierische Produkte gestaltbar wäre. Zahnpasta, Duschgel, Naturschminke und Haarfärbemittel sind ohne Tierversuche und Chemie hergestellt.

Mit Sojamilch, reinen Maiscornflakes, veganer Streichschokolade und auf pflanzlicher Basis hergestelltem Kaffeeweißer startet der Tierschützer in den Tag. Zu Mittag bietet der Markt dann eine Fülle an Fertigprodukten, die zwar die gleiche Form und Konsistenz wie Fleisch und Fisch haben, aber kein Tier das Leben kostete: veganes Gulasch und Gyros, Leberkäse aus Weizeneiweiß, eine pflanzliche Thunfisch-Variante oder ein Wiener Schnitzel aus Sojaeiweiß, ein Lachsfilet aus Sojafasern und Seetang. Für zwischendurch tut es ein Riegel Reismilchschokolade oder eine glutenfreie Backmischung für einen Kuchen ohne Ei, Milch und Butter mit Sprühsahne aus Wasser und Pflanzenfett. Abends kommen dann die Aufschnitt- und Käsealternativen aufs Brot.

Der Veganer hat im Supermarkt die Wahl zwischen Lyoner und Salami aus Weizeneiweiß und diversen Tofu-Würstchen mit eifreier Mayonnaise. Meistens tragen die veganen Produkte den Namen ihrer tierischen Originale, versehen mit dem kleinen Zusatz „Alternativ“" oder „Ersatz“. „Der Name und die Form sind ähnlich, damit die Zuordnung leichter fällt. Man wird ja nicht als Veganer geboren, so kann man sich leichter orientieren, was man wann und wie essen kann. Außerdem sollte der Aufschnitt auch vegan die Form eines Brötchens haben, damit er passt“, erklärt Kalkowski.

Ebenso der Käse aus Soja- statt aus Kuhmilch ohne gehärtete Fette und künstliche Farbstoffe erinnert nur wegen der blasseren Farben und dem höheren Preis an den Tierschutz. Acht Scheiben Scheiblettenkäse kosten 3,39 Euro. Kondome aus Naturkautschuklatex in verschiedenen Geschmacksrichtungen, zusammen mit Bio-Massageöl auf Wasserbasis machen sogar die vegane Liebe möglich. Mit Saisonartikeln zu Ostern und Weihnachten ist es vegan lebenden Eltern möglich, die Lebensweise an ihre Kinder weiterzugeben, ohne sie sozial zu isolieren.

Die Tierschützer sind konsequent, auch bei Haustieren ist die vegane Ernährung machbar. Unter dem Werbespruch „Animal friendly animal food“ („Tierfreundliches Tierfutter“) verkaufen sich Kauknochen aus Algen, Würste aus Rohproteinen für Katzen und Trockenfutter aus Weizen und Sojabohnen. Kalkowski füttert ihren Pinscher Justice auch nur mit fleischlosem Futter. „Der Hund ist ein Allesfresser, wie der Mensch. Dem macht das nichts aus. Im Gegenteil, Justice ist fit.“

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