JahresrückblickZwei Jahre nach der Flut läuft nicht alles rund – Mieses Zeugnis für ÖPNV

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NRW-Heimatministerin Ina Scharrenbach spricht in Euskirchen mit einem Polizisten. Rechts ist Landrat Markus Ramers zu sehen.

Zwei Jahre nach der Flut besucht Ministerin Ina Scharrenbach den Kreis, um sich zu erkundigen, wie es mit dem Wiederaufbau vorangeht – und wie es den Menschen geht.

Das dritte Quartal 2023 im Kreis Euskirchen: Die Flutkatastrophe jährt sich zum zweiten Mal, die Menschen suchen Lösungen für die Energiewende.

Am 14. Juli jährt sich die Flutkatastrophe im Kreis Euskirchen zum zweiten Mal. Der Wiederaufbau ist in vollem Gange. Doch fest steht auch: Es dauert lange. Sehr lange. Für viele zu lange. Die Bürokratie baut zuweilen hohe Hürden auf. Die seelischen Wunden sind längst noch nicht verheilt.

Über das Gedenken wird im Kreis Euskirchen diskutiert

Über die Form des Gedenkens wird in vielen Orten diskutiert. Zentrale Veranstaltungen wie noch zum ersten Jahrestag 2022 mit Bundes- und Ministerpräsident in Euskirchen gibt es nicht. Stattdessen finden zahlreiche kleinere Veranstaltungen in den Orten statt.

In Bad Münstereifel wird die Erfttreppe mit einer würdevollen Feier eröffnet. In Gemünd und Schleiden feiern 2500 Menschen drei Wochen später beeindruckende Helferfeste.

Nach der Flut gingen 25.000 Anträge auf Wiederaufbauhilfe

Rund 3,1 Milliarden Euro sind bisher für den Wiederaufbau bewilligt worden. Mehr als eine Milliarde davon ist in den Kreis Euskirchen geflossen, so NRW-Heimatministerin Ina Scharrenbach (CDU) bei einem Besuch in Gemünd.

Die Katastrophe und die Solidarität unter den Menschen hätten unmittelbar nach der Flut die politischen Debatten verändert: „Dann ist die Politik mal wieder geerdet und beschäftigt sich mit den wichtigen Dingen im Leben.“ Schnell, umfassend und unbürokratisch zu helfen, das habe nach der Flut gut funktioniert. 65 Millionen an Soforthilfen seien am 22. Juli 2021 in Auszahlung gewesen.

Rund 25.000 Fluthilfe-Anträge von Privatpersonen seien bis Juli 2023 eingegangen, mehr als 92 Prozent davon abschließend bearbeitet. Bewilligt worden seien 715,6 Millionen, von denen rund 552 Millionen bereits ausgezahlt seien.

Sie ärgere sich aber über das „Schlechtmachen“ des Antragsverfahrens seitens der SPD und der Medien. Das habe dazu geführt, dass viele, die ein Anrecht auf Hilfsgelder gehabt hätten, keinen Antrag gestellt hätten.

Dennoch warten Menschen noch auf die Hilfen. Mal kämpfen sie mit der Bürokratie, weil hier ein Dokument und da ein Formular fehlt. Häufig jedoch sind ihre Fälle recht komplex, was die Lösungen erschwert.

Die Kommunen brauchen viele Millionen für den Wiederaufbau

452 Maßnahmen mit einem Volumen von 203 Millionen Euro umfasst alleine der Wiederaufbauplan der Stadt Schleiden, für die Scharrenbach im Juli den Bewilligungsbescheid bringt.

Während die Stadt ihren Antrag als letzte Kommune im Kreis eingereicht hat, waren andere zwar deutlich früher dran, korrigieren ihre Zahlen aber inzwischen nach oben. Am deutlichsten geschieht das Ende September in Bad Münstereifel. Vor allem fünf Hochwasserrückhaltebecken verursachen 117 Millionen Euro Mehrkosten, so dass der Wiederaufbau in der Stadt derzeit mit 293 Millionen Euro kalkuliert wird. Jedoch geht man vielerorts davon aus, dass die Summen noch steigen werden.

