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GrundschuleWas Hamburgs Schulsystem besser macht – ein Modell für NRW?

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Schule SYMBOL DPA 070922

Für viele Viertklässler steht im kommenden Jahr eine wichtige Entscheidung an.

Düsseldorf/Hamburg – Bei vielen Bildungspolitikern gab es Anfang der Woche lange Gesichter, nachdem die Studie des Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) über den Leistungsstand deutscher Viertklässler veröffentlicht wurde. Auch in Nordrhein-Westfalen. Hamburgs Schulsenator Ties Rabe (SPD) aber freute sich: Sein Stadtstaat hat sich seit der ersten Untersuchung im Jahr 2011 vom 14. auf den sechsten Platz vorgearbeitet und sich damit gegen den Bundestrend verbessert. „Das ist ein schöner Erfolg unserer Politik, die auf gezielte Förderung und auf Leistung setzt“, so Rabe.

Mit einem Bündel von Maßnahmen arbeitet die Hamburger Schulkonferenz als Versammlung aller am Schulleben Beteiligten gegen den Bildungsnotstand an – zentral sind dabei regelmäßige Tests. Hamburgs Schülerinnen und Schüler nähmen im Schnitt alle zwei Jahre an Lernstandserhebungen teil, so Rabe. „Daraus erhalten Hamburgs Lehrkräfte wichtige Rückmeldungen für ihre Unterrichtsentwicklung.“

Vor zehn Jahren auf dem drittletzten Platz

Die Hansestadt ist vor dem Hintergrund der vielfach desaströs ausgefallenen Ergebnisse der IQB-Studie geradezu zum Modell für bildungspolitische Erfolge geworden. Vor zehn Jahren noch lag Hamburg im Ländervergleich auf dem drittletzten Platz. Vorbildfunktion für Bundesländer wie NRW könnte die Hansestadt aus diversen Gründen haben: Es gibt mehr Vorschulklassen und Ganztagsunterricht als in anderen Bundesländern. In sogenannten Lernferien wird versucht, Rückstände durch Corona aufzuholen, und dies erfolgreich, wie Bildungsexpertinnen und -experten feststellen. Mehr als 500 Gruppen hatten Hamburgs Schulen in diesem Herbst für die Lernferien angemeldet, teilt die Schulbehörde mit.

Alles zum Thema Jochen Ott

Ein weiterer Erfolgsgrund könnt  „Kermit“ - „Kompetenzen ermitteln“ sein. Im Rahmen dieser Lernstandserhebung führen alle Hamburger Grundschulen, Stadtteilschulen und Gymnasien seit dem Schuljahr 2012/13 jährlich in unterschiedlichen Klassenstufen standardisierte Schulleistungstests durch. Die Aufgaben orientieren sich an den Anforderungen der nationalen Bildungsstandards und der Hamburger Bildungspläne. Die Test-Ergebnisse informieren die Lehrkräfte über fachbezogene Stärken und Schwächen ihrer Lerngruppen. Die Informationen sollen helfen, den Unterricht besser auf die Lernvoraussetzungen der Schülerinnen und Schüler auszurichten.

Eine Beispielaufgabe aus dem Bereich Mathematik etwa lautet: „Du füllst 10 Gummibärchen in einen Beutel. Sie können rot oder gelb sein. Dein Partner darf mit verbundenen Augen zwei Gummibärchen herausnehmen. Wie musst du den Beutel füllen, damit dein Partner die besten Chancen hat, ein gelbes und ein rotes Gummibärchen zu ziehen?"

Stoff in Hauptfächern nachholen

An der Nelson-Mandela-Schule in Hamburg-Kirchdorf gibt es drei Lerngruppen, die Stoff in den Hauptfächern nachholen, vor allem in Mathematik und Deutsch. Schülerinnen und Schüler mit besonderem Nachholbedarf werden gezielt dafür ausgewählt.