Der Hochwasserschutz im Kreis Euskirchen ist ein Langzeit-Projekt

Eine der vielen Baustellen, die nicht schnell abzuarbeiten sind, ist der Hochwasserschutz. „Es geht nicht nur darum, innerhalb von zwei Jahren alles Technische möglich zu machen. Hochwasserschutz muss in die Köpfe aller Menschen, sonst werden wir in 20,30 Jahren wieder überrascht sein“, formulierte es etwa der inzwischen pensionierte Erftverbands-Chef Bernd Bucher.

Viele Schäden an den Gewässern sind inzwischen beseitigt, Rückhaltebecken werden geplant, Veybach, Erftaue und Rotbach sind renaturiert. Die großen Konzepte, die interkommunal entwickelt werden, hängen jedoch von großen Entscheidungen ab: Etwa der, ob bei Hellenthal eine weitere Talsperre gebaut wird. Derzeit wird die Machbarkeitsstudie dazu erstellt. Oder, wie die Steinbachtalsperre in den Hochwasserschutz eingebunden wird.

Die seelischen Wunden heilen nur langsam

Die seelischen Wunden, die die Flut gerissen hat, heilen langsam. Bei der Bewältigung helfen auch Profis mit niedrigschwelligen Angeboten. Das Netzwerk psychosoziale Hilfe in Bad Münstereifel ist weiterhin gefordert.

Ebenso das IPSU in Gemünd (Zentrum für Interkommunale Psychologische Unterstützung): 60 bis 70 Betroffene seien in den Monaten nach der Flut gekommen. Und auch zwei Jahre nach der Katastrophe kommen Betroffene neu dazu.


Kreative Ideen im Kreis Euskirchen zur Energiewende

Die Energiewende beschäftigt die Menschen im Kreis auch in diesem Jahr intensiv. Neben größeren Wind- und Solarparkprojekten werden an einigen Eigenheimen kreative Lösungen umgesetzt.

Auf einem Wohnhaus an der Erftbleiche etwa steht ein kleines Kraftwerk. Martin Marker von der Baugesellschaft Eugebau hat es aus der Schweiz nach Euskirchen gebracht und aufgebaut. Auf dem Dach steht eine Windturbine, die im Zusammenspiel mit Sonnenenergie dazu beitragen soll, dass das künftige Elf-Parteien-Mietshaus CO2-frei mit Energie versorgt werden kann.

Laut Eugebau ist das Haus weit und breit eines der ersten, das über ein solches Windrad verfügt. Es ist aber nicht das einzige Haus in Euskirchen, das energieautark funktioniert.

Auch an der Carl-Schurz-Straße steht ein Haus, das komplett unabhängig ist von der öffentlichen Energieversorgung. Hier dient Wasserstoff als Speichermedium von Sonnenenergie, erklärt Joachim Wilsdorf, Bewohner des Hauses und Geschäftsführer der umstro GmbH – einer Firma, die sich der klimagerechten Energieversorgung für Wohn- und Gewerbegebiete verschrieben hat. Erzeugt wird die Energie auch hier von der Photovoltaikanlage auf dem Dach.

Landrat Markus Ramers sagt, dass das Zurückgreifen auf Wasserstoff sich im Bereich des Öffentlichen Personennahverkehrs bereits etabliert habe – auch im Bereich des Schwerlastverkehrs sieht er die Umstellung in vollem Gange. Wasserstoff auch in der Gebäudewirtschaft einzusetzen, sei ein weiterer Schritt. Der Kreis wolle gemeinsam mit der e-regio schauen, ob die Produktion von Wasserstoff vor Ort möglich sei, teilt der Landrat auf einem Wasserstoff-Netzwerk-Treffen mit.