Die Hamburger Strategie passt zu den Forderungen, die Petra Stanat, wissenschaftliche Leiterin des Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) an der Humboldt-Universität zu Berlin, erhebt: Die Ständige Wissenschaftliche Kommission der Kultusministerkonferenz habe im Juni 2021 empfohlen, Corona-Aufholmaßnahmen auf besonders betroffene Kinder und Jugendliche und auf die Sicherung von sprachlichen und mathematischen Basiskompetenzen zu fokussieren, sagt sie, eine wichtige Rolle spiele auch die psychosoziale Unterstützung. „Eine solche gezielte Förderung kann durchaus sinnvoll sein, wenn sie fundiert geplant und umgesetzt wird.“

Aber eine nachhaltige Verringerung des Anteils von Schülerinnen und Schülern, die nicht die Mindeststandards erreichen, werde man durch temporäre Programme wohl nicht erreichen. „Hierfür brauchen wir kohärente, langfristig angelegte Strategien mit klaren Zielen, konkreten Umsetzungsplänen und einem begleitenden Monitoring“, so Stanat.

NRW-SPD fordert Bildungskonferenz nach Hamburger Vorbild

Dieser langfristigen Strategie entspricht das Hamburger Modell, das gute Ergebnisse trotz widriger Umstände erzielt. Rabe verweist darauf, dass Hamburg wie andere Stadtstaaten auch einen hohen Anteil an Schülerinnen und Schülern aus bildungsfernen Familien sowie mit Migrationshintergrund aufweise – im bevölkerungsreichen Nordrhein-Westfalen sind dies Faktoren, die zum schlechten Abschneiden des Bundeslandes bei der IQB-Studie beitragen.

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Nordrhein-westfälische Bildungspolitik sei wie in vielen anderen Bundesländern auch zu kurzatmig, sagen die Kritiker. So stellt die NRW-Vorsitzende der Bildungsgewerkschaft GEW, Ayla Çelik, gerade im Hinblick auf soziale Ungleichheiten fest: „Die herkunftsbedingten Nachteile werden durch ein System, das auf Kante genäht ist, verschärft. Damit zementieren sich Armutslagen, weil sich allzu häufig schlecht bezahlte Arbeitsverhältnisse oder Arbeitslosigkeit anschließen.“

Die derzeitige Regierung aus CDU und Grünen dürfe nicht in Wartehaltung verharren, sondern müsse rasch aktiv werden: Die Bildungsinvestitionen müssten erhöht werden. „Wir brauchen einen Sozialindex, der seinen Namen verdient und gut ausgestattet ist. Wir brauchen eine Fachkräfteoffensive, um den Lehrkräftemangel zu bekämpfen, die mit Entlastungen für die aktuellen Lehrer Hand in Hand gehen muss: Lehrkräfte müssen ihre wertvolle Zeit für die Bildung der Kinder einsetzen“, so Çelik.

Auch die Opposion im Düsseldorfer Landtag fordert Bildungsministerin Dorothee Feller (CDU) zu entschlossenem Handeln als Konsequenz aus der aktuellen Studie auf. NRW brauche nach Hamburger Vorbild eine Bildungskonferenz, die alle Beteiligten an einen Tisch hole und über Legislaturperioden hinausgreife, sagt der SPD-Bildungsexperte Jochen Ott. Für den Kölner Landtagsabgeordneten und stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden sind vier Punkte an der Hamburger Lösung entscheidend: die flächendeckende Einführung des Ganztags, der aussagekräftige Sozialindex, die früh einsetzende Sprachförderung und die im Verhältnis zu NRW deutlich kleineren Klassen.

Hamburger Modell in Kürze

• Hamburg fördert schwächere Schülerinnen und Schüler zum Beispiel durch kostenlose Nachhilfe, zusätzliche Lernferien, zusätzliche Sprachförderung und mehr Lehrkräfte, aber auch durch kostenlose Ganztagsangebote und Vorschulangebote. • Gezielt werden Lesen, Sprachbildung, Rechtschreibung und Mathematik durch mehr Unterricht, klarere Bildungspläne, das Fachlehrerprinzip, Schulungen für Lehrkräfte, konkrete Unterrichtshandreichungen und –konzepte gefördert. • Es gibt mehr Klausuren als in anderen Bundesländern in  Rechtschreibung, darüber hinaus kommt es zu regelmäßigen Lernstandsuntersuchungen, Schulinspektionen und zentralen Abschlussprüfungen.

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