Dass auch Privatleute sich vermehrt Gedanken um alternative Energiequellen machen, zeigt das Beispiel der Familie Melder aus Bad Münstereifel-Hohn. Im Garten ihres Hauses steht ein Suntracker, der der Sonne folgt und Energie liefert. Knapp 50.000 Euro hat die Familie in das Gerät investiert. Auf einem Gestell sind Solarpanels angebracht, die sich anhand der Sonnenauf- und -untergangszeiten mit ihr drehen und somit optimal das Sonnenlicht zur Energiegewinnung einfangen.

Auch im Kleinen entscheiden sich zahlreiche Menschen im Kreis, sich etwas unabhängiger vom Stromnetz zu machen. Balkonkraftwerke erfreuen sich großer Beliebtheit – im Sommer kann bis zur Hälfte des eigenen Strombedarfs mit dem Solarpanel gedeckt werden.


Veränderungen im ÖPNV

Eine Studie der gemeinnützigen Interessenorganisation Allianz pro Schiene stellt dem öffentlichen Personennahverkehr im Kreis im Juli kein gutes Zeugnis aus. Zwar sind demnach für 98,4 Prozent der Kreisbürger eine Bushaltestelle in bis zu 600, eine Bahnhaltestelle in bis zu 1200 Metern erreichbar. Doch was nützt das, wenn der Bus nur selten vorbeikommt?

Die Verantwortlichen im Kreishaus halten dagegen, dass das Taxibus-System, eine der Säulen des ÖPNV im Kreis, in der Studie nicht berücksichtigt worden sei. Seit 21 Jahren gibt es das Anruf-System in allen Kommunen außer der Stadt Euskirchen. Laut Kreis sind seitdem 3,1 Millionen Fahrgäste transportiert worden – 160.000 alleine 2022.

Beim Taxibus ändert sich nun etwas: Nicht nur, dass er nun MiKE (Mobil im Kreis Euskirchen) heißt. Zum Jahreswechsel fallen auch die bisherigen Zuschläge zum Bustarif von 1,20 Euro für Erwachsene und 50 Cent für Kinder von 6 bis 14 Jahren weg. (rha)


Neue Strukturen für die katholische Kirche

Die katholischen Christen im Kreis Euskirchen müssen sich umstellen. In den zum Erzbistum Köln gehörenden Kirchengemeinden im Nordkreis sind zum 1. September neue pastorale Einheiten gebildet worden. St. Martin, Bleibach/Hardt sowie Erftmühlenbach bilden nun eine Einheit in Euskirchen, die dem Stadtgebiet entspricht. Ebenfalls gibt es einen Zusammenschluss von Veytal und Bad Münstereifel. Die seit 2017 bestehende Verbindung von Veybach und Zülpich ist wieder gelöst.

Zülpich bildet stattdessen eine Einheit mit Weilerswist – und das schmeckt den Weilerswister Katholiken überhaupt nicht. Ihre Proteste nutzen aber nichts. In einem Treffen räumt Weihbischof Ansgar Puff zwar Kommunikationsfehler ein, am Resultat und der Fusion ändert das aber nichts.

Auch in den 77 Kirchengemeinden im Südkreis, die zum Bistum Aachen gehören, stehen Veränderungen an. Unter dem Titel „Heute bei Dir“ stehen dort die Reformen, in denen unter anderem Pastorale Räume gegründet werden. Die sollen sich nach Beschlüssen der Gremien vor Ort an den jetzigen Gemeinschaften der Gemeinden (GdG) orientieren. Bis Neujahr 2028 soll der gesamte Umstrukturierungsprozess im Bistum Aachen abgeschlossen sein. (rha)


Juli 2023 

Dienstag, 18.: Stars bei den Karl-May- und anderen großen Festspielen sind die Greifvögel aus Hellenthal.

Mittwoch, 19.: Bei Bauarbeiten in der Euskirchener Innenstadt wird ein Topf mit alten Münzen ausgegraben – ein wertvoller Schatz ist es aber nicht.

Freitag, 21.: Bei Smurfit Kappa brennen 8000 Papierballen. Mehr als 250 Feuerwehrleute sind tagelang im Einsatz.

Autos und Lastwagen fahren auf der A-1 Brücke bei Mechernich, als dort noch eine Baustelle eingerichtet war.

Zwei Jahre hat die Sanierung der A1-Brücke bei Mechernich gedauert. Dooch die ganz großen Baustellen kommen erst noch.

Donnerstag, 27.: Nach mehr als zwei Jahren „grundhafter Sanierung“ wird die A1-Brücke bei Mechernich fertiggestellt und ist wieder befahrbar. Es wird aber auch klar, dass diese und die Zingsheimer Talbrücke in absehbarer Zeit neu gebaut werden müssen.

Samstag, 29.: Die Stadtratsfraktion der AfD Euskirchen ist dagegen, Automaten mit Gratis-Binden und Tampons aufzustellen. Ihre Argumentation: Das sei, wie Gratis-Zigaretten zu verteilen.

Samstag, 29.: Mit Spülmittel im Brunnen an der Bahnhofstraße sorgen Unbekannte für einen Schaumteppich in Euskirchen, eine Woche später geschieht das Gleiche am Zwentiboldbrunnen in Bad Münstereifel.


August 2023

Samstag, 5.: Hilfe für Celina: In nur vier Wochen wird das baufällige Haus der vom Schicksal gebeutelten Familie Trapp in Großbüllesheim renoviert.

Dienstag, 8.: Einige Bewohner der Geflüchtetenunterkunft in Euskirchen liefern sich Massenschlägereien. Auch eine Matratze wird angezündet.

Montag, 14.: Mit dem offiziell ersten Spatenstich läutet die Stadt Euskirchen den Bau des neuen Rathauses ein. Es soll 58 Millionen Euro Kosten.

Das Luftbild zeigt den Baugrund, wo im August der offizielle Spatenstich für das neue Rathaus in Euskirchen erfolgte.

Seit dem Sommer wird nahe des Euskirchener Bahnhofs gebaut. Für 58 Millionen Euro entsteht das neue Rathaus.

Dienstag, 15.: In Füssenich wird ein Ehepaar in seinem Haus brutal überfallen. Beide Senioren schweben in Lebensgefahr. Einen Monat später werden drei Verdächtige festgenommen.

Dienstag, 15.: Kita-Plätze sind knapp. Vielerorts werden Einrichtungen neu gebaut oder erweitert. Hellenthal reaktiviert zum Beispiel nach 20 Jahren die Kita Hollerath.

Freitag, 25.: Nach einer TikTok-Challenge müssen 15 verletzte Kinder einer Euskirchener Schule medizinisch versorgt werden. Sie hatten extrem scharfe Chips gestohlen und gegessen.


September 2023 

Samstag, 2.: Nach einer Überdosis stirbt ein Obdachloser an der Gerberstraße in Euskirchen. Ein Holzkreuz an der Straße erinnert seitdem an ihn.

Samstag,2.: 11.000 Hardstyler feiern das „Into the Madness“-Festival am Zülpicher See. Die zwei tanzenden Euskirchener Polizisten Niklas und Tim werden zu Instagram-Stars, fünf Millionen mal wird ihr Video geklickt.

Samstag, 9.: Die Stadt Euskirchen will in einer App Informationen für Einwohner und Besucher bündeln. Davon soll auch der Einzelhandel profitieren.

Das Radom war die weiße Kugel an der Mercator-Kaserne in Euskirchen. Es ist inzwischen demontiert.

Das Radom, die weiße Kugel an der Mercator-Kaserne in Euskirchen, ist abgebaut worden.

Freitag, 15.: In mehreren Nacht-Etappen wird ein 280-Tonnen-Trafo über die Straßen von Kall nach Dahlem transportiert.

Freitag, 22.: Die 100-jährige Liesel Buchheldt aus Mechernich kommt im Musikvideo der Band „Alte Bekannte“ groß raus.

Donnerstag, 28.: Die Bundeswehr investiert 30 Millionen in Euskirchen. Die große weiße Kugel verschwindet aber.

Freitag, 29.: Der Bund gibt elf Millionen Euro für die Umgestaltung des Van-Dooren-Komplexes in Vogelsang.

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